Von Leuchtfeuern und Seemannsgarn
#9
Episode 9 - Ungebunden

09. Hartung 1403
Löwenstein




"Was verschlägt euch hierher, Hauptmann?"
So oder so ähnlich hatte der Wirt Nefyr ihn in der Nacht auf den 09. gegrüßt.
Der ehemalige Ratsherr, nun Wirt und Mitglied der Grauwölfe konnte nicht wissen, dass der Hauptmann zu diesem Zeitpunkt ebenso ein Ehemaliger war.
Kaum war es kundgetan, floss auch schon der Alkohol. Nortgarder Met, das beste, was ein Galatier auf Amhran finden konnte - immerhin glich es entfernt dem, was sie in seiner Heimat tranken.
Seit der Entlassung trank Lysander noch mehr, als zuvor. Erfahrungsgemäß dauerte dieser Zustand nicht lange, denn dazu war er zu teuer - tatsächlich ließ er an diesem Abend sämtlichen Met anschreiben - aber es half. Half, zu vergessen.
Er konnte dem edlen Vogt nicht verübeln, so gehandelt zu haben, das war das ärgerlichste daran. Wie viel leichter wäre es, wenn er seine Landsfrau einfach schmähte und verfluchte - dafür, dass sie ihn wegen vermeintlicher Korruption (Pah! Jeder steckte doch 'was ein!) und Untätigkeit (Keine verbrechen, wo kein Täter, da kein Stadtknecht!) aus der Wache entlassen hatte, dafür, dass sie die unsere Götter schmähte...
Doch er tat es nicht. Sie war, so sehr sie nach seinem Empfinden von der Macht auch verändert worden war - sie kannten sich immerhin noch aus Kindertagen - doch nur ein Blatt, das im Wind des Reiches wehte. Jeder von ihnen war durch Eide gebunden, auf irgendeine Art. Was Lysander anging, gehörte das nun jedoch der Vergangenheit an, seit Eirene ihn von dem Schwur, den er als Hauptmann auf sie geleistet hatte, entbunden hatte.
Er war wieder frei, ungebunden, leer.

Gewiss, er hatte noch die Arbeit auf dem Leuchtturm, die ihm viel bedeutete, war er dem Meer doch so nahe, wie er es im Moment sein konnte. Dennoch war die Stadtwache ihm in den Jahren, die er dort gelebt, gearbeitet und geblutet hatte zu einer Art von zweiten Sippe geworden. Diese hatte er nun verloren. Was tun? Wochen saufend im Leuchtturm verbringen und mit dem Schicksal hadern? Damit war er durch.
Er erinnerte sich vielmehr der Zeit, als er noch für die Bande von Nikolaj als Schmuggler im alten Hafen gearbeitet hatte. Da war er vor der Wahl gestanden: Gehst du (als Spitzel) zur Stadtwache oder zu den Grauwölfen? Die Stadtwache hatte damals obsiegt. Nun, da sie keine Option mehr war, trachtete der Galatier danach, den Wölfen einen Besuch abzustatten.
Gestern hatte er auch schon Antwort von ihnen bekommen: Sie würden ihn unter Sold nehmen.

Wenn das Purpur des Königs ihm schon verwehrt wurde, würde er nun eben das Grau tragen. Geld stank bekanntlich nicht, ob es nun aus der Kasse des Löwensteiner Vogts kam oder der eines Auftraggebers - was spielte das nun schon noch für eine Rolle.

Und vielleicht konnte er seinem alten Freund aus Rekrutenzeiten in der Stadtwache noch eine helfende Hand reichen. Das würde die Zukunft zeigen.



Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Episode 6 - Alltag - von Lysander O'Domhnaill - 08.01.2015, 16:47
RE: Von Leuchtfeuern und Seemannsgarn - von Lysander O'Domhnaill - 09.01.2016, 09:01



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste