Das Lied der Klinge
#14
Wanderlied

Von dem Berge zu den Hügeln,
Niederab das Tal entlang,
Da erklingt es wie von Flügeln,
Da bewegt sich's wie Gesang;
Und dem unbedingten Triebe
Folget Freude, folget Rat;
Und dein Streben, sei's in Liebe,
Und dein Leben sei die Tat.
(...)


- Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)

~*~

Kyrons eisiger Blick wanderte an der Schneide des Schwerts entlang und ins Gesicht des Kindes, während dieses ein lautes, klägliches Heulen anstimmte, und sich mit einer Hand plärrend die Augen wischte. Wie alt es sein mochte, das wusste er nicht. Ein Jahr? Zwei? Fünf? Zehn? Es sah zumindest nicht aus wie jemand, der Türen verriegelte und Häuser anzündete.
"Hör auf zu weinen, ich tu dir ja nichts," grollte er kurz entschlossen in etwas, das er bisher für einen beruhigenden Tonfall gehalten hatte, und machte einen Schritt vor um das Balg zu schnappen. Natürlich sah es die Bewegung kommen und wandte sich zur Flucht ab, aber der Hosenbund an der Rückseite geriet dabei in Kyrons Finger, und er hob es einfach daran hoch wie einen unhandlichen Tragekorb.
Mit dem Hosenbund als Griff war auch das Gestrampel weniger störend, auch wenn das kleine Ding weiter schrie als sei es auf dem Weg zum Schlachter. Mit verzogenem Gesicht beschleunigte Kyron seinen Schritt, und trug den Jungen zügig aus der Koppel, zwischen den brennenden Hütten hindurch und hin zu Liam, der mit feuchten Tüchern am scheinbar besinnungslosen Druiden herum tupfte.
Der Anblick der brennenden Hütten brachte auch das Kind dazu, sein Schreien einzustellen, auch wenn penetrantes Schniefen und Schluchzen erhalten blieben. Die Laute waren es auch, die Liams Aufmerksamkeit erregten, und ihn kurz von seinem Tun aufblicken ließen. "Was hast du denn da gefunden?" fragte er in einem Tonfall, der wesentlich großväterlicher und freundlicher war als Kyrons, und ihn insgeheim in Neid erblassen ließ.
Anstatt zu antworten trat Kyron dichter an den Bewusstlosen und den alten Fischer heran, drapierte das Kind so vorsichtig wie er vermochte auf den Boden, und machte zwei Schritte zurück. Der braune Schopf des Kindes verschwand prompt und mit etwas Staub aufwirbelndem Gestrampel hinter Liam, dann fixierten zwei helle Augen Kyron über Liams Knie hinweg. Der Blick hatte etwas überaus Erzürntes an sich, genug Empörung um Kyron aufschmunzeln zu lassen.
Das Schmunzeln wurde nicht wohlwollend aufgenommen, und das Kind - ein Junge, der Stimme nach - kauderwelschte etwas in der lokalen Zunge, die Kyron nie erlernt hatte, und wohl auch nie erlernen würde. Was auch immer es war das er gesagt hatte, es ließ Liam kurz auflachen und seinen Kopf tätscheln, bevor er ähnlich zungenbrecherisch antwortete.
Ein weiterer sträflicher Blick des Jungen streifte Kyrons schwer gerüstete Gestalt, dann wurde das Gespräch fortgesetzt, diesmal auf einer Basis die ihn selbst von Blicken ausschloss. Nicht dass es ihn interessiert hätte was die beiden zu sprechen hatten. Kyron verwandte die Zeit lieber darauf, sich umzusehen, und die nächsten Schritte zu überlegen.
Beide Hütten waren nicht zu retten, das Feuer zu löschen hätte höchstens dafür gesorgt dass die Druiden das halb verbrannte Holz wegschleppen müssten, also verschwendete er keinen Gedanken auf das Löschen. Einen verwundeten Druiden jedoch zu tragen vermochten ein Gerüsteter, ein alter Fischer und ein kniehoher Knirps sicher nicht, und der Mann sah aus wie jemand, der dringend eines Heilers bedurfte. Kyrons Augen hielten am Koppelzaun an, und er legte den Kopf schief. Die Stangen waren vielleicht etwas zu massiv und damit schwer, aber im Großen und Ganzen zumindest von der richtigen Länge.
Mit einem "Pass auf dass der Knirps nicht durchbrennt" marschierte er einmal mehr los, zurück zum ehemaligen Schafgatter. Im Kopf spielte er die Planung durch während er zwei der dünneren, langen Querstangen aus der Verschnürung löste, und Nägel mit feisten Tritten lockerte. Zwei Stangen, dazu ein Stück Stoff so groß wie ein Umhang, und möglichst reißfest. Wenn man den Stoff geschickt wickelte, und die Enden auf der Liegefläche auslaufen ließ, wurden sie durch das Gewicht der Fracht fixiert und sie hatten eine Trage. Vermutlich würden sie öfters mal anhalten und das Gebilde richten müssen, aber der Gedanke war korrekt.
Während er die Stangen aufhob, bemerkte Kyron einmal mehr wie das Kind ihn finster und empört beobachtete, und dann einige Worte zu Liam sprach. Vermutlich beging Kyron gerade einen lokalen Affront gegen die Götter mit seiner praktischen Ader, aber zumindest Liam schien nicht aufgebracht oder gekränkt, und beschäftigte sich mehr damit den Jungen zu beschäftigen als sich über zerstörte Zäune zu echauffieren. Es war wohl eher der Knick im jungen Stolz, der hier für Gewitterwolken sorgte.
Die nächste Zeit beschäftigte Kyron sich damit, Liams Umhang und ein paar Stücke Angelschnur aus seinem Gepäck mit den zwei Stangen zu kombinieren, bis er sich halbwegs sicher war, dass das Gebilde einen Verletzten tragen würde. Der Junge hielt sich die meiste Zeit nahe Liam auf, konnte aber nicht umhin das Tun mit typischer kindlicher Neugier auch einmal aus der Nähe anzusehen.
"Er stammt aus dem Dorf das du suchst," erklärte Liam, als sie schließlich soweit waren, ihr Gepäck wieder aufzuladen. "Ich verstehe nicht ganz wie er hierher kam, aber er sagte ein Onkel habe ihn her gebracht, und sei in einen Streit mit dem Druiden geraten. Mehr wollte er mir nicht sagen."
Liams besorgte Miene war durchaus angebracht, und die Schilderung brachte Kyron dazu missmutig die Zähne zu blecken. Er hatte gute Lust, das Kind am Fuß hoch zu halten und ihn erst wieder abzusetzen wenn er mit dem Rest heraus gerückt war, aber er verstand die Sprache nicht, und irgendetwas sagte ihm, dass Liam nicht so ergebnisorientiert eingestellt war, wie die Schwere Silendrische Infanterie. Angeblich, so hatte er gehört, runzelten normale Menschen die Stirne darüber, Kinder kopfüber in die Luft zu heben. "Dann nehmen wir ihn mit zum Dorf, und sehen was die Leute sagen," entschied er schließlich mit einem Schulternzucken, und machte sich daran den Druiden auf die Bahre zu ziehen. "Es wäre besser wenn du Tragen hilfst, Liam, aber wenn es dir zu schwer wird kann man ein Ende auf dem Boden schleifen lassen. Ich habe es langsam eilig damit, mein Ziel zu erreichen... Das Unglück scheint mir omenhaft zu folgen."

Gesagt, getan. Liam trug das hintere Ende der Bahre, während Kyron das Vordere trug, und der Junge lief tatsächlich ohne Murren mit ihnen mit. Er schien Liam zu kennen, oder aber den Druiden, und Kyron war froh dass er nicht auch noch einem Kind nachrennen musste. Er hatte schon viel zuviel Zeit verloren.
Hin und wieder musste Liam sein Ende der Bahre absetzen wenn ihm das Gewicht zuviel wurde, aber selbst dann kamen sie gut voran, begleitet vom schnarrenden Knirschen von Holz auf Sandstein und Gras. Dreimal auf der Strecke packte Kyron ein seltsam mulmiges Gefühl, das ihm die Magengegend zusammen zog und die Haut am Nacken jucken ließ, aber so sehr er sich dann auch umsah, er konnte nie einen Auslöser dafür entdecken. Vermutlich waren es die überaus fremdartigen Wälder, deren Bäume mit jedem Schritt den sie tiefer taten höher und höher wurden, bis sie schier das Firmament selbst zu halten schienen, und Wolken sich in ihren Ästen verfingen.
Es dämmerte, als sie das Waldstück am anderen Ende wieder verließen, und nicht nur der Junge, sondern auch Liam wirkten am Ende ihrer Kräfte. Nicht dass es Kyron viel anders ergangen wäre, hatte er doch die meiste Last zu tragen und zu ziehen, aber er hatte immerhin das fast tägliche Training mit der Waffe als Kräftevorrat, von dem er zehren konnte.
Im beginnenden Zwielicht konnte Kyron eine Reihe von Lichtern über den Hang und am Rande des Waldes hin und her wandern sehen, und entfernte Rufe klangen näher, erinnernd an einen Namen, den er nicht ganz verstehen mochte. Für einen Moment hielten alle drei inne, und Kyron und der Junge legten gleichzeitig den Kopf schief, die Stirn runzelnd im Bemühen, die Rufe zu verstehen. '...nel!'
Unten am Fuße des Hanges konnten sie die Palisade des kleinen Dorfes erkennen, '... ioon..' und so manchen Gebäudeumriss, beleuchtet von Außenfackeln und Kerzenlicht, unüblich hell für einen üblichen Abend in einem Bauern- und Handwerkerdorf. 'Liiiii...' "Kommt, es ist nicht mehr weit, packen wir's an," brummte Liam im Versuch, aufmunternd zu klingen, und griff das Ende der Trage einmal mehr. '...onellll!'
Sie begannen den Hang hinunter zu tasten, während der Junge ein paar Schritte voraus lief, inne hielt und sich auf den Fingern kaute, den Blick unsicher auf die am Waldrand tanzenden Lichter gerichtet. Mondlicht flackerte knochenfahl in seinen hellen Augen. 'Lionelll!'
Kyron runzelte die Stirn, und machte einen kleinen Bogen mit seiner Last, um den Jungen nicht über den Haufen zu rennen. Dann jedoch musste er an sich halten um die Trage nicht vor Schreck ganz fallen zu lassen, denn im nächsten Moment rannte der Junge los, und schrie in perfektem Amhranisch:
"Opa Séan! Opa Séan! Hier bin ich!"
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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