Ein neues Leben im Glanz der Sonne
#2
Die Klinge fiel auf ihn hernieder, nur mit Mühe konnte er den schwungvoll geführten Schlag parieren. Seine Gedanken fielen immer wieder auf den gestrigen Abend. Theresia und er hatten ihr Abendmahl im Schein der untergehenden Sonne verzehrt, als ein Jugendfreund von Ambriel um die Ecke schritt und kurz innehielt. Sein Blick fiel auf Ambriel, zielgerichtet schritt er nun auf diesen zu.
„Guten Abend, Ambriel. Wie ich sehe, hat sich das Gerücht bewahrheitet.“ Der Freund lächelte ihm zu und blickte kurz, aber freundlich zu Theresia, ehe er sich wieder Ambriel zuwandte. Seine Miene verfinsterte sich etwas, ehe er mit gesenkter Stimme fortfuhr.
„Es geht um Deine Eltern, Ambriel. Sie baten mich, dass ich auf meinem Heimweg kurz bei Dir vorbeischaue. Sie haben bereits vermutet, dass ich Dich hier finde, nachdem auch sie von dem Gerücht Wind bekamen. Sei doch so lieb und besuch sie heut Abend. So wie ich es verstanden habe, möchten sie mit Dir über Deinen Beitritt in der Legion sprechen.“
Bei diesen Worten änderte sich auch Ambriels Gesichtsausdruck, ähnelte nun mehr dem des Freundes. Mit zusammengezogenen Augenbrauen nickte er nur knapp und erwiderte einige Worte des Dankes und des Grußes. Er blickte kurz zu Theresia, die den beiden stumm gelauscht hatte und stieg langsam die Treppe hinab, auf der sie gestanden hatten. Sowohl Theresia, als auch der Freund, blickten ihm einige Augenblicke nach, ehe er ihren Blicken entschwunden war.

Zielstrebig, aber doch langsamer als es ihm möglich gewesen wäre, schritt er gen Altstadt. Das Stadtbild änderte sich und er erkannte die gewohnte Architektur seiner Nachbarschaft, während er sich immer weiter dem Elternhaus näherte. Ein paar Kinder kamen aus einer Seitengasse neben dem Theater gerannt, hatten sich alte Tücher um Leib und Kopf gebunden und schienen irgendein Stück nach zu spielen, dass Ambriel nicht kannte. Doch war es für ihn in diesem Moment auch nur eine unbedeutende Ablenkung, denn seine Gedanken waren auf seine Eltern gerichtet. Er wusste nur zu gut, was sie zu ihm sagen würden, denn schon früher hatte er versucht ihnen klar zu machen, worin er seinen Lebensinhalt sah. Und dieser bestand nicht aus dem bescheidenen Leben eines einfachen Händlers.

Der Duft von Kohlsuppe und geschmortem Fleisch stieg seiner Nase entgegen, als er am Nachbarshaus seiner Eltern vorbeischritt. Die dort ansässige Schneiderin liebte Kohl, trotz seines eher zweifelhaften Geruchs, sobald er gekocht wurde. Dennoch war es ein vertrauter Geruch und mit einem Schlag fühlte Ambriel sich wieder wie ein zehnjähriger Junge, der etwas Dummes angestellt hatte und sich nun innerlich auf die Schelte des Vaters vorbereitete.

Er zögerte einen Augenblick, als er die Türschwelle betrat – seine Hand hielt kurz vor dem Klopfen inne. Ambriel richtete sich auf, wappnete sich für die bevorstehende Schlacht und wollte erneut die Hand zur Tür heben, als diese von innen geöffnet wurde.
„Guten Abend, mein Sohn.“, erklang die Stimme seiner Mutter aus dem Zwielicht des Hauses. Obwohl die Stimme von Natur aus sanft und gutmütig war, fuhr sie wie ein Splitter direkt in sein Herz. Ihre dunklen, fast schwarzen Augen suchten die seinen und langsam, direkt zögerlich schritt er auf sie zu, umarmte sie und erwiderte murmelnd ihren Gruß. Gemeinsam schritten sie in die Wohnküche. Sein Vater saß über eine Tasse mit dampfendem Tee gebeugt und schien seine Ankunft ebenso erwartet zu haben, wie die Mutter. Im Gegensatz zu ihr jedoch sagte er nichts, sondern blickte nur stumm aus dem Fenster.

„Mithras zum... Guten Abend, Vater.“ Er stockte, als er wie gewohnt grüßen wollte, hielt aber ob des offensichtlichen Grunds für das folgende Gespräch. Es war nicht so, dass seine Eltern nicht Mithras gläubig waren, er wollte lediglich kein Öl ins Feuer gießen. Der Vater blickte weiterhin zum Fenster hinaus.

„Du hast Dich also doch für ein Leben als Kirchenkrieger entschieden.“, sprach er mit einer tiefen und kraftvollen Stimme, die vom Alltag im Marktviertel geprägt war. Es war keine Frage, eher eine Feststellung, die in Stein gemeißelt schien. Und doch klang seine Stimme so, als wolle er mit ihr diesen Stein zerschmettern und dem Sohn zeigen, dass er noch immer sein Vater und das Familienoberhaupt war. Ambriels Blick haftete auf dem grob gezimmerten Holztisch, der an der Wand der spärlich eingerichteten Küche stand. Anders als bei ihrer Nachbarin roch es hier nach altem Brot und dem Käse, von dem noch ein letzter Rest neben dem Küchenofen auf einem kleinen Beistelltischchen lag. Der Vater fuhr fort, ohne Ambriel eine Gelegenheit zu geben, zu antworten.
„Ich dachte, ich hätte mich damals schon deutlich ausgedrückt, als wir über die Legion sprachen. Wir sind keine Krieger, Sohn, sondern Händler. Das waren wir schon immer und werden es auch immer sein.“
„Vater, ich... .“ Der Vater wandte den Blick nun seinem Sohn zu und unterbrach ihn mit einer harschen Handbewegung.
„Nein!“, brach es aus ihm hervor. „Ich werde mir nicht nochmal Deine Geschichten von Hexen und Dämonen anhören. Im Krieg gibt es keine Heldentaten und jedes Leben, dass Du nimmst, wird auf ewig auf Deiner Seele lasten, auch wenn Du glaubst, dass es im Guten geschieht!“
Die Stimme des Vaters war laut, selbst die Nachbarn dürften seine Stimme durch die dünnen Fenster hindurch vernehmen.
„Ich habe Dich nicht aufgezogen und Dich das Handwerk des Händlers gelehrt, um es einfach so weg zu schmeißen und mit anzusehen, wie ein irrer Hexer oder irgendein Verbrecher aus Indharim Dich verstümmelt oder schlimmer noch gar tötet.“
Das Gesicht des Vaters war rot vor Wut und doch sah man die Sorge in den grünen Augen, die schon mehr gesehen zu haben schienen, als er jemals hätte zugeben wollen.
„Du wirst morgen früh zu Deinem Vorgesetzten gehen und Deinen Austritt aus der Sonnenlegion erbitten! Du wirst wieder in das Zimmer ziehen, das wir Dir monatlich bezahlen und Du wirst wieder ein Teil dieser Familie werden und Dein Erbe antreten, wie es sich für einen Weißkreutz gehört!“
Seine Brust hob sich schwer und schließlich verstummte seine Stimme, den Blick immer noch auf Ambriel gerichtet. Dieser hatte sich während der Standpauke keinen Schritt bewegt, der Blick war immer noch auf die grobe Tischplatte geheftet und schien dort für die nächsten zehn Winter verweilen zu wollen. Es dauerte einen Moment, bis Ambriel seine Augen schloss und seinen Mund öffnete.
„Nein, Vater.“
Der Blick des Vaters schwang von Sorge zu Erstaunen und väterlicher Engstirnigkeit über.
„Wie bitte?“, fragte er mit leicht erzürntem Unterton. Doch Ambriel blieb standhaft. Seine Augen waren weiterhin geschlossen, doch die Fäuste ballten sich ob der eisernen Überzeugung, die in seinem Herzen schlug und sich nach und nach den Weg in seinen Geist und seine Stimme bahnte.
„Ich werde nicht austreten. Die Sonnenlegion ist mein Schicksal und ich... ich werde mein Leben und mein Schwert für Mithras geben. Ich werde ein Krieger der Sonne werden und sollte es Mithras Wille sein, dass ich im Kampf falle,... dann sei dem so.“
Ambriel öffnete die Augen und richtete seinen Blick auf seinen Vater. Dieser erwiderte seinen Blick und wollte etwas sagen. Doch schien er einen Moment gebannt, als er die Augen seines Sohnes sah. Diese Augen waren nicht länger die Augen eines Kindes, das mit seinen Freunden „Mydrion und Thanos“ spielte, sondern die eines Mannes, der sich zwischen den beiden möglichen Wegen seines Lebens entschieden hatte.

Auch Ambriel versagte in diesem Moment die Stimme und er wollte sich gerade umdrehen, in dem Wissen, dass die wenigen Worte, die er gesprochen hatte, alles sagten, was es in seinen Augen zu sagen gab, als erneut der Vater das Wort erhob. Anders als zuvor war jedoch jegliche Kraft auf seiner Stimme verschwunden. Stattdessen war sie brüchig und alt geworden, klang resigniert und beinah hilflos.
„Dann... dann sei es so. Ich wünsche Dir das Beste auf Deinem Weg und hoffe, dass es Dir besser ergeht, als meinem Bruder. Ab dem heutigen Tage bin ich nicht länger Dein Vater, Du bist frei von diesem Elternhaus und dieser Familie.“

Mit diesen Worten wandte er seinen Blick von Ambriel ab und richtete ihn wieder aus dem Fenster, fixierte einen unsichtbaren Punkt in der Ferne. Sein Sohn hingegen blieb stumm stehen, versuchte die Worte, die er soeben gehört hatte zu begreifen. Die Mutter, die während des gesamten Streits still da gestanden hatte, kam einen Schritt auf ihn zu, umarmte ihn und sprach leise in sein Ohr.
„Alles Gute, Ambriel. Auch wenn Dein Vater es momentan wahrscheinlich nicht so sieht, so kannst Du jederzeit zu uns zurückkehren, falls Du es Dir doch anders überlegen solltest.“
Mit diesen Worten im Geiste verließ er das Elternhaus und kehrte in Begleitung des Zwielichts der hereinbrechenden Nacht zur Kirche zurück.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Ein neues Leben im Glanz der Sonne - von Ambriel Weißkreutz - 27.05.2014, 11:04



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste