Das Lied der Klinge
#3
Es mochte auf den ersten Blick so erscheinen, als sei die Kampfschule am Marktplatz der beste Ort, um die so lange ignorierte Kompetenz der Einwohner ohne allzu viel des Aufdrängens ins Auge zu fassen, aber Kyron fand recht schnell heraus, dass der Ort verlassener als eine sechzigjährige Konkubine war. Anderthalb Tage des Herumstehens und Beobachtens waren genug, um das recht zweifelsfrei festzustellen, und so war es nötig, einen neuen Spähposten ausfindig zu machen.
Nun stand er in der feuchten Frühlingskälte, eingehüllt vom Geruch nach Pferdedung, verschwitztem Fell und Lederseife, umgab sich mit der üblichen Wolke aus Tabak- und Nussblattrauch, und beglückwünschte sich im Stillen zum Kauf der Handschuhe, die endlich gegen die immer noch aufdringliche Kühle schützten.
Der Stalleingang neben dem Taxidermisten, oder Trophäenhändler, wie man den Kerl benennen wollte, erwies sich als weitaus fruchtbarerer Ort für Beobachtungen, auch wenn nur wenige Menschen sich aus der stetigen Menge an vorbeiziehendem Volk heraus taten. Solange er in der Schnapsflasche gelebt hatte, waren ihm andere Menschen auf eine solche Art zuwider gewesen, dass er sich keine große Mühe dazu gegeben hatte, sie genauer zu mustern. Nun aber, wo es nicht mehr darum ging, sich in ein frühes Grab zu saufen, sondern eher darum, sich und alle die er je gekannt hatte aus dem frühen Grab heraus zu schaufeln, erschien die Welt plötzlich als Ort voller Möglichkeiten.
Nicht, dass Kyron jemals geschickt mit Menschen gewesen wäre, aber darum ging es glücklicherweise nicht. Jene Interaktionen, die für seinen Späherposten von Bedeutung waren - schauen, merken, einschätzen - erforderten zumindest keine nette Persönlichkeit.
Vermutlich war sein schmeichelhaftes Auftreten auch mit der Auslöser dafür, dass sich in sonst recht phlegmatischen Menschen die ersten Funken von tatsächlichem Leben offenbarten. Es war schwer, einen abgewrackten, gerüsteten, rauchenden Maulhelden zu ignorieren, wenn man gerade von einer erfolgreichen Jagd zurück gekehrt war, besonders dort, wo es nach Ross, Dung und dem Schweiß harter Arbeit roch.
Am Vortag noch hatte seine plumpe Art, Dinge beim Namen zu nennen, zu einer äußerst befriedigenden - wenn auch unemotionalen - Prügelei am Turnierplatz geführt, die ihn zwar entspannt und gut gelaunt zurück gelassen hatte, aber gleichzeitig nichts gegen den Hunger Gwynns in seinen Adern auszurichten vermochte.
An diesem Tage jedoch erschien es, als habe er die furchtsamsten Menschen Löwensteins gefunden, und zeitweilig war es ihm, als sei selbst die Arbeit sich von der Wand fort zu drücken zuviel des Einsatzes.

Die Menschen Löwensteins waren ängstlich, faul, selbstversichert und herrisch geworden. Oder immer schon gewesen? Zweitere Vermutung hing wie ein finsteres Henkersschwert über Kyrons Kopf, als er den namenlosen Mann mit seinem Ross fortreiten sah. Keine fünf Augenblicke zuvor hatte er noch mit Gesetzen, Wache und Verboten gedroht, statt der Aufforderung des Kriegers zu folgen und einfach sein Pferd auf die Seite zu stellen, und nun - mit der schieren Bewusstheit dass ein Wächter des Gesetzes neben ihnen stand - schien der Mann alle Einsprüche und Beschwerden vergessen zu haben.
Kyron grinste matt, und vollendete das nächste Tabakröllchen mit einem schmalen Band aus Speichel an der Papierkante. Früher oder später würde er mit dem Spiel nahe dem Trophäenhändler aufhören müssen, aber vorerst schien es fast so, als vermisse so mancher Krieger beim Betreten der Stadttore plötzlich sein Rückgrat. Es wäre vermessen gewesen, sein Tun als wohltätig zu bezeichnen, denn wenn er ehrlich war schien einfach alles unterhaltsamer als ein reibungsloses Leben zu führen, aber dennoch... eines Tages würde einer der Menschen beschließen, sich nicht mehr ducken zu wollen, und Kyron würde dort sein, und Abzeichen verteilen.
So wie es früher gewesen war, so sollte es erneut werden. Es war nur eine Frage der Zeit.
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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Das Lied der Klinge - von Kyron Mendoza - 06.03.2015, 13:44
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