Das Lied der Klinge
#9
I found your soul smashed on these stairs
Right or wrong?
Lament stands backed in corners
(It's all a mistake)
You know you're sorry, you're sorry, you're sorry, your soul...
(It's all a mistake)
Put our loved ones in the oceans
(It's all a mistake)
We've spent our loving on the cold steps
But one of these days


Spectre (Love is Dead) - Christian Death

~*~

Es war, als würde sie dort stehen, und gleichzeitig an einem anderen Ort sein. Der zwielichtgraue Hintergrund verschwamm, veränderte sich zu tausend anderen Situationen in denen er sie angesehen hatte. Ein Schlachtfeld, der Boden aufgewühlt und mit frischem Regenwasser durchtränkt wie ein Schlammfeld der Hohenmarschen. Hier und dort Körperteile, oder ganze Körper, reglos auf dem Boden, für ewig ein Teil der Erde. Eine kalte, feucht-glitschige Steinwand, schwarz gefärbt vom Ruß, den Flechten und den Algen, die sich in Kolonien daran angeheftet hatten. In Ketten an einem Pfahl, hinterlegt von Kyrthon Dureths grinsender Totenkopfmiene, wie sie hinter Dorkalons massiger Gestalt verschwand. Vor brennenden Bauernhütten, mit Rußflecken im Gesicht und einem schiefen Grinsen auf den Lippen, während sie die Hand eines kleinen Buben hielt, der angesengt aber unverletzt war.
Sie trat näher, und für einen Moment schnürte Kyrons Hals sich von ganz alleine zu. 'Keine Rüstung, keine Waffe, in einer Stadt wie Löwenstein', sagte sein Verstand, und erinnerte ihn an die vielen kleinen Momente der letzten Wochen, die seine letzten hätten sein können. All das blühte nun auch noch ihr, und für die Dauer von sieben Herzschlägen wünschte er sie wo anders hin, an einen anderen Ort, weit, weit weg von Kordian und der Infanterie.
Die Schmiedeglut warf Schatten, und ein jedes Zucken in ihrer Nähe trieb sein Herz an, schneller zu schlagen. Was, wenn jetzt schon jemand auf sie lauerte? Was, wenn jemand sie schief ansah, oder ihm fortnahm, wie es schon in der Vergangenheit geschehen war? Was sollte er dieses Mal verkaufen, nun wo seine Seele schon verloren war? Er war mittelloser als der ärmste Mann auf der Irdischen, wenn es zu Dingen kam die ein Menschenleben wert waren.
Mit zwei großen Schritten war er bei ihr, schlang die Arme um sie und spähte dabei panikerfüllt über ihre Schultern, während sie einen Regenguss an Tränen auf seinen Wappenrock niedergehen ließ. Immer noch änderte sich der Anblick der Umgebung mit jeder schaudererregenden Erinnerung, die ihn heimsuchte. Der Hohenmarschener Sumpf, Cahira auf einem Pferd, Kordian mit dem gepanzerten Fuß im Maul eines der Sumpfkrokodile. Eine Axt, ein Schlag, Blut, Blut überall, während der abgetrennte Kiefer des Krokodils Beiß- und Rissbewegungen vollzog wie ein finsteres Echo. Die einzelnen abgebrochenen Zähne, die hernach aus Kordians Bein geschnitten werden mussten, Cahiras konzentrierte, gerunzelte Stirn als sie das Messer führte. Jemand würde sie stehlen, jemand stahl sie immer, aber dieses Mal würde er gefasst sein, gewappnet, bereit.
Wenn er nur jeden Winkel im Auge behielt, wenn er nur jedem Menschen zuvor kam, zuvor darin, sich Cahira zu nähern, wenn er nur jeden auf Armeslänge hielt, dann würde es dieses Mal, dieses Mal, endlich gut gehen. Dann würde er vielleicht glücklich sein. Sein Herz klopfte schmerzhaft gegen die Rippen.
Selbst Arthars und Kordians Anwesenheit war zuviel für seine Nerven. Ein dummer Kommentar von Arthar, und die Götter wussten davon hatte der Hauptmann für jede Situation genügend, und er würde Kordian endlich einen Grund geben, ihn wirklich zu degradieren. Wie er sie fort bekam war ihm egal, für das Abwägen von Konsequenzen war keine Zeit. Ein Anblaffen musste reichen, und das tat es auch. Mit unauffälligen Bewegungen tastete Kyron Cahira auf Verletzungen ab, fand aber zu seiner Erleichterung keine. Sie sprach und schniefte und erzählte, und Kyron hatte größte Mühe, den Worten zu lauschen während sein Blut vor Eifer kochte.
Ein Beutel blauen Pulvers, das Pulver das die Welt in Watte und Wolle packte, und selbst die Flammen in seiner Brust ersticken ließ. Unzählige, dutzende blaue Linien an seinen Armen, dort wo er sich geschnitten hatte um es ins Blut zu bringen, manche sehr hell, fast weiß, manche hellblau wie der Himmel, andere tiefblau oder dunkelviolett, wo das Blut das Blau verfälschte. Cahira's Gesicht, verzweifelt darum bemüht ihre Abscheu zu verbergen, das leichte Vertrauen in ihrer Stimme, mit dem sie ihm versicherte, dass sie darauf baue dass er wisse was er tue. Das Bewusstsein, dass es eine Lüge war. Eine große, gewaltige Lüge, die er nicht berichtigte, denn es fehlten die Schuldgefühle. Das Sandast hatte sie fortgewaschen, gemeinsam mit allen anderen Emotionen und allem, was ihn an die Irdische band.

Kyrons Kopf pulsierte, als er das Schwert vom Amboss nahm und in die Scheide am Gürtel schob. Er konnte unmöglich mit blanker Waffe durch die Stadt gehen, nicht wenn Cahira dabei war. Eine blanke Waffe wäre für seine Nerven eine Einladung gewesen, jeden Passanten notfalls mit blutiger Gewalt fort zu treiben. Seine Finger schlossen sich eisern um den Griff der Waffe, hart genug dass das dicke Leder der Handpanzerungen sich schmerzhaft in die weiche Haut rund um die Gelenke biss. Klares Denken war ihm fern, ein fremder Hauch den sein zitterndes Hirn nicht einsortieren konnte. Instinkt sagte ihm, dass er Kordian finden musste, dass Kordian nicht von den Bildern geplagt sein würde, dass dieser planen und entscheiden können würde. Dinge veranlassen würde, die nichts mit einem Blutbad in den Gassen zutun hatten. Er musste es nur bis zu Kordian schaffen, ohne sie zu verlieren, und ohne dass jemand sie entführte. Seine Hand schloss sich krampfend um die ihre, und sie wanderten los. 'Lauf! Lauf endlich!' rief er ihrer mit Spuren der Misshandlung gezeichneten Form hinterher, während er sich klirrend in die Ketten warf. 'Das ist keine Zeit für Heldentum! Helden sterben, und dann besingt man sie! Ich will dass du lebst!'
Sie rannte, wie der Wind so schnell. Hinfort in die krüppeligen Bäume, nach Westen, immer nach Westen, und Kyron sackte zurück in die Ketten, die ihn an den Pfahl banden. Sein Ziel war erreicht, die Frau die er liebte frei von den Peinigern, die sein Untergang sein würden. Sie hatte nicht verstanden was er getan hatte, hatte nicht verstanden welchen Teil von sich er für ihre Freiheit verkauft hatte. So und nicht anders sollte es bleiben, es war mehr als genug wenn sein Geist sich mit der monumentalen Sünde beschäftigen musste, die er damit begangen hatte. Cahira war frei, und würde frei bleiben, das war alles was wichtig war. Mit einem leisen, kehligen Knurren entspannte er sich, und ergab sich seinem Schicksal.

Der Weg durch die Stadt war eine Folter, die ihresgleichen suchte. Kyron wäre gerne gerannt statt gegangen, aber das hätte einer Erklärung bedurft, die er Cahira nicht geben konnte. Wer bedrohte sie? Niemand... noch. Wo befand sich die Gefahr? Nirgendwo... noch. Waren diese Menschen gefährlich, denen sie begegneten? Nicht wirklich... noch. Also beließ er es bei einem entschlossenen, zügigen Marsch, der vor allem durch Cahiras gemächlichen, neugierigen Schlenderschritt und Kyrons ständige Wache in alle Richtungen verlangsamt wurde. Erst als sie Kordian und Arthar nahe am Tor zum Armenviertel erreichten, schlug ihm das Herz weniger hart gegen die Rippen, und der Schweiß unter der Rüstung wurde zu einer kühlen, unangenehmen Schicht.
Wusste der Hauptmann was in Kyrons Kopf vorging? Vermutlich nicht, aber sein Anblick, die Faust um den Schwertgriff, die nackte, gewaltbereite Angst in seiner Miene und die stetigen Blicke zu Cahira, um sich derer Anwesenheit zu versichern, waren wohl genug des Hinweises. Kordian ließ den Panischen gewähren, deeskalierte und sorgte dafür, dass das Schwert niemals die Scheide verließ. Umschlossen von den Wänden der roten Katz' besserte sich der Wahnzustand etwas, und für einige Momente wagte Kyron sogar sich zu setzen. Die Bilder aber, sie verschwanden nicht. Es war eine Reise ohne einen Schritt tun zu müssen, von Ort zu Ort, Zeit zu Zeit, Zustand zu Zustand. Tavernen in Guldenach, Lilienbruch, Hammerhall, Biertische in Feldlagern, in privaten Bleiben, eine nach der anderen, lebensecht, mitreißend, schneller und schneller.
Irgendwo in dem Strudel an Panik musste er wohl eine Schankmaid bedroht haben, und es war Grund genug für Kordian, einzuschreiten. Seine Stimme war wie eine Lebenslinie, an der Kyron sich entlang hangeln konnte, der Docht der in der Dunkelheit eine winzige Insel Licht schenkte. Legionäre kamen, ihre roten Wappenröcke wie blutige Lätze. Sein Instinkt sagte ihm, dass er nun die Waffe nutzen musste, sie ziehen, den Stahl befreien, die Schneide singen lassen sollte, aber er vertraute seinem Instinkt nicht. Stattdessen konzentrierte er sich auf Kordians Stimme, Cahiras Anblick auf der Bank, und lauschte, lauschte angestrengt auf Befehle. Befehle zu befolgen war einfach, und erforderte keine Meinung und keine Abschätzung, kein Abwägen. Er war ein Blinder mit einem Mordwerkzeug, und Kordian seine Augen.
Da war keine Erleichterung als der Befehl zum Ausrücken kam, keine Gram über den verpassten Kampf. Cahira und Arthar folgten Kordian, Kyron sicherte den Rückzug mit wirr zuckenden Pupillen. Legionäre, Kultisten, Legionäre, Kultisten, sagten sie, lockten ihn die Waffe doch noch zu ziehen, und wurden ignoriert. Und immer noch schien Kordian zu ahnen, was in Kyrons Kopf vorging. Ohne weiteres Vorspiel wurde der Marsch nach Zweitürmen angetreten, und endlich, endlich konnte Kyron den harten Griff um das Schwert lockern.
Als die Mühle in den Blick kam, da grinste er plötzlich. Cahira war da. Cahira war zurück. Was kümmerte ihn der Rest? Alles würde gut werden.
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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Das Lied der Klinge - von Kyron Mendoza - 06.03.2015, 13:44
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