FSK-18 Familiengeheimnisse
#4
[Bild: jr2o-3k-1fca.jpg]

Ein deutliches, scharfes Kratzen war von der Wand aus zu vernehmen und sie fuhr erschrocken zusammen. Die Edle, soeben noch zu sehr mit dem Nachfüllen des Saftglases beschäftigt, sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu jener Stelle. Ihr Blick war schlagartig wachsam und sie verengte die Lider. „Ratten..!“ Haspelte die Kleine, die sehr wohl wusste, was dieses Geräusch bedeute. „…wisst ihr, hier auf dem Land sind sie wirklich eine Plage. Manchmal höre ich sie des Nächtens durch die Wände kreuchen.“ Das war noch nicht einmal wirklich gelogen. Die Züge der Dame entspannten sich wieder einen Deut. „Wie schrecklich. In unserer Behausung haben wir jemand, der sich um solche Plagegeister kümmert, aber diesen Luxus, kann natürlich nicht jeder genießen, nicht wahr?“ Sie lächelte schmal, offenbar war ihr das Thema alles andere als angenehm, aber es war immerhin noch besser, als die Wahrheit. Das Mädchen atmete tief durch. Die Gefahr schien abgewendet. Fynia spitzte die Lippen und leerte dann ein weiteres Glas. Diesmal ließ sie sich dabei sogar ganze zwei Schlucke Zeit. Mit einem hölzernen Pochen stellte sie es ab und sah durch den Raum. „Wohin wurden die Kleider gebracht?“ Das Kind tippelte voraus und deutete auf eine schmale Tür in der Wand. „Gleich nach nebenan, in das Ankleidezimmer. Benötigt ihr Hilfe beim aus- und ankleiden?“

Sie öffnete ihr die Türe, zog sich wie selbstverständlich einen Hocker heran. Sie nahm eine schmale Kerze aus der Schatulle im Regal des Räumchens und lief damit in die Küche, um jene vorsichtig am Kochfeuer zu entzünden. Eilig wanderte sie zurück, erklomm den Schemel und begann damit nach und nach die Lichter in den hölzernen Laternen zu entzünden. Sie schob den großen Spiegel noch zurecht und stellte den Hocker zurück. Dann wies sie einladend in das Innere, was der Edlen, die das Treiben aufmerksam beobachtet hatte, ein stilles Lächeln entlockte. „Beim auskleiden und dem späteren wieder ankleiden wärest du wirklich eine große Hilfe. Aber bei dieser Art von Kleidungsstücken, die mich dort erwarten, benötige ich sie nicht…jedoch…“ Sie betrachtete das Mädchen für einen Moment mit nachdenklich verklärtem Blicke. Dieses begann unter jenem Augenschein nervös mit Daumen und Zeigefinger an ihrem Rocksaum zu nesteln. „…hole dir deinen Hocker wieder und leiste mir dort drin Gesellschaft! “ Der Blick der Kleinen wanderte bei dem Deut erst zum Schemel, dann zu der Kammer und zurück zu Fynia. Verwirrt krauste sie die Nase. „aber….ist das nicht zu eng mit all den Gewandungen und…?“ Wieder unterbrach sie die Frau mit einer abrupten Handbewegung. „Für dein Alter machst du dir ziemlich viele Sorgen mein Kind.“ Sie hob skeptisch eine Braue. „Wer soll mir denn sonst sagen, wie mich die Kleider zieren und ob die Farben überhaupt für sich sprechen.“ Das Lächeln um die Mundwinkel der Dame wurde wieder milder. „Ziere dich nicht, wir sind doch unter uns und mir sagte einst eine der Ammen, Kindermund täte Wahrheit kund.“ Die noch eben unwirsche Hand wurde wieder nach ihr ausgestreckt. Das Kind biss sich kurz auf die Unterlippe und verkniff sich ein Lächeln. Dann nickte sie langsam, ging zurück um den dreibeinigen Schemel wieder aufzunehmen und ergriff die dargebotene, zierliche Hand der Edlen.

Vater hatte recht. Es war tatsächlich ratsamer, naiv und einfältig zu wirken. Die Menschen gewöhnen sich zu schnell und zu gerne daran, zu unterschätzen.

Mit nur einem leichten Zug am Knauf, schloss sich die Tür hinter den beiden lautlos und fast automatisch.
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Familiengeheimnisse - von Carmelina Tartsonis - 09.07.2015, 18:43
RE: Familiengeheimnisse - von Carmelina Tartsonis - 21.08.2015, 18:37



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