Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes
#8
Es regnet schon den ganzen Tag. Das stetige Prasseln und Tropfen ist wie eine Melodie. Bei jedem Weg zur Esse muss er Acht geben, dass er auf den nassen Steinplatten nicht ausrutscht. Der einzige Vorteil der Nässe liegt darin, dass die Hitze der Glut erträglicher ist. Er hätte sich natürlich in der Mine verkriechen können, anstatt sich mit der schweren Feinarbeit zu plagen. Aber die Motivation ist zu groß oder besser gesagt die Gier.
Der Regen wird für einen Moment stärker und der Schmied spürt, wie sein Arm nass wird, der ins Freie ragt. Wer hat nur dieses Dach verbrochen? Es darf sich nicht einmal Dach nennen. Seine Arbeitshose aus jungen Jahren hatte weniger Löcher, obwohl er andauernd an rauen Ecken angestoßen ist. Es fällt ihm nicht ein sich nach Löwenstein zurück zu sehen, aber das Gebäude der Schmiedezunft ist eine Burg im Vergleich zu diesem Loch. Etwas dagegen unternehmen kommt aber auch nicht in Frage. Sollte ihn je die Motivation packen, sich im Bretter sägen und nageln zu versuchen, dann wird er zuerst das Dach über seinem Schlafzimmer flicken. Eine so feuchtfröhliche Nacht, wie ihm heute bevor steht, will er niemandem wünschen.
Mit einem grimmigen Brummen schiebt er die Gedanken beiseite und tritt in den strömenden Regen hinaus. Er zieht die Steinform aus der Glut, die immerhin von einem morschen Strohdach geschützt ist. Achtsam kippt er den Inhalt auf die Basaltplatte, auf der er arbeitet. Der glühende Gegenstand ist so klein wie eine Brosche. Es ist Jahre her, dass er sich an Feinwerk geübt hat und nie war es ihm leicht von der Hand gegangen. Eine Gravur oder Verzierung stellt kein Problem da, aber mit Schmuck ist es anders. Vor allem mit so ungewöhnlichem Schmuck.
Den zwei Finger breite Stift und die dazugehörigen Kugeln mit Schliff hat er sich einst bei einem Feinschmied besorgt. In seinem Laden findet sich noch eine Kiste voll mit solchen Stiften, nur viel zu selten äußert jemand den Wunsch danach. Ebenso selten erlaubt ihm jemand, ein solches Schmuckstück anzufertigen. Es stört ihn nicht, denn es ist keine Arbeit, die er für jeden auf sich nimmt. Für dieses Schmuckstück wird er jedoch keine Mühen scheuen.
Das Schmuckstück, das auf der Basaltplatte liegt und auf weitere Bearbeitung wartet, ist aus reinem Silber. Erfahrungsgemäß bereitet das Metall die wenigsten Beschwerden, wenn es in den Körper gestochen wird. Aki ist beim letzten Schritt angelangt und setzt mit einer Zange, die das Ausnaß einer Pinzette besitzt, die winzige Spinne auf das glühende Metall. Vorsichtig klopft er das Tier mit einem kleinen, weichen Hammer fest, sodass es sich mit dem Metall verbindet. Er kauert sich vor sein Werk und hält es mit der Zange hoch, um mit ruhiger Hand die Füße der Spinne zurecht zu biegen. Sie sollen sich dicht an der netzartigen Konstruktion befinden, damit es echt aussieht und das Schmuckwerk weniger empfindlich ist. Außerdem bleibt jedes abstehende Teilchen gerne an Kleidungsstücken hängen.
Die winzige Spinne besteht aus zwei kleinen Kugeln und acht Beinen. Vielleicht hätte Aki besser nochmals nachzählen sollen, bevor er eingewilligt hat. Er verflucht die filigrane Arbeit, die für die Beine nötig war. Seine Hände sind schlicht zu groß für solche Dinge und seine Augen nicht daran gewöhnt. Als er das Schmuckstück nun konzentriert anstarrt und nach Fehlern sucht, schmerzen die Augen umso mehr. Natürlich hätte er die letzten Schritte auf den nächsten Tag verschieben können, aber wenn er konzentriert bei der Sache ist, erscheint ihm ein Aufschub unangebracht. Ihm bleiben nur noch wenige Streiche mit der Feile, um die letzten Kontaktstellen glatt zu schleifen. Dabei ist ihm auch der Regen egal, der wieder lauter prasselt.
In Rabenstein wird die ein oder andere Laterne und Kerze entzunden, da die Dämmerung bereits eingesetzt hat. Es wird Zeit, dass er zum Ende kommt. Der Schmied setzt die Feile immer wieder an und führt einen Streich in eine Richtung aus.
Sobald die Wassertropfen wieder gegen seinen nackten Arm prasseln, dreht er sich leicht, um seinen Arbeitsplatz zu schützen. Dicke Tropfen fallen auf das Pergament, auf dem die einzelnen Teile des Schmuckstücks skiziert sind. Erst hat er ein sternförmiges Achteck mit langen Strahlen als Grundgerüst des Netz geformt. Unter den Strahlen hat er drei weitere achteckige Teile fixiert, die als Ganzes eine netzartige Struktur bilden. Der Stift, der später in die Haut gestochen wird, hat einen Platz an zwei gegenüberliegenden Ecken zugeteilt bekommen, sodass die Konstruktion symmetrisch bleibt. Am Ende fehlte nur die Spinne, die ihre Beine an das Netzkonstrukt schmiegt. Zwar ist es eine glattrasierte, glänzend silberne Spinne, fern von der Realität, aber sie passt umso besser zum Träger.
Nach einem langen, konzentrierten Tag in der Schmiede, bei dem man lediglich mit dem Regen geplaudert hat, kann es passieren, dass ein Schmied mit seinem Werk spricht.
»Wollen wir mal sehen, ob du deinem zukünftigen Besitzer gefällst, oder ich dich wieder einschmelzen muss«, brummelt der Hüne zu dem Schmuckstück, das auf seiner Handfläche winzig aussieht.

[Bild: mmqfko8g.png]
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