Der Pilger
#4
Erst spät wird der Novize es an seine Schlafstatt in dieser Nacht geschafft haben. Spät – und aufgewühlt. Der unruhige Schlaf einer einzelnen Priesterin im Raum, allem voran die Gedanken daran ob sie jemals wieder voll genesen wird, wenn sie ihren Leib weiter so schindet, tun ihr übriges um dem jungen Mithras-Diener jeglichen Schlaf zu verwehren.

Der ruhige Schlaf der Mithras Dienerin direkt neben ihm hingegen - zumindest erscheint sie in in ihrem Bett nicht besonders geräuschvoll - scheint immerhin etwas besänftigend zu wirken, wenngleich auch um sie seine Gedanken kreisen, die durch die wohlmeinenden Worte eines Legionärs erst recht in Bewegung gebracht wurden.

Und doch – wo es so viel gäbe, um dass es sich zu sorgen und grübeln lohnte, kehren seine Gedanken stets wieder an einen Ort zurück. Zum Schiff. Zum Feuer. Der Novize schließt die Augen und beginnt die Luft einzusaugen, eine Luft die nicht mehr die des Raumes ist, sondern die rauchgeschwängerte, verkohlte Luft im Sumpf. Bruchstückhafte Teile seiner Erinnerung führen ihn zurück zum Entfachen des Feuers durch die Priesterin, Gebete, Worte des Glaubens – und schließlich: Das Gebet. Der Novize kann, selbst mit geschlossenen Augen, das Beben in seinem Körper spüren, die Aufregung, die innere Euphorie, ja sogar die Erregung, als das Feuer unter dem Donnern ihrer Worte immer höher schlug, mächtiger wurde. Die Wärme der Flammen drang an seine Haut wie die liebkosende Wange einer nackten Geliebten und er selber wollte nicht mehr als diesen Gedanken auf ewig festhalten, sich darin verlieren, sich selbst zum Gefangenen des brennenden Wracks machen.

Mithras' Feuer verschlang, forderte ein und wurde stärker, je inbrünstiger die Worte der Kleriker wurden. Ein Schaudern zog über seinen Körper hinweg und begann, seine eigene Hitzeproduktion zu steigern, als müsse ihm etwas peinlich sein oder als sei er einer entkleideten Schönheit begegnet. Der Körper des Novizen wusste nicht wohin mit seinen eigenen Gefühlen und der Sucht, der Sehnsucht nach den Flammen, die wahrscheinlich längst verloschen waren. Kurz blitzte der Gedanke des Jehann-Hundes in seinen Gedanken auf, wie er erwartungsvoll zu seinem Herrchen blickte, aus seiner angeleinten Gefangenschaft doch nichts negatives zu berichten wusste und hechelnd jedem Knochen nachjagte. Das Feuer war in dieser Nacht sein Knochen. Es war nicht etwa so, dass es die Flammen, die Wärme an sich waren – hätte er doch mit ein paar Zündhölzern schnell beliebig viele Feuer entfachen können. Nein, es waren die heiligen Flammen, derer er angesichtig geworden war, dieses Aufwallen von Stärke und Macht, welche die Flammen über das zerfallende Schiff erlangten als ihre Gebete stärker wurden und sie sich immer mehr in den hochschlagenden Zungen des ausgelösten Infernos verloren – oder zumindest hatte Arhenius das getan.

Er fühlte sich den Flammen so verbunden, wie seinen Händen, seinen Innereien, seinem Herzen und er spürte, je länger er seine Gedanken zurückführte, wie stark sich diese Empfindungen in eben jenes Herz hineinbrannten und sich klauenartig darum krallten. Die Flammen waren eine Entscheidung gewesen, ein gemeinsamer Wille, eine Verlängerung dessen was sie unter Anleitung der Priesterin zu vollbringen gedachten. Dem Schiff war jegliche Existenz verweigert worden und der Herr nahm es aus der Gleichung der Welt heraus, entfernte es schlicht und ergreifend durch das Feuer. Diese heiße, hell leuchtende Glut, die sich über alles legte, sich wild und ungezähmt am Ende seinen Weg über alles bahnte, was sich ihm entgegen stellte – ein aus Hitze und Feuer geschmiedeter Bezwinger der Wirklichkeit. Der Körper des Novizen bäumte sich inmitten dieser Gedanken auf, nicht aus Unwillen, nicht Schmerz, sondern aus Sehnsucht, diese Empfindungen nicht nur denken, sondern neu erleben zu können, das Feuer wieder zu einem Teil von sich zu machen, auch wenn er nur einen Beitrag geleistet hatte, eine Teilmenge des Ganzen gewesen war.

Das Aufbäumen war der finale Akt, der Moment in dem er die Augen öffnete und sich der Tatsache gewahr wurde, dass er am Schwitzen war und dass er in der mittlerweile dunklen und stillen Schlafkammer lag, wo nur die anderen Novizen, Anwärter und die Priesterin schliefen. Wo nur das mal mehr mal weniger ruhige Atmen seiner Bettnachbarin und das Husten und Keuchen der Priesterin die Nacht durchbrach und ihn wieder in die Wirklichkeit zurückholte.

Beschämt, als seien die soeben wieder in die Erinnerung entrückten Gedanken nicht mehr als ein Akt der Selbstbefriedigung gewesen, blickte der Novize an sich herunter und stellte mit Erleichterung fest, dass lediglich Schweiß und Wärme seine Kleidung an ihm haften ließen. Mit diesem letzten Gedanken der Erleichterung fand Arhenius Niederquell dann schließlich auch den ruhigen Schlaf, den sein Körper mittlerweile so sehr benötigte – bis ein neuer Tag anbrechen würde.
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Nachrichten in diesem Thema
Der Pilger - von Gast - 29.11.2014, 19:25
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Harmlos - von Gast - 07.12.2014, 16:58



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