Die Saat des Irrtums
#25
When that light goes out this eve
Some will run and some will grieve
If you have a reason
Or if you believe
In darkness we trust

Sweet release is all we need
Unless, of course,
It's covered in greed
I am not a watchman, I do as I please
In darkness we trust

The whores and gentlemen they lead
Trails of insecurities
I am not a watchman, I do as I please
In darkness I trust

Deadly Circus Fire - In Darkness we Trust


Klein und still. Glatt und kalt. 
Der Schleifstein wisperte feucht sirrend über die Klinge des Schwertes. Es hatte Tage der Übung benötigt bis Kyron den Trick erlernt hatte wie er den Stein führen musste, um keinen Moment in Stille zu verbringen. Weitere Tage hatte er dafür aufgewandt, den Klang des Steins gegen den Damaststahl zu formen und zu vollenden, sodass aus dem Auf und Ab ein gleichmäßiges, weißes Rauschen wurde, ohne Anfang und ohne Ende. Ideal um die Stille zu töten.
Manch einer mochte vermuten, dass der Moment des Verlustes einer Rebellion mit entweder dem vollkommenen Zusammenbruch einhergehen musste, oder aber dass in diesem Moment des Verlierens eine Form von Leichtigkeit einzutreten hatte, nun wo man keine Last mehr selbst zu tragen hatte. Als wären Lasten, Gefühle oder Befindlichkeiten unerzogene Jagdhunde, die man mit der Rute zur Räson konnte. Vielleicht war es tatsächlich die Art, wie andere Menschen mit einem Rückschlag umgingen, einen Vergleich zu sich selbst konnte Kyron nicht finden. Im Gegenteil.
Die Erinnerung des Anblicks einer ertrinkenden Ratte in der Regentonne des Gasthauses seiner Mutter war das Einzige, was ihm zu sich selbst in den Sinn zu kommen vermochte; das arme Tier war geschwommen bis es erschöpft gewesen war, aufgegeben hatte. Kyron hatte ein Stück Holz hinein geworfen, zu ängstlich um das Tier zu retten, zu schuldig um fort zu schreiten und das Tier seinem Ende zu überlassen. Kaum hatte das treibende kleine Floß die Ratte berührt, da war wieder Leben in sie gefahren, und sie hatte weitere Minuten strampelnd und angestrengt damit verbracht, auf dem viel zu kleinen Holz Platz für ihren Leib zu suchen, bis die Erschöpfung ein weiteres Mal zugeschlagen hatte. 
Fünf Stücke Holz später war die Ratte schließlich ertrunken. Seine Mutter hatte sie mit einer Holzschöpfkelle aus der Tonne gefischt und auf den Müll geworfen.
Ratten. Sie verfolgten ihn schon seit seiner Kindheit. Was damals ein aufbauendes Bild gewesen war, nämlich dass es immer einen Weg gab um weiter zu kämpfen, selbst wenn er winzig, klein, glatt und unzureichend war, das hatte sich mit den Jahren gewandelt. Die Ratte im Wasserfass hatte er schon lange übertrumpft. Wo das Tier sich fünfmal aufrappeln hatte können, da hatte er sich fünf Jahre lang aufgerappelt, wieder und wieder, egal wieviel Blut in den Stein geflossen war. So oft, dass es nun beinahe schockierend war, den üblichen Antrieb nicht mehr in der Brust zu verspüren, den rebellischen Funken umsonst zu suchen, den eigenen Kopf flüchten zu wollen, nicht etwa weil die eigenen Gedanken so laut waren, so furchterregend, nein.
Kyrons Kopf, seine Brust, Herz, waren leer. Nicht die Art von Leere, die so manchen über eine Klippe springen ließ, das wäre unwürdig gewesen. Eher die Form der Leere, die man in Nortgards Bergen im Tiefwinter vorfand. Absenz von Antrieb und Begründung.
Er konnte natürlich heim gehen und sich Herz und Kopf mit Cahira und den Kindern füllen oder von Kordians unerschütterlichem Antrieb zehren wie ein Blutegel vom Blut eines Hirschs, aber...
Mit einem Lippenkräuseln sah Kyron auf seine stillen Hände hinab. Mit dem Ersterben des durchdringenden Schmirgelns waren auch seine Gedanken erstorben. Leere konnte so fürchterlich laut sein. Sie wurde nur noch leerer wenn er in die Gesichter jener sah, die bereits tot waren und es nur noch nicht wussten. Isabelle würde ihn melodramatisch schimpfen, würde sie ihn solche Worte aussprechen hören, aber es beschrieb sein Gefühl am Besten. Immerhin hatte er sie alle an den Tod verkauft und sich selbst damit freigehandelt. Nicht wirklich frei natürlich, das war nicht möglich. Aber wo er zuvor ein Stein zwischen Hammer und Amboss gewesen war, unerschütterlich das Eine vom Anderen fern gehalten hatte, da war er nun kaum mehr als der feine Staub zu dem der Stein über die Jahre zerschlagen worden war. Ein feister Atemzug des Meisters hatte ihn restlos aus dem Weg geblasen, hinaus in die Leere.
Irgendwo im Schwarz das hinten in seiner Brust wohnte spielten sich immer noch die Szenen dessen ab, was der Meister mit seinem Sohn anstellen würde. Kyron wusste zwar nicht wie der Meister mit Kindern umging, aber anhand der eigenen Erfahrungen hatte er sich ein recht klares Bild zusammen gesponnen. Es malte keine rosige Zukunft für sein Fleisch und Blut aus. Dieser Gedanke daran, was der Meister mit dem zarten Jungen anstellen würde, wie wenig Mensch am Ende von seinem kleinen, liebenswürdigen Sohn noch übrig wäre, hatte ihn immer wieder zwischen die Fronten getrieben. Wider die stetigen Hammerschläge von des Meisters Wille, wider des nervösen Flatterns von Seiten seiner Frau, die das Ausmaß der Tragödie bis heute nicht kannte und auch nie kennen würde, wenn es nach Kyrons Wille ging. Wider der Vernunft und wider des Verstandes. Widerstand in seiner reinsten Form.
Und nun war er gebrochen, der Widerstand.
Kyron nahm die Schleifbewegungen wieder auf, suchte und fand den stetigen Rythmus und das weiße Rauschen, hüllte sich darin ein. Vielleicht würde die Leere sich wieder füllen, wenn der Meister schließlich erschien und den Jungen einpackte, Cahira in seinen Bann zog, seine Familie mit sich nahm. Vielleicht würde er dann wieder etwas fühlen. Zu spät zum Schwimmen, zum Paddeln, zum Klammern an ein Stück Holz war es allemal.
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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