Eine auffrischende Brise im alten Hafen
#1
Es war schon ein paar Tage, seit er hier eingezogen war. Ein guter Platz – er war direkt am Eingang zum Alten Hafen, die Wachen waren nicht fern. Und ein kleiner Spaziergang brachte ihn zur hiesigen Spelunke 'Zum hängendem Wachmann' wie auch zum alten alten Kiel. Alte Boote dort, halb versunken. Die Schiffswerft noch gut erkennbar als solches – aber auch sie war wie alles andere hier – ein Relikt der Vergangenheit. Und das Hafenbecken? Sandbänke und Untiefen konnte man sehen, wo die Strömung Sedimente reingetragen hatten – Dummköpfe, Bürokraten, die dies hier hatten bauen lassen. Sie hätten Seemänner fragen sollen – die hätten ihnen gleich sagen können, das dies kein Platz für einen Hafen war.
Ein weggeworfener Hafen. Boote, die nicht mehr zur See fuhren. Eine Werft, aus der kein Schiff mehr vom Stapel lief. Ein guter Platz für ihn – ein Seemann, der hier gestrandet war. Kein Schiff weit und breit, das ihn heuern konnte. Ein alter Mann, der vom Segeln und vom Meer träumte, aber von Glück sprechen konnte, wenn er lang genug lebte, um nochmal anzumustern und ein ordentliches Schiff zu besteigen – und auf seinem geliebtem Meer den letzten Atem aushauchte. Eine Seebestattung – das wollte er. Aber nun war er hier. Ein guter Platz für ihn. Ein ausrangierter Seemann in einem ausrangiertem Hafen.

Aber er wollte nicht untätig sein. Hatte es nie sein wollen. Wer nicht arbeitete, der starb. Und er hatte fürwahr lang genug dahin vegetiert, gesoffen, wenn er Geld hatte, gearbeitet, um saufen zu können. Er trank immer noch gelegentlich. Musste er – sonst zittertem ihm die Hände und seine alten Knochen schmerzten.
Wenn er hier in Servano kein Schiff besteigen konnte, musste er eben selbst ein Schiff bauen oder kaufen – und es aus einem anderem Hafen in See stechen lassen. Nicht Löwenstein. Nicht Servano. Aber beides brauchte Geld. Und das wollte verdient sein.
Deswegen würde er wieder regulär als Zimmermann, als Schreiner arbeiten. Deswegen war er hier eingezogen.

Aber das Haus... Das Dach hatte riesige Löcher. Auf der Südseite war es schon kein Loch mehr – das halbe Dach war fort. Nur die Balken waren noch vorhanden wie das Gerippe eines gestrandeten halb gefressenen Wals. An dessen Rand wuchs tatsächlich Gras – Moos hatte sich hier angehäuft, bis genug Boden für Grass vorhanden war. Er würde das entfernen müssen. Wie so vieles. Verrottene Schindeln. Verrottene Balken und Bretter... Auf der Westseite war ein kleineres Loch. Regen kam ungehindert herein. Wann immer es regnete, musste er Töpfe und Pfannen auslegen und den Boden aufwischen.
Die Wände waren teilweise verrottet. Hier und da fehlte ein Brett. Oder es gab Schlitze in ihnen, Zwischenräume, gross genug, das man sehen konnte, was der Nachbar tat. Alles in einem lausigem Zustand. Er würde einige Wände ersetzen müssen.

Dem konnte er abhelfen! Mit einer Leiter war er zum Dach hochgestiegen und hatte sich alles gut angesehen. Seine alten Zimmermannsaugen begutachteten die Bauart – sie war simpel genug. Balken konnte er herstellen. Bretter auch. Sie verbauen war auch einfach. Wer Schiffe in Klinker- und Kraweelbeplankung bauen konnte, der konnte auch ein Dach decken! Die Dachschindeln waren etwas kitzlich, gebogen, wie sie waren, aber wenn er sie gebogen schnitzte und dann mit Hitze und Dampf behandelte, konnte er deren Enden in die andere Richtung biegen. Hitze und Dampf bekam er von jeder Feuerstelle und jedem Pott mit heissem Wasser. Auch eine Schmiede konnte ihm Hitze geben, so er etwas heisseres als ein Lagerfeuer brauchte.
Er war nicht umsonst ein Zimmerer – wenn ihnen auf See etwas kaputt ging, musste er auch mit dem vorlieb nehmen, was er hatte – und nötigenfalls auch bei einer Insel mit Bäumen vor Anker gehen. Der Umgang mit frischen wie auch abgelagertem Holz war ihm wahrhaftig nicht neu. Und dann war da auch noch die Schreinerzunft – sie hatte alles, was er brauchte an Geräten und Werkzeug.

Tage des Schnitzens vergingen. Tage des Holzschlagens, des herbeischleifens der entrindeten Stämme zur Schreinerei. Tage, in denen er Holzstaubbedeckt mit Kiepen voll Brettern heimkehrte. Er lagerte die Sachen in dem trockenem Bereich seines Hauses – mit einem grossen Öltuch bedeckt, das sie sich nicht verzogen.
Für die kleineren Ritzen in den Wänden und als Dichtungsmaterial für die Dachspindeln würde er Lehm benutzen – einige Eimer voll hatte er schon. Nun brauchte er nur noch genügend Nägel. Die waren eine kleine Schwierigkeit. Er fand ausser Pipp keinen Feinschmied – offenbar war er der letzte verbliebene Feinschmied in Löwenstein. Und Pipp selbst – er hatte ihn seit Tagen nicht gesehen und auf seine Nachricht hatte er auch nicht geantwortet. Wo in aller Welt war er geblieben? Er würde wohl mit Pipps Bruder und dessen Frau sprechen müssen...
Wieder blickte er zum Dach hoch. Er wollte endlich anfangen zu arbeiten. Wollte endlich ein trockenes Heim haben. Aber ohne Nägel... nun hiess es warten und sehen, was kam.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Eine auffrischende Brise im alten Hafen - von Seamus Killian - 05.07.2014, 11:07



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste