Das Leben nach dem Tod auf Svesur
#4
Sie stapfte ziemlich kopflos zu Aidans Hütte nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Lionel in einem Knäul müder Kinder wohlig schlief, und sie ihren Verlobten nirgends hatte finden können. Auch Aidans Söhne lagen in diesem Haufen und schnarchten.
„Das ist nur ein Missverständnis .... ein Zufall!“ hatte sie mit jedem ihrer Schritte gemurmelt, als ob sie dadurch Wahrheit hätte herauf beschwören können. Nach einem tiefen, kraftschöpfenden Atemzug war sie in die Hütte getreten, nachdem sie Feuerschein im Inneren hatte ausmachen können.

Aidan stand vor dem Kamin, die Arme auf dem Rücken verschränkt. Er blickte noch nicht einmal hinter sich, als er leise feststellte, wer da in sein Heim und seine Wirkungsstätte gedrungen war. „Cahira. Nach dem Gespräch mit Jovane wusste ich, dass du kommen würdest. Früher oder später.“ Feuerschein zuckte über die Theke, über die einfachen Schemel und die Liege, über das Regal mit seiner Ausrüstung. Trotz der Wärme im Raum lief ein Schauer über ihren Rücken. „Kannst Du mir das erklären?“ Mit dann zusammengepressten Lippen legte sie die aufgefalteten Pergamente - Verlautbarung und Rezept - auf die Theke. „Sag mir bitte, dass es nur ein ... Zufall ist.“

Erst dachte sie, er würde sich gar nicht mehr bewegen, dann drehte er sich zum Tisch um, nahm beide Pergamente in die Hand, betrachtete sie eingehend und als er aufblickte, umspielte ein eisiges Lächeln seine Lippen. „Der alte Narr hätte diese Bekanntmachung verbrennen sollen. Schade eigentlich, ich habe mir solche Mühe damit gegeben.“ Ehe Cahira es hätte verhindern können, landeten beiden Aufzeichnungen in den verzehrenden Flammen des Kaminfeuers. „Du .. leugnest es nicht .. wie .. warum?“ stammelte sie kopfschüttelnd. Vor Unglauben erschlaffte ihre ganze Gestalt, der Raum begann sich langsam aber sicher um die eigene Achse zu drehen.

Der Mann, der drei Schritte vor ihr stand, hatte so gar nichts mehr mit ihrem Aidan gemeinsam. Er glich eher einem Raubtier, welches seine Beute belauerte. In seinen sonst so sanften Augen glänzte ungesunder Wahn, die Falten in seinem Gesicht schienen sich tiefer in die Haut gegraben haben, seine Stimme war kalt wie ein zugefrorener See im Winter. „Ich leugne nicht, dir alles genommen zu haben, was dir wichtig gewesen ist. Ich habe Korporal Mendoza getötet, habe dir deine Kameraden und Freunde genommen und zum Schluß noch Kyron. Und dann habe ich diese Leere mit meiner Freundlichkeit und Zuneigung gefüllt, bis du bereit gewesen bist, mich zu heiraten. ICH HABE ES AUF DIE GUTE WEISE VERSUCHT!“ brüllte er unvermittelt und trat um die Theke herum, während Cahira zur entgegengesetzten Seite zu kreisen begann, um so den Abstand zwischen sich und diesem plötzlich Unbekannten zu wahren.

„Dann war alles eine Lüge?“ fragte Cahira leise und versuchte ihn zum weitersprechen zu animieren. Einerseits es war eine beinahe perverse Neugierde auf das, was Aidan zu berichten hatte, auf der anderen Seite versuchte sie so Zeit zu schinden, bis ihr eingefallen war, wie und vor allem womit sie auf diese unerwartete Situation reagieren konnte.

„Ich musste ja mein Geld verdienen und trieb mich in den unterschiedlichsten Heilerhäusern herum, immer in der Nähe von Ärger und Gewalt. Und ihr mit eurer kleinen ... Unternehmung ... nenne ich das mal so, habt eine Menge Gewalt mit euch gebracht. War es ein Zufall, das dein Vater seine Überfahrt nach Svesur verpasst hatte, weil er einen alten Bekannten getroffen und sich bei mehreren Humpen Bier verplappert hat, war es ein Zufall, das Lionel so krank geworden ist, dass dein Vater vor Verzweiflung einen Heiler aufsuchen musste, und dabei ausgerechnet auf seine zerfetze, sterbende Tochter traf? Ich glaube nicht an Zufälle! Ohjah, gestorben wärst Du, wenn ich dich den fähigen Händen meiner Kollegen anvertraut hätte.“ spie er verachtend aus.

Wie Seán nun einmal war, hatte er Aidan sein Leid geklagt, nachdem dieser sich als williger Zuhörer für die Sorgen eines Vaters empfohlen hatten. Seine Tochter, eine Soldatin. Immer diesen Gefahren ausgesetzt. Und was würde dann aus Lionel werden, wenn sie sterben würde? Seinem Schwiegersohn war doch nicht zu trauen, der säuft sich durch ganz Amhran. Am liebsten hätte er gehabt, wenn sie ein normales Leben führen würde, fernab von Krieg, diesem zigarrenrauchenden Hauptmann, eine eigene Familie gründen und ihm eine ganze Horde Enkel schenken würde. Aber er wusste, das würde sie nicht. Sollte sie diesen neuerlichen Verletzungen nicht erliegen, würde sie, sobald sie wieder einigermaßen aufrecht stehen konnte, zu diesem vermaledeiten Soldatenhaufen zurückrennen und sich hackenschlagend zurück zum Dienst melden. Aber dagegen können wir doch etwas tun, hatte Aidan jovial geantwortet.

„ICH habe dafür gesorgt, dass Soldat Cahira Mendoza als verstorben galt - nicht schwer im Angesicht deiner Verletzungen. ICH habe dich nach Svesur geschafft. ICH habe dir den Keim der Gewissheit eingepflanzt, die einzige Überlebende eines einzigartigen brutalen Gemetzels zu sein. Aber der Keim hätte nicht gedeihen können, hättest du nicht tief in deinem Inneren daran geglaubt. Es muss wirklich aussichtslos gewesen sein, als dein Hauptmann dich nach Verstärkung geschickt hat, nicht wahr? Und das in all‘ den Jahren nicht ein einziger deiner geliebten Truppe kam, um dich zu suchen, hatte das Ganze natürlich ungemein erleichtert.“

Cahira stolperte rückwärtig über den keinen Schemel, den Aidan bei der letzten Kreisrunde unbemerkt hinter der Theke in ihre Trittrichtung geschoben hatte, rappelte sich wieder auf, aber da war er schon bei ihr und drängte sie mit dem ganzen Gewicht seines Körpers an die Wand. Sie versteifte sich, wehrte sich gegen seinen festen Griff, der sich unbarmherzig um ihre Handgelenke spannte. Den Kopf so weit möglich von seinem Gesicht abgewandt, konnte sie den unangenehmen Atem seiner leisen, giftigen Worte auf ihrer Wange spüren.

„Um unser Vorhaben, dich in Svesur endgültig zu binden, musste natürlich auch Kyron sterben. Ich wusste nicht, ob du von seinem kleinen Aufenthalt im Gefängnis gewusst hast, aber auch taten deine innersten Ängste um deinen Ehemann, die Befürchtung, dass es einmal so kommen musste, mir einen großen Gefallen. Aber keine Sorge, wärst du nicht so schwach vom Blutverlust deiner Wunden gewesen, hätte zumindest dieser Schwindel nie gelingen können. Dein Vater jedoch zögerte. Er konnte sich mit Kyron zwar nicht anfreunden, aber er wusste, dass dich dieser Verlust töten könnte. Als ich ihm erklärte, das es sein müsse und wir dieses Risiko eingehen mussten, drohte er mir, dass er zu dir gehen und alles erzählen würde.“ Aidan lachte bösartig auf. „Und da musste ich ihn auch ... beeinflussen. Leider entglitt mir die Kontrolle, da seine Abneigung gegen Kyron wohl nicht so tief verwurzelt war wie der Widerwille, dass seine Tochter einen Mann wie mich heiraten würde. Und dieses bevorstehende Fest, Seáns innerliche Zerrissenheit, seine Aufregung, diese ganzen Leute, ich konnte mich nicht richtig konzentrieren.“

Auch bei ihr musst er aufpassen; immer die richtige Dosis an Tee, Kräutern, Mixturen, Freundlichkeiten, Worten um den Keim des Wissens um den Verlust ihrer vorherigen Existenz am Leben zu halten, stetig zu nähren. Und sie erinnerte sich daran, wie sie von ihm eigentlich immer etwas zu trinken in die Hand gedrückt bekam: Säfte, heißer Wein mit Kräutern, Wasser, welches irgendwie einen komischen Geschmack gehabt hatte, er dies aber abgetan hatte, dass galatianisches Wasser eben so schmecken würde ... Etwas zu viel nur hier oder davon, dann hätte er den ihr ureigenen Instinkt geweckt, dass es immer Hoffnung gab.

Cahira schluckte hart und lauschte. Irgendwie musste sie sich doch aus seinem Griff befreien können. Seine Stimme war nun schon einen geraumen Moment verstummt und langsam, vorsichtig drehte sie ihren Kopf zur Seite, um sich Auge in Auge mit ihrem Angreifer zu sehen. Wispernd und bedauernd seine Worte nun: „Und das schlimmste ist, ich habe dich wirklich gern, Cahira. Ich habe gehofft, in dir erneut eine starke Partnerin zu finden, so wie es meine vorherige Frau gewesen ist. Sie hatte mich verstanden, meine Ambitionen unterstütz.“ Da war er wieder, der Aidan, der ihr Freund gewesen war. Also war nicht alles eine Lüge gewesen; ein gebrochenes Herz konnte man nicht vortäuschen. Sie war irgendwie froh, das er tatsächlich ein Herz zu haben schien.

„Dann ging es dir um eine Hochzeit und Familie? Hättest du das nicht einfacher mit einer anderen Frau haben können?“ Laut auflachend ließ er sie unvermittelt los, trat beinahe taumelnd ein paar Schritte zurück und hielt sich die Stirn.
„Du hast es nicht begriffen. Keiner begreift es. Keiner sieht es. Es ging mir um Lionel, immer um Lionel!“
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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RE: Zukunft - von Cahira Mendoza - 05.04.2015, 18:18
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