Das Lied der Klinge
#7
Ein Traum

Es dämmerte, als Kyron schweissgebadet zusammenzuckte und die Augen öffnete. Die Wirkung des Sandast begann langsam wieder abzuflauen, die Phase zwischen dem Ende der Wirkung und dem Beginn der Entzugserscheinungen schien erst vor kurzem begonnen zu haben, denn nicht nur der Schmerz der Wunden, sondern auch wilde, von dumpfem Schrecken erfüllte Träume hatten ihm schlussendlich den totengleichen Erschöpfungsschlaf geraubt. Eine kalte Brise umfasste seinen erhitzten Leib, liess ihn schaudern, als er die Finger an die Schläfen presste und versuchte, die Nachklänge der Alpträume zu verdrängen.

Spoiler Gewaltwarnung, FSK 18
Da hing sie in Ketten, Cahira, ihr unschuldiges Gesicht vor Angst und Schmerz verzogen. Sie rief um Hilfe, flehte ihn an ihr zu helfen, doch er konnte sich nicht bewegen, konnte nicht zu ihr gelangen, so sehr er es auch versuchte. Eine Hand mit einem Dolch näherte sich ihr, und als die Spitze sich flach unter ihre Haut schob, sie vom Fleisch löste wie eine Tasche, hallten ihre spitzen Schreie durch das Tal.
Noch während er sich gegen seine unsichtbaren Fesseln warf und ihren Namen brüllte, heulte, verwandelte sich das zarte, unschuldige Gesicht in den leiderfüllten, unendlich traurigen Ausdruck Isabelle's. Anklagende, trauernde Augen starrten ihm entgegen, als die folternde Hand das Emblem des Vielgehörnten unter die gelöste Haut schoben, die Wunde verheilen ließen...

Kyron begann zu zittern, zog sich vorsichtig unter der Decke hervor um Cahira nicht zu wecken, und schob sich zwei Schritt weit weg, bevor er die Arme um den Oberkörper schlang und verhalten ächzte. Einige Momente würde er es noch ertragen können, bevor er wieder zu der Droge greifen musste, doch diese Momente wollte er auskosten. Nur ein wenig...
Schritte tönten auf der Treppe, ein Schatten erschien am Gitter. Er blickte auf, erkannte die Umrisse, presste einen Moment hart die Lippen aufeinander. Isabelle. Wie nicht anders zu erwarten, sein Schicksal holte ihn ein wie die Vergangenheit.
Sie gebot im leise aufzustehen, forderte dass er seine Hände durch das Gitter zwängte sodass sie ihn fesseln konnte, und er kam ihrem Wunsch nach. Sie zog ihn aus der Zelle, schleppte ihn zu dem Pfahl an dem Blut vergangener Verhöre klebte, und auch diesmal kam er wortlos und fügsam ihrem Wunsch nach und hob die Arme, sodass sie die Eisenmanschetten um seine Handgelenke schliessen konnte. Einen Moment lang musste er das Beben der Gier nach dem Sandast unterdrücken, doch dann kehrte die Restwirkung zurück und ließ ihn sich beruhigen.
Isabelle wirkte gefasst, vielleicht ein wenig enttäuscht, auf jeden Fall schien der Wahn der sie vor einigen Wochen noch so gepeinigt hatte wie weggewischt. Er kannte dieses Phänomen von sich selber, und dennoch war er erleichtert zu sehen dass ihr Geist wieder klar war.
„Du weisst dass der Kult Cahira niemals geholt hätte, wenn du nicht so töricht gewesen wärst?“
Schuldzuweisungen. Er hasste es, es lief immer darauf hinaus wer schuld hatte. Er wollte es nicht hören, er hasste den bloßen Gedanken an eine Möglichkeit seiner Schuld. Doch Isabelle war nicht zu bremsen, und doch so kühl, sachlich, erklärend, dass ihre Worte eigentlich nur die Wahrheit sein konnten.
„Ich hatte dir gesagt du sollst dich verstecken. Du hast sie gewarnt, Weigori hat sie gewarnt, ich habe es dir prophezeit. Was hast du anderes erwartet? Im Prinzip ist sie doch selbst schuld an allem und zieht dich nur tiefer. Du könntest ihr all dies ersparen, Kyron.“ Ihre Hände legten sich an das Gitter der Zelle, in welcher Cahira ihren unnatürlich tiefen Schlaf schlief, und gedankenvoll fragte sie: „Soll ich sie für dich töten?“

Götter im Himmel bitte bringt sie zum Schweigen.. bevor ich wahnsinnig werde!

Er schwieg, nicht fähig zu antworten. Was konnte man auf so eine Frage schon sagen? Es war richtig, grausam wahr, dass ihr Tod sie vor so vielem Elend bewahren würde, aber andererseits, war es Kyrons Recht über ihr Leben oder ihren Tod zu entscheiden?
„Dein Zögern deute ich als ja, Kyron.“ Ihr Schmunzeln hätte eine ganze Lawine ins Rutschen bringen können, so ölig und boshaft war es.
Mechanisch schüttelte er den Kopf, flüsterte leise "hör auf", das Letzte was er herausbrachte, bevor die Wirkung des Sandast endgültig verflog und eine Welle des Zorns gestärkt durch die schmerzende Gier seines Körpers ihn überrollte.
„Ich verabscheue dich, und ich verabscheue Cahira! Ihr Weiber bringt nichts als Qual und Pein, ihr seid mir alle zusammen völlig egal! Es ist ihre Schuld dass sie da ist, und sollte sie zum Kult überlaufen werde ich sie ebenso töten wie dich!“
Eine ganze Reihe von boshaftesten Beschimpfungen dröhnten durch den Zellentrakt, entlockten Isabelle ein zufriedenes, belustigtes Schmunzeln, und als er innehielt, von Krämpfen gebeutelt, säuselte sie „So gefällst du mir besser, dieser Zorn ist viel echter als diese ständige Unberührtheit und Kälte.“
Einen Moment schwieg sie, dann forderte sie das Sandast ein und nahm es ihm nach kurzer Durchsuchung ab. Seine Augen folgten dem Beutel lauernd, als sie ihn vor seiner Nase schwenkte, und er ahnte bereits was kommen würde noch bevor sie die Frage laut stellte.
„Was würdest du tun damit ich es dir zurückgebe?“

Sandast... Ogmas Segen...

Er keuchte auf, dann ließ er den Kopf hängen. Wozu noch Gegenwehr, sie hatten doch alles was er wollte, wonach er sich sehnte, was er brauchte... Cahira, das Sandast, Gesellschaft... Und schliesslich würgte er die Antwort heraus, vor Scham kaum fähig sie anzusehen.
„Alles... Alles.“
„Würdest du Cahira dafür töten?“ Erneut klang sie so schrecklich belustigt, interessiert.
„Nein, niemals!“ seine Antwort klang überzeugter als er selbst es war, wie er zu seinem tiefen Schrecken feststellen musste. Natürlich wäre er irgendwann bereit für nur ein Quäntchen Erlösung und Schutz selbst seinen Lebensfunken zu töten. Irgendwann...
Isabelle nickte, als hätte er ihr damit etwas bestätigt, und schliesslich war sie bereit ihm den Schnitt zu setzen, das Pulver hineinzustreuen.
„Du solltest Cahira auch etwas davon geben...“ Er hatte geahnt dass sie sich auch diese Spitze nicht verkneifen können würde, doch die Antwort kannte er schon lange. „Niemals.“
Schritte ertönten weiter unten, durchbrachen ihr Gespräch, welches sich mehr und mehr um Vertraulichkeiten zu ranken begann, metallische Schritte die Kyron wohl wenige Momente zuvor noch hätten vor Panik erzittern lassen. Dorkalon erschien an der Treppe, warf ihnen beiden einen knappen, eisigen Blick zu, dann herrschte er: „Akolythin, bindet ihn los und nehmt ihn mit euch.“

~*~

Mit einem gepressten Keuchen fuhr Kyron aus dem Schlaf. Die Finger schlossen sich schneller um den Dolchgriff unter dem Kopfkissen, als er die Augen öffnen konnte, und für einen Augenblick glaubte er, die schweren, metallisch klirrenden Schritte jenes Mannes zu hören, der ihn damals in den Untergang gerissen hatte.
Mit stockendem, rasselndem Atem und weiten Augen starrte er durch die Finsternis, während der Dolchgriff von Angstschweiß durchtränkt wurde. Die Türe zu der kleinen Hütte schwang auf, und für einen Moment glaubte er, sein Herz würde ihm aus der Brust springen. Der Dolch war schon halb unter dem Kissen hervor gewandert, als Kordian gepresst aufhustete, wohl scheiternd darin niemanden zu wecken.
Der Drang zu lachen oder etwas zu sagen war für einen Herzschlag beinahe übermächtig, aber Kyron verbiss ihn sich eisern. Kordian lebte in glücklicher Unwissenheit über die Dinge, die Kyron erlebt hatte, und selbst Cahira kannte nur kleine Teile, Ausschnitte, nicht das gesamte Bild. Keiner von ihnen hatte jemals gefragt, warum er manchmal Nachts aufsprang und das Haus verließ, keiner hatte jemals gefragt, woher die Narben an seinem Körper stammten, und keiner hatte jemals an ihm herum genörgelt, wenn er einmal die Nacht wachend und auf den Beinen verbrachte. So wollte er es, und so sollte es sein.
Keiner würde die Bedeutung all der kleinen Dinge erfahren, die Kyron am Leibe trug, sagte, oder sah wenn er Nachts aufwachte, und er betete täglich zu Gwynn darum, dass jene, die es wussten, niemals wieder auftauchen würden. Hoffte im Stillen, dass dieser Traum kein Omen war, als er die Augen schloss und den festen Schlaf mimte, während der Leutnant sich in seine Liege wuchtete, begleitet von den üblichen kleinen Flüchen.
'Aber Ärger besteht aus drei Schwestern', erinnerte sein Verstand ihn. Und der Traum, der war nur die erste Schwester. Solange keine weiteren folgten, war alles gut.
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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Das Lied der Klinge - von Kyron Mendoza - 06.03.2015, 13:44
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