Das Leben nach dem Tod auf Svesur
#6
Ohne Halt trudelte sie gegen das Regal gefüllt mit all' den Phiolen und Schälchen unbekannten Inhalts und knickte ein, einen Arm schützend über ihren Kopf haltend, um den Sturz des auf sie fallenden Behältnisses von Aidans Heilerutensilien wenigstens etwas abzumildern. Ihren anderen Arm drückte sie gegen ihre Brust, während Schmerz wellenförmig mit dem galoppierenden Schlag ihres Herzens durch ihren Körper pulste. Er war verdammt noch mal zu gut in Form für einen Heiler, wie hatte sie das nur übersehen können. Sie verfluchte sich jetzt dafür, dass sie nicht wenigstens in einfaches Leder geschlüpft war, bevor sie Aidan zur Rede gestellt hatte, oder einen kleinen Dolch in ihrem Stiefel hatte verschwinden lassen. Tja, sie musste sich wohl eingestehen dass sie in den vergangenen Jahren mehr und mehr zur Hausfrau geworden war.

Er wusste natürlich ganz genau, wohin er zielgerichtet schlagen musste, um ihr wirklich weh zu tun. Er hatte ihre Wunden versorgt, sie gepflegt, als sie bewusstlos gewesen war, und kannte jede einzelne Narbe, jede Schwachstelle. Der einfache Stoff ihres Kleides trug auch so gut wie nichts dazu bei, seine Hiebe abzumildern.

Unnatürlicher Rauch war aus dem Kamin gestiegen und füllte den kleinen Raum mit dunstigen Schleiern, die in ihren Augen brannten. Die Türschlösser hatten sich mit einem lauten Schließgeräusch verriegelt. Es gab kein Entkommen, dafür hatte Aidan gesorgt. Er schien überall und nirgends zu sein. Ihm schien der Rauch nichts auszumachen und er wirbelte plötzlich daraus hervor, versetzte ihr mal nur einen neckenden, sie verhöhnenden Klaps, dann wieder einen harten Hieb oder einen Tritt gegen ihre Beine.

Einige dieser Attacken konnte sie abwehren, ganz so vergessen waren die Lektionen in waffenlosen Kampf doch nicht, aber die meisten Angriffen fanden ihr Ziel und ließen Cahira durch den Raum kreiseln. Sie glaubte auch nicht, das er so schnell damit aufhören würde. Seine ganze Frustration, dass sein lang angelegter Plan im Grunde genommen umsonst gewesen war und es letztendlich doch auf eine einfache Entführung hinauslaufen würde, musste sich ja irgendwo kanalisieren.

Das Regal kippte entgegen ihrer Erwartung nicht um, sondern entleerte auf ihr nur einige Flaschen und Bandagen, kam dann langsam wieder in den aufrechten Stand. Noch am Boden kauernd, tastete sie nach einer dieser Phiolen und schlug sie hart auf den Boden. Sie zersprang mit einem klirrenden Geräusch, stäubte rotes Pulver in die ohnehin schon vom Rauch verpestete Luft. Als sie hörte, wie sich seine Schritte wieder ihrer Position nährten, schoss ihr Arm dem Nebel entgegen, die scharfen Zacken voran. Ein überrascht, knurrender Laut und Blut auf ihrem Handschuh ließen sie befriedigt feststellen, das ihre kleine Attacke von Erfolg gekrönt gewesen war. „Schön, schön ... aber auch wenn du den gesamten Inhalt des Regals auf mich wirfst, wissen wir beide, wie das hier ausgehen wird.“ tönte seine Stimme aus dem Rauch.

Jenes Regal war schon immer Lionels bevorzugte Stelle im ganzen Raum. Er entdeckte immer wieder neue, spannende Sachen und Aidan hatte ihn gewähren lassen, wenn er Bandage um Bandage entrollte oder mit seinen kleinen dicken Fingern eine der bunten Flaschen begrabbelte. Die mit dem blauen Pulver schien besonders interessant zu sein. Cahira hatte ihrem neugierigen Sohn die Phiole entwendet und mit einem entsetzen Aufkeuchen nach einem Blick auf das Etikett das Behältnis außer Reichweite auf einen hohen Regalboden geschoben. „Wozu hast du dieses Zeug hier?“ „Du kennst es?“ hatte Aidan überrascht gefragt. Natürlich kannte Cahira Sandast, verstand nur nicht, warum Aidan eine ziemlich große Abfüllung davon in seinem Vorrat hatte. Einen so großen Vorrat für den jeder Süchtige auch noch sein letztes Fünkchen Selbstachtung verkaufen würde. Oder schlimmeres. „Wenn Du todkrank wärst, nicht mehr zu retten, unerträgliche Schmerzen ... dann würdest du dir doch auch Linderung wünschen? Es wirkt schnell, wenn es mit einem Messer ins Fleisch geschnitten wird und nimmt jegliche Gefühle. Keine Schmerzen, keinen Hunger, keinen Durst. Sofort süchtig machend, aber das ist in solcher Situation dann gleichgültig.“

Du hattest recht, Aidan. Es gibt keine Zufälle.

Wenn sie Glück hatte, stand die Glasflasche noch oben im Regal. Ächzend zog sie sich hoch. Sie konnte kaum etwas erkennen, der Rauch und ihre brennenden Augen taten ihr übriges. Doch dann, erleichtert erkannte sie den blauen Schimmer des verhassten Pulvers. Ihre Hand schloss sich schnell um die Phiole, sie tauchte wieder unter und robbte unbeholfen so rasch und leise es ihr eben möglich war, in die rechte Zimmerecke.

Keinen Moment zu spät. Aidan donnerte gegen das Regal, welches nun wirklich umfiel. Er konnte sich nur mit Mühe und unter Flüchen davor bewahren nicht selber unter dem schweren Möbelstück begraben zu werden. Das Sandast, welches sie gegen ihre Brust presste, wäre nun wohl verloren gewesen. Die so hart geführte Offensive deutete Cahira an, dass Aidan es wohl langsam satt hatte, mit ihr zu spielen. Er wollte zu einem Ende kommen, aber das war ihr auch recht so. Sie spürte ihren Arm kaum mehr, ihr Bein wollte ihr auch nicht mehr gehorchen. Sie konnte nur hoffen das Aidan noch immer nicht die Lust daran verloren hatte, den letzten Lebensfunken aus ihr heraus zu prügeln.

Durch ihren Tanz durch das Zimmer hatten sie einige Bandagen Richtung Kamin getreten und diese hatten sich entzündet. Sie brannten fröhlich vor sich hin. Als das Feuer die Bandagen verzehrt hat, fraß es sich durch den Holzboden, nährte sich an den verschiedenen Mixturen der aus dem Regal getrudelten, zersprungenen und zertretenen Behältnissen. Durch den Rauch bekam Cahira das im ersten Moment gar nicht mir, nur dass irgendwas zischte und ab und zu verpuffte.

Sie presste ihren Rücken gegen die Wand, schob sich schnaufend hoch und vermied es diesmal nicht, diese Geräusche zu unterdrücken. Er sollte ganz genau wissen, wo sich befand. Und tatsächlich prallte nur einen Wimpernschlag später ein hart geführter Schlag Richtung ihres Gesichts. Durch eine schnelle Drehung ihres Kopfes streifte die Faust, und das auch so schmerzhaft genug, ihre Wange und hämmerte gegen die Wand. „Habe ich dich.“ keuchte Aidan, der sie mit Hilfe seines hochgezogenen Knies in ihrem Unterleib und seinem ganzen Gewicht eisern gegen die Mauer presste. Und seine Hände schlossen sich um ihren Hals ...

Da er nun damit beschäftigt war, sie mit ernsthafter Innbrunst zu erwürgen, konnte Cahira ihren brauchbaren Arm irgendwie befreien und mit einem letzten Aufwallen von Kraft zerschmetterte sie das Glasgefäss genau auf seinem Gesicht. Selber versuchte sie die Luft anzuhalten, gar nicht einfach, wenn man zuvor gewürgt worden und der erste Impuls doch das Atemholen war, und die Augen zusammenzupressen; sie hatte keine Lust, mit diesem Pulver in Berührung zu kommen, auch wenn es ja hieß, nur über Blut setzte die verheerende Wirkung ein.

Sie hatte ganz sicher nicht an eine lähmende Wirkung geglaubt. Sie hatte aber gehofft, dass der Mann für einige Momente geschockt genug war, um aus dem Tritt gebracht zu werden, wenn er befürchten musste, welche gefährliche Substanz sich eventuell mit seinem Blut mischte. Aidan taumelte zurück. Das Glas hatte ihm das Gesicht zerschnitten; keine Verletzungen, die tödlich waren, aber sie konnten die ein oder andere unschöne Narbe hinterlassen. Das blaue Pulver hatte sich auf seine Augen, in seine Nasenhöhlen und seinen Mund verteilt und vermischte sich mit seinen blutenden Wunden im Antlitz.

„Was, was hast Du getan?“ fragte er ungläubig und wischte sich mit seinen Händen im Gesicht herum. Dann starrte er seine blauen Pulverhände an. Cahira hatte noch immer den Kopf der Flasche in ihrer Hand, es klebte noch immer Pulver an den Schnittstellen und im Flaschenhals. Sie zuckte vor und zerschnitt ihm sein Wams und drückte weiter, bis sie spürte, wie sich das gezackte Glas in sein Fleisch bohrte. Wenn er nicht eine ordentliche Portion Sandast durch die Wunden in seinem Gesicht abbekommen hatte, dann wohl jetzt. Er schien den Schmerz auch gar nicht mehr wahrzunehmen. Kein Laut kaum über seine Lippen, er zuckte noch nicht einmal. Sein Blick war leer. Ohne Mühe konnte sie Aidan mit einem Stoß ihrer Schulter Richtung Kamin schubsen.

Er brach überraschenderweise am Kamin zusammen und kaum, dass er da ausgestreckt zum Liegen kam, sprangen die Türschlösser wieder auf. Der Rauch lichtete sich jedoch kaum und die Hitze hatte während ihres letzten Gefechts stark zugenommen. Die hungrigen Flammen fanden den am Boden liegenden, mit Pulver bestäubten Leib und nahmen ihn viel zu rasch für sich ein.

Irrsinnigerweise zögerte Cahira statt gleich das Weite zu suchen und sich vor dem sicheren Flammentot in der Hütte zu bewahren. Ihr erster Impuls war es, zu dem Mann zu laufen, die Flammen notdürftig auszuklopfen, um dann zu versuchen, ihn hier rauszuschleifen. “Lauf, du dumme Gans” murmelte Aidan. “Du kannst nicht alle retten.” Ganz abgesehen davon, dass ihr körperlicher Zustand es wahrscheinlich gar nicht erlaubt hätte, den schweren Körper nach draußen zu schaffen, bliebe er doch wohl noch immer ein hinterlistiges Subjekt, welches ihrem Sohn schaden wollte. Dieser Gedanke ließ sie herumfahren.

Sie humpelte zur Tür, hinaus in die nun eisige Nachtluft. Es tat gut nach der stickigen Hütte tiefe Züge frischer Luft in ihre Lungen zu saugen; die Kälte brachte ihr zum Teil ihre Lebensgeister zurück. Hinter ihr brannte die Hütte nun lichterloh und die Flammen leckten gen Himmel. Beobachter, deren Blicke Richtung Küste wanderten, nahmen wohl an, dass es sich dabei um ein weiteres Lagerfeuer am Vorabend zu Ceílil handeln musste. Cahira schaute nicht zurück und schleifte ihren geprügelten Körper immer weiter den altbekannten Weg Richtung Hof ihrer Sippe.
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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RE: Zukunft - von Cahira Mendoza - 05.04.2015, 18:18
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