[Quest] Die ganze Welt zu verschlingen
#3
Am Rande des Wahnsinns

Die Schläge viel zu vieler Fäuste trommelten an den Eichenwänden des Gebäudes, die verzweifelten Tritte viel zu vieler Füße mischte sich mit dem Gebrüll, das das ganze Spektrum zwischen Zorn und Verzweiflung ausfülle. Viel zu laut, viel zu laut. Es dröhnte ihm in den Ohren, es erfüllte sein Herz ebenso wie die regnerische Nachtluft, es schien bis in jeden Winkel Amhrans zu dringen.
Sie würden alle sterben.
Zitternd stand der Jüngste der Wachmannschaft vor dem erst kürzlich in ein weiteres Lazarett umgewandelten Lagerhaus, in das sie die in Panik geratene Masse zurückgedrängt hatten.
Als er seinen Dienst hier aufgenommen hatte, hatte er sich alles anders vorgestellt. Er war zu jung gewesen, um mit in den Krieg zu ziehen – doch etwas wollte er trotzdem tun für seine Heimat, für seinen König! Als Freiwillige gesucht wurden, um als Wachposten auf der neu eingerichteten Quarantäneinsel vor der Küste Servanos zu dienen, war er einer der ersten gewesen, die sich meldeten.

*

Was für ein schlauer Schachzug diese Insel doch gewesen war! Ein Ort, an dem man Kranke sicher, abgeschottet, aber doch zumindest halbwegs komfortabel unterbringen konnte. Ein Ort, an dem genug Platz war um von den Kranken abgegrenzt jene unterzubringen, bei denen nur ein Verdacht bestand, um sie nach Ablauf der Beobachtungsfrist sicher wieder in den Hafen Löwensteins zu geleiten. Andere Lehen mochten vor einer vergleichbaren Seuche kapituliert haben, hätte es sie getroffen – aber nicht das stolze Servano!

*

„Hält nicht mehr lang, wenn die so weitermachen.“ murmelte Antaria, eine der dienstältesten Wächterinnen auf der Insel. Sie waren nur noch zur siebt. Wer erwartete schon derartige Probleme auf einer harmlosen Quarantäneinsel. Die Kranken waren ohnehin krank – und die Gesunden warteten friedlich ab, bis die beiden Armeeheiler, die man für diesen Dienst abgestellt hatte, ihre Gesundheit bestätigten. Letzte Woche jedoch war einer seiner Kameraden, der unvorsichtig gewesen war, mit blutigem Husten selbst Opfer der Keuche geworden – und vorgestern hatte ein in Panik geratener Mann einen anderen Wächter hinterrücks erschlagen, ein kleines Boot gestohlen und die Flucht ergriffen. Noch vor einigen Wochen wäre ein solches Szenario unvorstellbar gewesen.
In das Hämmern der Fäuste, das unkoordinierte Gebrüll und das leidende Knarren von Holzwänden, die nicht dafür gemacht waren, so viele Menschen aufzuhalten, mischte sich das rasende Klopfen seines Herzschlages. In seinen Ohren rauschte das Blut.

*

Das Konzept der Insel war aufgegangen. Die Keuche raffte nicht den Bruchteil der Menschen dahin, den sie hätte dahinraffen können. Natürlich gab es Tote, natürlich gab es selbst in Löwenstein Keuchenopfer – ein bedauerlicher Zufall hatte mehrere Stadträte dahingerafft. Doch im Großen und Ganzen blieb es ruhig. Fast wie ein Hafenmeister Waren abnahm und Zölle eintrieb fertigten sie Menschen ab, die in die Stadt einreisen wollten, beobachteten sie, und schickten sie endlich gesund nach Löwenstein. Die Zahl der tatsächlich Keuchekranken hielt sich – Mithras sei Dank – in Grenzen.

*

„Was tun wir, wenn... wenn sie nun ausbrechen und...“ hörte er sich selbst stammeln, ohne den Blick vom alten Lagerhaus zu nehmen, dessen Wände vom Trommeln seiner Insassen zu beben schienen wie seine Trommelfelle von ihren Schreien. Die Fackeln, die die Wächter bei sich trugen, zischten im Nieselregen, der schon den ganzen Tag unablässig auf die Insel niederging. Ihre fackernden Lichtkreise in der Nacht tauchten das Lagerhaus in unstetes Licht. War es ihr Schattenspiel, oder bebten die Wände tatsächlich?

*

Und dann waren es mehr und mehr geworden. Aus Löwenstein waren seltsame Gerüchte vorgedrungen. Die Menschen hatten sich irgendein Schreckgespenst eingebildet – so etwas musste es zumindest gewesen sein – und dann waren die Keuchefälle sprunghaft angestiegen. Von heute auf morgen waren Schiffsladungen von Menschen gebracht worden, meist aus ländlichen Gegenden, und zum ersten Mal überwog die Zahl der Kranken jene derer, die nur unter Beobachtung standen. Sie husteten Blut, als würde ihr Innerstes durch ihren Kehlen nach draußen geschleudert, sie verrotteten bei lebendigem Leibe, wie die Toten in ihren Gräbern, sie kreischten vor Schmerzen und weinten und beteten. Doch nichts hielt die furchtbare Krankheit auf, die ganz plötzlich aufgeflammt war, als habe man eine Fackel in trockenes Stroh geworfen. Weder Wärter noch Verwaltung wussten noch wohin mit ihnen auf der kleinen Felseninsel vor der Küste, mit ein paar Lagerhäusern und ein paar Gebäuden, die man als Lazarette errichtet hatten. Eine winzige Wachstube, ein Schiffsanleger. Dreißig, vierzig, vielleicht fünfzig Menschen konnte man hier unterbringen, wenn sie ebenso schnell wieder abreisten wie sie kamen.
Plötzlich aber waren es an die hundert, die untergebracht werden wollten. Ganze Dorfgemeinschaften aus den abgelegeneren Randgebieten Servanos schienen erkrankt zu sein – und bald kam der Punkt, an dem es auf der Insel nicht mehr möglich war, Kranke von scheinbar Gesunden zu trennen.


*

Plötzlich splitterte Holz. Er zuckte zusammen und zog unwillkürlich den Kopf ein. Wie schrilles Hohngelächter schien ihm der Triumphschrei aus dem Inneren des Lagerhauses, als sich ein erster fahler Schatten aus dem herausgebrochenen Brett in der Wand drängte.
„Achtung!“ brüllte Antaria und zog ihren Säbel.
Ein Toter kam auf ihn zugewankt. Es musste ein Toter sein. Kein lebender Mensch sah so aus.
Entsetzen schnürte seine Kehle zusammen, sein eigener Schrei ging unter in dem Gebrüll der Gefangen und dem Bersten nachgebenden Holzes.
„Das Stroh unter dem Dach!“ Antarias Stimme übertönte noch das Kreischen des Abyss, das sich hier auf dieser Insel vor der Küste Servanos manifestiert hatte. Er sah, wie die anderen ausholten und ihre Fackeln in Richtung der Öffnung im Giebel warfen, durch den einmal die Woche frisches Stroh für die Schlaflager herabgeholt wurde. Trotz des feuchten Herbstwetters war es stets angenehm trocken.
Dann war der Tote bei ihm, die blutunterlaufenen Augen im fahlen Gesicht hasserfüllt. Er wollte seinen Säbel ziehen, den Angreifer niederstrecken, seine eigene Haut retten, doch seine Glieder rührten sich nicht.
Plötzlich flammte das selbst strohgedeckte Dach auf. Im unerwartet hellen Licht des sich rasch ausbreitenden Feuers traten die dunklen Flecken und schwärenden Wunden der Gestalt vor ihm noch deutlicher hervor. Gleich bringt er mich um, dachte er, unfähig sich zu bewegen. Stattdessen verkrampfte die Gestalt sich, sackte zusammen, geschüttelt von keuchendem Husten. Ein Regen blutigen Auswurfes ergoss sich über ihn, traf seine Uniform, traf sein Gesicht wo es nicht von dem Tuch bedeckt war, das sie alle trugen.

*

Immer öfter gerieten die Menschen auf der Insel in Panik – und wer konnte es ihnen verdenken. Sie kamen gesund hierher – und statt beobachtet zu werden, um nach der vorgegebenen Zeit als gesund entlassen zu werden, wurden sie in einem Quartier mit den Siechenden untergebracht. Man musste es nicht laut aussprechen um zu wissen, dass die zuvor so gut geplante und segensreiche Quarantäneinsel plötzlich ein Ort des unausweichlichen Todes geworden war.

*

Das Brüllen und Dröhnen und Treten und Schreien des Abyss tobte um ihn herum, wurde lauter, veränderte die Tonlage. Nur kurz mischte sich der Lärm von Handgemengen hinein, dann wurde das Brüllen zum Kreischen, das Bersten von Holz zum Rauschen von Feuer. Endlich versiegten die Schreie, versiegte das Kreischen, versiegte das Grauen, versiegte Stimme um Stimme um Stimme, bis nur noch das furchtbare Geschrei einer einzigen Person die Nacht durchschnitt wie die Säbel der anderen Wächter die Kehlen jener Kranken, die versucht hatten dem brennenden Gebäude zu entfliehen. Warum lebte derjenige noch, warum hörte er nicht auf zu kreischen, hatte Mithras denn kein Erbarmen mit ihm und erlöste ihn endlich von seinem Schicksal? Aber die Stimme schrie und kreischte ohne Luft zu holen, brüllte dass es ihm in den Ohren widerhallte.

Erst als Antarias Faust ihn traf und tröstliche Ohnmacht nach ihm griff hörte das Schreien auf.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.


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RE: [Quest] Die ganze Welt zu verschlingen - von vonSperling - 05.11.2013, 12:12



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