Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes
#20
Exkurs: Ein Helm aus Rabenstahl

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Rabenstahl. Was ist daran schon besonders? Nur eine Legierung, als hätte man Stahl unwiederruflich geschwärzt. Die Werkslegierung ist nicht härter oder wiederstandsfähiger als Stahl, wie es bei den Waffenlegierungen Stahl und Damaststahl der Fall ist. Rabenstahl ist nicht leichter, nicht härter, und nicht schützender als Stahl. Vielleicht variieren die Resistenzen minimal und der Schutz gegen Feuer und damit Magie ist bei Rabenstahl leicht erhöht, was sich leicht erkennen lässt. Denn es braucht deutlich mehr Hitze, um es formbar zu machen.
Doch was macht es dann so begehrenswert und wertvoll? Die ganz simplen Unterschiede in Optik - dank der dunklen Farbe - und die Seltenheit. Was schwer zu bekommen, also rar ist, wird begehrt. Die Menschen definieren sich über Prestige und zeigen ihren Reichtum oder ihren Machteinfluss gerne. Angeblich schmeichelt es dem Ego.
Aki legt auf nichts davon wert. Es ist ihm egal, wie schön, selten, besonders, wertvoll oder lukrativ die Legierung ist. Ihn reizen die Dinge, die nur einen Handwerker interessieren: Wie ist die Zusammensetzung? Wie kommt die Farbe zustande? Wie lässt es sich gießen und verarbeiten?

Als die Grenzen geöffnet wurden, galt Aki's erster Blick den Gardisten in der besonderen Legierung um sich herum. Sie repräsentiert Ravinsthal und es ist diese Legierung, die Kindheitserinnerungen weckt. Weder der modrige-efeureiche Geruch des Dorfes, noch die schöne Bauweise aus Basalt, Holz und Barracke hat die nostalgische Wirkung auf ihn. Er hat seine Kindheit und Jugend in Ravinsthal verbracht und doch war es immer die Legierung, die ihm Schmetterlinge im Bauch bescherte. Die seltenen Tage, an denen er auf den Marktplatz nach Rabenstein durfte, kümmerte er sich kaum – oder zumindest wenig – um die Mädchen in seinem Alter, die dort herum eilten und ihr hinreissendes Lachen hören liesen, auch nicht darum, mit dem Händler den besten Preis zu verhandeln und erst recht nicht um den Langfinger, der ihm an den mageren Hellerbeutel will. Er hatte nur Augen für die patroullierenden Wachen.
Sie brachten den jungen Schmiedelehrling zum Stillstand und wurden mit großen, stahlblauen Augen betrachtet. Einer der grimmigen Gesellen störte sich an dem Gestarre und schnaubte ihn an. Auch daran kann Aki sich Bestens erinnern.
»Was starrst du so, Balg?« Der Junge blinzelt rasch und senkt den Kopf, als der Gerüstete auf ihn zu kommt. Der Blick findet dabei eine – zumindest für ein fachkundiges Auge – recht massive Delle in der Lamelle auf Schulterhöhe des Gardisten. Er konnte schlecht gestehen, dass er den Gardisten gerne eine über ziehen würde, um ihn aus der Rüstung zu pellen und die Beschaffenheit und Verarbeitung des Materials zu analysieren.
»Ihr solltet über eine Reparatur nachdenken, Herr Gardist.« quiekt er mit aufgeregter Stimme, die von einer Mischung aus Unruhe, Tatendrang und Neugier getränkt ist.
»Und da bist du der Experte, eh? Scher dich fort.«
»Nein, bin ich nicht! Mein Vater sagt der Rüstmeister des Fürsten ist dafür zuständig und niemand sonst.« erwiedert Aki mit großen, wissenden Augen. Der Gardist hebt die Brauen fast bis zur Spange des Nasalhelms und sieht den Schmiedelehrling an, wie man einen vorlauten Naseweiß ansieht.
»'Bist wohl ein ganz schlauer was, Kleiner? Und nun Gewinn Land.«
Mit einem mürrischen Schnauben hat Aki nochmals einen Blick auf die Rüstung geworfen, die sich gerade bemüht im zarten, herbstlichen Sonnenschein Aki zu verhöhnen, um sich schließlich ab zu wenden. Mit tapsenden Schritten eilt er zur Markthalle zurück, denn – Liebe zu dem seltenen Stahl hin oder her – er hat kein Interesse sich Schläge vom Vater einzufangen, weil er getrödelt hat.

Jahre später ist die Faszination noch immer die Gleiche, auch wenn er besser geworden ist, das zu verbergen. Vielleicht lässt sich sogar ein Hauch an Vernunft erkennen, der ihm bei so vielem Anderen fehlt. Solange er nicht darüber nachdenkt, wie es wäre hinter das Geheimnis zu kommen, kann er sich auch nicht über die Ermangelung des Wissens beschweren. Zumindest ist er eine ganze Weile mit dieser Einstellung gut zurecht gekommen.
Bis Oswin angetrabt ist. An einem der besonders kundenreichen Abenden, klopfte er an die Ladentüre. Aki hatte Oswin, den Hauptmann der ravinsthaler Garde, eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Aber es kam so, wie es oft kommt. Entweder man hat überhaupt keinen Kunden oder mehr, als man abarbeiten kann. Oswin brachte einen eingerollten Fetzen Pergament mit und Aki machte sich gedanklich schon auf die übliche 'Hast du gefunden, hab ich aber schon'-Entschuldigung gefasst, die er für gewöhnlich vorbringt, wenn ihm ein Krieger eine Anleitung aus den tiefen irgendeiner Höhle anschleppt. Stattdessen zucken seine Finger in unruhiger Vorahnung, als er das Schriftstück entfaltet. Die anderen Kunden werden für einen Moment ausgeblendet und er muss sich schwer zusammen reissen, um Oswin nicht augenblicklich die Nase zu brechen. Vor Freude versteht sich. Aber auch vor Qual. Er weiß bestens, dass eine solche süß-schmerzhafte Kombination an Emotionen im Rahmen des Möglichen liegt.

In dem Moment ging viel in seinem Kopf umher, während er auf die Anleitung für den Nasalhelm aus Rabenstahl starrte. Oswin hatte das Rezept schon eine Weile in irgendeiner Kiste, wohl von der Obrigkeit für besondere Taten erhalten. Aki erinnert sich, dass Koren ebenfalls eine Anleitung vom Fürstenhof bekommen hat. Er erinnert sich zu gut, denn der Gedanke daran kann ihn innerhalb von drei Herzschlägen zur Raserei bringen. Koren hat die Aneitung an eine befreundete Schmiedin gegeben, die weder Ravinsthalerin ist, noch an die einundzwanzig glaubt. Ganz abgesehen davon, dass es einem Schlag ins Gesicht gleich kam, hätte er Koren am Liebsten geschüttelt. Aki kennt die Schmiedin aus seiner Zeit in Löwenstein und weiß, wie gut sie im Auftauchen und Verschwinden ist. Der Druide hat wohlmöglich nicht einmal eine Abschrift anfertigen lassen und wenn doch, ist sie unauffindbar. In solchen Momenten muss er sich eine 'Das hätte ich dir gleich sagen'-Bemerkung schwer verkneifen.

Obwohl es erfreulich und beruhigend ist, dass solche Anleitungen an die hiesigen Schmiede gelangen, bringt es niemandem einen Vorteil. Ein paar wenige Barren Rabenstahl sind im Umkreis, stammend von dem Raritätenhändler in Löwenstein, der mittlerweile spurlos verschwunden ist. Aber wer weiß, wo sie vergraben sind und wer sich wissend die Hände reibt, um irgendwann das große Geld damit zu machen. Ohne Material ist die Bauanleitung wertlos.
Aber er hat einen Barren in seinem Besitz, einen kläglichen Barren, den er für den Helm verwenden wird. Nur hilft das Oswin nicht weiter. Der Rezept-Geber macht eine abwinkende Bewegung. Es scheint nicht einmal so, als hätte er erwartet, eine Kiste voll Helme im Gegenzug zu bekommen. Obwohl es das einzig Richtige wäre. Wenn irgendjemandem Wehr aus Rabenstahl zusteht, dann den Männern der Garde. Aber Oswin ist eine pflichtbewusste, kammeradschaftliche Seele und er würde keinen einzelnen Helm nehmen. Entweder die ganze Garde wird damit ausgestattet oder niemand. Vielleicht hätte er auch Angst, dass er vom nächstbesten Halunken geköpft wird, der es auf den Helm abgesehen hat? Auszuschließen wär es bestimmt nicht. Aki ist froh darum, dass der Mann so denkt – einer der Gründe, warum er Oswin zu schätzen weiß – denn er weiß bereits für was er seinen einen Barren nutzen will.
Sobald er die Anleitung ausgiebig studiert hat, führt ihn sein Weg in die örtliche Schmiede. Da er einen der Barren hat, benötigt er nur ausreichend Hitze, um den Rabenstahl formbar zu machen. Die nötige Temperatur ist nicht zu unterschätzen, aber immerhin ist es deutlich weniger, als es zur Herstellung der Legierung benötigt. Wie diese Hitze erreicht wird bleibt wohl weiterhin ein Rätsel. Da der Nasalhelm aus recht dünnen Metallspangen besteht und mit Arbeitsleder verkleidet ist, reicht der eine Barren aus. Zumindest soweit dem Schmied kein Fehler unterläuft.
Für die Herstellung des ausergewöhnlichen Helms nimmt er sich alle Zeit, die es benötigt. Die Spangen vernietet und verschweißt er erst miteinander, sobald das dunkle Metall die optimale Dicke aufweist und glatt ausgearbeitet ist. Mithilfe von Nieten verbindet er die einzelnen Spangenteile und integriert an den Seitenteilen Scharniere, welche Wangen und Ohren schützend bedecken, um die Beweglichkeit zu erhalten. Für die Innenseite schneidet er Arbeitsleder zurecht und polstert das Metall damit. Als er die Oberfläche des Rüstungsstück mit feinem Schleifpapier abschließend glättet und zum Glänzen bringt, lehnt er mit einem zufriedenen, seltenen Lächeln am Amboss. Obwohl er etwas überaus rares in Händen hält, nach dessen Herstellung er sich lange Zeit gesehnt hat, fühlt es sich nicht befremdlich an. Durch den Herstellungsprozess ist es ein Rüstungsteil aus seiner Hand geworden, wie zahlreiche Andere zuvor und doch hat der Helm einen Stellenwert, wie das erste Schwert, das Aki als junger Lehrling in seinem Leben geschmiedet hat.
Dem Schmied in ihm bleibt nichts anderes übrig, als dankbar und ehrfürchtig zu sein. Die Götter haben das Metall geschaffen, um den Menschen ein Geschenk zu machen. Rabenstahl ist nichts Notwendiges, nichts, was das Leben erleichtert oder fürs Überleben benötigt wird. Es ist ebensoviel Luxus wie Schmuck oder Zuckersteine. Eine Belohnung für die Gläubigen. Deswegen wäre es arrogant und überheblich, das Werkstück zu behalten. Er träufelt etwas Öl auf einen Lappen und bearbeitet das geschliffene Metall damit. Den Helm schlingt er schließlich in etwas Stoff und macht sich auf den Weg und verlässt Rabenstein. Nahe der Küste begibt er sich an den Schrein.

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»Lugh und Lyon, nehmt dieses Werkstück als Zeichen meines Dankes. Ich danke euch, dass ihr mir die Möglichkeit geschenkt habt, euer feinstes Metall zu verarbeiten.« Obwohl die Worte knapp gewählt sind, erscheinen sie bedeutsam für den, wenig sprechgewandten Schmied. Er bestaunt den Helm noch ein paar Augenblicke, bevor er sich erhebt und zum Aufbruch bereit macht. Der Abschied schmerzt nicht, denn das Werkstück ist dort, wo er sein sollte. Es ist kein Verlust sondern eine besonnene Gabe. Er kann nur hoffen, dass die Götter diese akzeptieren.
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