Von Leuchtfeuern und Seemannsgarn
#13
Episode 13 - Die Vollkommenheit der See

Im Hartung1404
Löwenstein und die Küsten von Servano




Seit einigen Tagen war der Galatier bereits jeden tag aufs Neue früh Morgens, sobald das Tageslicht anbrach, vom Leuchtturm hinabgestiegen und hinaus aufs Land gereist. Die Strände und engen Schlaufen der Flüsse waren seine Ziele.
Er suchte Steine.
Nicht irgendwelche Steine.
Ganz besondere Steine.
Und letztlich - nur einen, den einen Stein.

Um die geistige Gesundheit des Leuchtturmwärters war es gut bestellt, keine Frage. Der Mineralogie hing er auch nicht nach, wie es viele Studenten und Meister der Hermetik taten. Vielmehr war er auf Geheiß des Rabenkreises unterwegs, der für die Anwartschaft entsprechende Vorgaben gemacht hatte, so musste Lysander unter anderem diese Suche nach einem ganz bestimmten Stein bewerkstelligen. Die Druiden, zu deren Kreis er einmal gehören wollte, machten sich sicherlich nichts aus dem Objekt an sich. Es war, darüber war er sich im Klaren, mehr eine geistige, spirituelle Übung.
"Finde einen Stein, der die See in ihrer Vollkommenheit darstellt."
Was also sollte es werden? Er hatte im Laufe der Tage so manchen Stein aufgelesen und schnell wieder verworfen. Von der See rund geschliffene, faustgroße Steine, manch unförmiger Brocken - ja, sogar ein Stück Bernstein war darunter, was ihn doch sehr überraschte, so weit im Süden.
Aber nein, das als Wink der Götter zu deuten, lag ihm fern. Bernstein mochte für sich zwar schön anzusehen und von gutem Wert sein, wenn er von schöner Struktur und Qualität war. Doch die See vermochte er in seinen Augen keinesfalls zu repräsentieren, vielmehr war er ein Kind ihrer selbst.
Am dritten Tage fand er letztlich das, wonach er suchte. Es war auf den ersten Blick unscheinbar, ein Brocken Flint, wie man ihn zum Schlagen von Feuer nutzte. Hätte er ihn nicht zuerst übersehen und wäre deswegen nicht über ihn gestolpert, wie er es an jenem tage tat - er wäre einfach an ihm vorbei gelaufen. Doch da, als er beinahe fiel, riss er den Brocken aus dem ihn umgebenden Sand und legte die Besonderheit seiner selbst frei: Er hatte einen verdammten Hühnergott gefunden!
So nannte man Stücke von Flint, die der See entwichen eines oder mehrere Löcher aufwiesen und denen man magische Kräfte apotropäischer Natur nachsagte.
Sein Ohm hatte immer solch einen Stein mit sich getragen, wenn wer zur See gefahren war. Wie eigentlich fast alle seine Ahnen und Verwandten, gute Seeleute, wie sie alle waren und sind.
Dieser Hühnergott-Flint spiegelte die See in ihrem ureigensten Charakter wider: Es vermochte zu zerstören (indem er unkontrolliertes Feuer entfachte), er vermochte Leben zu schenken oder zumindest zu bewahren (die Wärme des kontrollierten Feuers) und in der unberechenbarsten Form auftreten (mal ein Loch, mal zwei oder mehr in den wildesten Formen). Er war wie die See ein Segen, ein Fluch und vor allen Dingen unberechenbar.

[Bild: 320px-H%C3%BChnergott%2C_150615%2C_ako.jpg]
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