Das Lied der Klinge
#13
Sei dennoch unverzagt, gib dennoch unverloren,
Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid,
Vergnüge dich an dir und acht es für kein Leid,
Hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.

Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren,
Nimm dein Verhängnis an, lass alles unbereut.
Tu, was getan muß sein, eh man dir's gebeut.
Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.

Was klagt, was lobt man doch?
Sein Unglück und sein Glücke
Ist sich ein jeder selbst. Schau alle Sachen an,
Dies alles ist in dir. Laß deinen eitlen Wahn,

Und eh du vorwärts gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,
Dem ist die weite Welt und alles untertan.


- Paul Fleming (Flemming) (1609 - 1640)

~*~

Der Weg gen' der windverrissenen Rauchfahne war beschwerlich für den Alten, dessen Brust sich immer noch vor Panik verengte und ihm das Atmen schwer machte. Ohne Liam hätte Kyron wohl in einem kraftsparenden Trott schon weitaus näher kommen können, aber er kannte weder das Land noch die Leute, und hielt es für unsinnig, voran zu stürmen. Er wäre dann zwar früher dort am Feuer, aber er hätte beileibe nicht gewusst, was wohl zu tun sei und ob alles mit rechten Dingen zuging. Also hielt er sich an der Seite des Fischers, nahm ihm sein Reisegepäck ab um ihm zumindest das zusätzliche Gewicht zu lichten, und behielt eine Hand am Griff seines Bastardschwerts, während er die unebene Umgebung im Auge behielt.
Sattgrüne, regengenährte Gräser säumten den Wegesrand zu beiden Seiten, immer wieder durchsetzt mit den weißen Blüten der Schafgarbe, die vor allem an den Gipfeln der Hügel ein gutes Heim fanden, und selbst Mithraskerzen und Gwynnklee sättigten die Weiden mit ihren fröhlichen Farben. Hin und wieder konnte Kyron ein Vogelbeergebüsch ausmachen, das sich in die Mulden abseits des Weges drängte um dem Wind zu entkommen, und der Geruch von Schafs- und Hasenkot rangelte sich eifrig mit dem durchdringenderen Gestank von Füchsen.
Zwei Rebhühner, eines davon mit einem imposanten Schwanzfederkleid, stieben kreischend und aufmerksamkeitsheischend davon, als Liam von dem kalkigen Trampelpfad abwich um einem Wildwechsel zu folgen, den er für zielführender hielt, aber ansonsten war die Stille nur vom Wind und dem ab und an heran getragenen Blöken von Schafen durchbrochen.
Es dauerte eine gute halbe Stunde gesunden Fußmarschs, bis das Paar dem Wald und seinem Schutz vor Wind nahe genug kamen, um auf einen wesentlich breiteren, benutzteren Weg zu stoßen, aber wie alle anderen Straßen war auch dieser weder bepflastert, noch sonst irgendwie markiert. Wenn jemals eine Invasion Galatias stattfand, überlegte Kyron mit einem verhaltenen Schmunzeln, so würden die Soldaten wohl eher an der Schriftlosigkeit und der fühlbaren Wildheit des Landes scheitern, als an der Kampfeskraft der Inselbewohner.
"'s ist nicht mehr weit," keuchte Liam neben ihm. Die Panik des alten Mannes hatte gegen den Marschweg nicht lange anhalten können, und auch wenn immer noch Sorge in tiefen Furchen sein sonnengegerbtes Gesicht durchzog, so schien der erste Schreck nun grimmiger Entschlossenheit Platz zu machen. Mit einem Seitenblick musterte er den Gerüsteten neben sich, die Verbundteile an den Schultern und dem Rumpf, die Bänderbeine und Handschuhe, den gewitterwolkenblauen Wappenrock mit den gekreuzten Klingen, und schniefte. "Ich halt' mein Versprechen auch und bring dich ins nächste Dorf, aber-" begann er seine Entschuldigung, und wurde mit einem kräftigen, einmaligen Kopfschütteln unterbrochen.
"Ein Heiligtum der Götter könnte in Gefahr sein, ich wäre dir vergrämt wenn wir nicht nachsehen was los ist," erwiderte Kyron knapp und in seinem üblichen, schleppenden Tonfall. Insgeheim war er sich unsicher, wie er mit der Situation umgehen sollte. Was war ihm mehr wert, sein Sohn oder die Götter? Es war eine Frage, die er unmöglich beantworten konnte, und über die er auch nicht nachdenken mochte. Soweit er es wusste, war Lionel bei seinem Großvater Shem - Séan - und damit in Sicherheit. Ob Kyron in drei Stunden oder einer Stunde dort ankam, würde keinen Unterschied machen... Ob er den Schrein vorher besuchte und ein potenzielles Buschfeuer löschte, oder nicht, würde hingegen sehr wohl einen Unterschied machen, und er war der Letzte, der es sich mit den Göttern verscherzen mochte. Am Ende war es eine Prüfung der Einundzwanzig um zu sehen, ob seine Absichten mit seinem Glauben überein gingen, und tat er dies nicht, wer wusste schon was geschehen würde.
Liam schien in jedem Fall erleichtert, und schritt kräftiger voraus, nun da sie den fast ebenerdigen, leichter begehbaren Weg erreicht hatten. Der Waldrand rechts von ihnen zog sich mal näher und mal ferner, und ab und an konnte Kyron Geäst dort drinnen knacken hören, das auf die rasche Flucht eines Hirschs oder Wildschweins hindeutete. Das Blöken der Schafe erklang von der anderen, linken Seite des Weges, und wurde nun konstanter, nicht mehr von der Stärke des Windes abhängig.
Schließlich sahen sie die ersten verwirrten, ungeschorenen Biester mal nervös im Kreise irren, mal seelenruhig grasen und mal argwöhnisch zu ihnen starren. Mispelsträucher durchzogen ein kleines Tal wie Pocken auf dem Gesicht eines alten Mannes, und die Schafe hatten diesen kleinen Hain als ausreichend Schutz vor was auch immer empfunden, um ihre wilde Flucht einzustellen. Keines von ihnen wirkte verletzt oder mitgenommen, auch wenn sie selbst aus der Distanz von einigen Schritten verdächtig nach Ruß rochen. Die meisten der Schafe hatten einen blauen Farbklecks auf ihrem Hinterteil, und Liam deutete auf diese und erklärte: "Das sind die Opfertiere für das nächste heilige Fest, sie sollten eigentlich in einer Koppel beim Heiligtum eingesperrt sein."
Da keiner von ihnen ein Hirte war, und da die Schafe noch dazu irgendwie freigekommen sein mussten - entweder dadurch, dass jemand die Tore geöffnet hatte, oder aber dadurch, dass die Koppel zu Bruch gegangen war - gaben sie sich nicht länger mit den Tieren ab, und wanderten zügiger voran. Zwei weitere Hügel und ein größeres Tal mussten sie noch umrunden, dann öffnete sich die Landschaft plötzlich zu etwas wie einer Tiefebene, deren Boden schneeweiß wie Knochen zum Himmel leuchtete, schimmernd wie Marmor, nur stellenweise durchbrochen von kleinen Inseln von Gras und dürren Sträuchern. Und mitten darin saß eine vielfarbige, schillernde heiße Quelle, die Fontänen kochenden, salzig riechenden Wassers spuckte, und sich dabei in eine schiere Unzahl von flachen, kreisrunden und kaskadenartig übereinander liegenden Wasserbecken ergoss.
Es war, als hätte Kyron einen Schritt in eine andere Welt getan. Die schiere andersartige Macht des Ortes trieb ihm eiskalte Schauder den Rücken hinab und mochte ihm beinahe die Haut vom Körper kriechen lassen. Grüne, rote, gelbe und gar blaue Schlieren drängten sich wie vom Wasser verwaschene Finger an den glänzenden Wänden des Geysirs hinauf, als versuchten sie zurück in jene Tiefen zu kriechen, aus denen sie einst gekommen waren. Dichte Libellenschwärme flirrten über den weiten, runden Wasserbecken, die ferner von der sprudelnden Hitze entstanden waren, und ab und an konnte Kyron eine Forelle von unerhörtem Ausmaß aus den völlig stillen, klaren Fluten springen sehen, um eines der Insekten zur Mahlzeit zu machen.
Liam, der trotz eines kurzen Innehaltens recht zügig weiter gegangen war, hielt nun inne und sah zu ihm zurück. "Wir haben keine Zeit für eine Andacht! Dort drüben, die Hirtenhütte und die Unterkunft der Druiden brennt!" rief er, und deutete abseits auf die linke Seite, wo gegen die Hügelseite abseits von dem Schauspiel einige verkohlte, flammenspuckende Hütten lagen.
Am liebsten wäre Kyron umgedreht und gerannt, so sehr trieb die schiere Kraft des Heiligtums ihm die Angst in die Knochen, aber er tat es nicht. Gegen die Macht der Götter konnte kein Ort, keine Flucht, keine Waffe etwas tun, und es würde keinen Unterschied machen ob er vom Blitz in drei Werst Entfernung erschlagen wurde, oder hier, während er die Hütten löschte.
Begleitet vom Knarzen und Klirren seiner Rüstung und dem lustigen Holzklappern aus seinem Gepäck rannte er Liam hinterher. Sie hielten beide erst an, als die Hitze des Feuers spürbar wurde, mitten zwischen den brennenden Hütten und der Koppel mit dem bisher noch unangetasteten Unterstand.
"Wieviele Menschen leben hier normalerweise?" fragte Kyron, während er zügig das Gepäck ablegte und auch den leichter brennbaren Wappenrock abnahm. Nur das Kopftuch, das sein langes Haar aus dem Weg hielt und ihn nun vor Funken schützen würde, blieb ihm erhalten.
Liam schien kurz zu überlegen, erschwert durch seine Verzweiflung bei dem unschönen Anblick. "Ein Hirte, ein Druide, normalerweise. Also zwei," erklärte er, und sah sich suchend um, als versuche er die Männer ausfindig zu machen.
Mit einem letzten Kontrollblick auf die Brandfestigkeit seiner Aufmachung setzte Kyron sich in Gang und lief zu der ersten Hütte, um die Türe mit dem Stiefel rasch einzutreten bevor er sich vor der Hitze zurück ziehen musste. Trotz des Rauchs und der Flammen konnte er die verkohlte Gestalt einer Leiche ausmachen, in deren Brust ein Dolch oder Küchenmesser steckte. Der Griff war abgebrannt, nur das Metall verblieb, und selbst dieses war geschwärzt von der Hitze. Kopfschüttelnd lief Kyron zur nächsten Hütte, die etwas größer und weniger verbrannt war, und stieß auch diese auf, nur um im nächsten Moment zurück zu stolpern, als ein hustender, halb besinnungsloser Mann zur Türe heraus stolperte, die weißen Roben fast völlig abgebrannt, und um Luft ringend wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Liam kam bei dem Anblick des Mannes armewedelnd und schreiend angerannt, stürzte sich regelrecht auf den Halbtoten und zerrte ihn mit der energischen Besorgnis eines Tiefgläubigen fort vom Feuer und hin zu ihrem Gepäckshaufen. Das war dann wohl der örtliche Druide, was bedeutete, dass der andere, tote Mann wohl der Hirte gewesen war.
Damit waren alle Einwohner gefunden, und alles getan, was zwei Männer tun konnten. Kyron runzelte die Stirn. Wieso fühlte er sich also immer noch unruhig und nervös?
Mit verengten Augen drehte der Krieger sich auf dem Absatz, betrachtete die fröhlich brennenden, langsam zusammenfallenden Gebäude, die Koppel, deren Zaun an einer Stelle abgebrannt war, und schließlich den windschiefen Unterstand, der bis auf ein paar kleine Qualmfahnen erstaunlich unversehrt geblieben war.
Der Hirte war da. Der Druide war da, wenn es auch unsicher war ob er überleben würde. Wieso hatte er die Türen auftreten müssen? Der Hirte war tot gewesen, jemand hatte ihn also getötet, und dann das Feuer gelegt. War es der Druide gewesen? Hatte er Feuer gelegt, um den Tod des Hirten zu vertuschen, und es war einfach im Unfall auf sein eigenes Haus übergegangen? Aber wieso hatte Kyron dann die Türe des Druiden ebenfalls eintreten müssen, obwohl dieser offensichtlich bei Sinnen gewesen war als das Feuer ausgebrochen war?
Mit einem leisen Knurren und einem Ruck setzte Kyron sich in Bewegung, schwerer, großer Schritte auf den Unterstand zu.
Irgendjemand hatte den Hirten umgebracht, und den Druiden eingesperrt. Irgendjemand hatte Feuer gelegt, vermutlich an beiden Hütten gleichzeitig. Irgendjemand war noch hier.
Seine Hand schloss sich um den Griff des Schwertes, zog die lange, jungfräulich neue Klinge drei Handbreit aus der Scheide, als er über die verkohlten Balken der Koppel stieg, bedacht darauf nicht zuviel Lärm zu machen, wenn schon völlige Stille nicht möglich war. Irgendjemand hatte ein Heiligtum der Götter angegriffen, Druiden zu töten versucht, die Ruhe dieses heiligen Ortes gestört. Kalter Zorn stieg in seinen Adern auf, als er sich dem Rand des Unterstands näherte.
An der Kante hielt er kurz inne, zog sein Schwert völlig und spannte sich an, in das Innere lauschend. Stroh raschelte, Holz knarzte leise. Die Schafe waren nicht da, die Schafe waren fort, Schafe blieben immer in ihren Herden, eselsköpfig wie sie waren. Kein Schaf wäre hier zurück geblieben, was bedeutete, dass jemand dort drinnen herum schlich.
Mit einem tiefen Atemzug wirbelte Kyron um die Ecke schwang sein Schwert mit kalter Präzision, und hielt die Schwertspitze...

... an die Kehle eines winzigen Kinds.
Leises Tröpfeln gesellte sich zu den anderen Geräuschen, während sich die braune Hose des Balgs mit Urin benetzte, und aus den riesigen, panikweiten Augen ein Schwall von Tränen schoss.
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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