Eine Jägerin und ihr Leben
#1
Das Wetter veränderte sich jeden Tag.

Mal war es mild und trocken, selbst zu dieser Jahreszeit konnte es noch angenehm warm werden. Doch nicht mehr lange würde es so sein. Die sich verfärbenden Blätter wurden von den an Stärke zunehmenden Windböen von ihren Plätzen gerissen, der Regen zwang die Meisten in ihre Häuser und Zünfte zurück. Das Leben auf den Straßen wurde insgesamt ruhiger. Auch in den Wäldern wurde es stiller, die meisten Jäger brachen nur noch zu größeren Jagdaktionen auf. Die meisten Vorräte waren bereist im Sommer gesammelt worden, wenn das Wild groß und die Beute üppig ist. Bald würde der Winter an die Türen und Tore klopfen. Auch für Kyra war der Winter eine eher ruhigere Zeit. Während sie im Frühling, Sommer und im Herbst die meiste Zeit in den Wäldern zubrachte, zog der Winter sie immer wieder hinter die Mauern der Stadt. Sie verfluchte diese Zeit. Eigentlich...

In den Wäldern konnte Kyra ihren Kopf ausschalten und mit voller Konzentration ihrem Ziel entgegen kommen. Im Winter holte sie oft alles ein. Schon jetzt, wo sie in der Krone einer stabilen Eiche Rast machte, kreisten die Gedanken um alles, was ihr nahe ging oder woran sie nunmal denken musste. An ihren Liebsten dachte sie an solchen Tagen sehr gerne, denn er konnte jeden negativen Gedanken wegwischen. Doch Shareen, die auch immer wieder ihre Gedanken heimsuchte, schürte ihre Wut. Aygo brachte Ratlosigkeit. Sie hatte wirklich einen Bruder? Wie alt war er, wo kam er her? Wer war ihr richtiger Vater, wenn nicht der verstorbene Mann ihrer toten Mutter?

Immer wenn sie an Aygo dachte, fragte sie sich nach ihrer wahren Existenz, ihrer Herkunft und nach der Geschichte der Vandokirs, zu denen sie laut Aygo wohl gehörte. Und immer wenn sie daran dachte, kam ihr auch ihr verstorbener Ziehvater, Thain Silberblick in den Sinn. Er hatte sie aufgenommen, ihr alles beigebracht, was sie wissen musste. Dank ihm musste sie nicht mehr betteln, wen sie hunger hatte, sie erjagte sich ihr Essen selbst. Er hatte sie wir sein eigen Fleisch und Blut behandelt, ihr einen Namen geschenkt. Für Kyra war er ihr Vater. Doch Blut, so hatte Aygo es ihr gesagt, sei dicker als Wasser. Könnte sie eines Tages damit leben und so wie ihr Bruder denken? Kyra Vandokir?

Sie stellte sich immer noch als Kyra Silberblick vor und berichtete bei Fragen von Thain, seiner Herkunft, seinem Können und was er sie lehrte. Würde Aygo das so annehmen können, wenn er sie berichten und den Namen hörte, den sie mit Stolz trug? Seit sie Aygo kennen gelernt hatte, war ihre sonst so feste Welt erschüttert worden. Im Endeffekt, so hoffte sie schon fast, war sie noch immer eine Waise, die lediglich einen Bruder dazu gewonnen hatte, der ihr noch dazu sehr ähnlich sah. Das machte sie aber noch lange nicht zu der Tochter eines Anderen, der vielleicht nicht einmal von ihr wusste.

Als der Wind zunahm, verließ Kyra ihr relativ sicheres Versteck auf dem Baum, um sich in die Stadt zurück zu ziehen. Gerade jetzt war es notwendig, sich einen sicheren Ort zu suchen. Zu ihrem Glück hatte sie sich vor kurzem nach einer Anstellung gesucht und eine im Haus Eulenruh gefunden. Auch wenn sie bisher nur Gorkon kannte, fühlte sie sich in den vier Wänden der Familie bereits sehr wohl. Es war nicht zu pompös, sondern eher sehr gemütlich und schlicht. Für ein Mädchen des Armenviertels, die ihr ganzes Leben auf und in den Straßen Löwensteins oder im Wald verbracht hatte, war dies genau richtig. Bei den größeren Häusern, dass hatte sie sehr schnell erfahren, war sie fast mit der Größe und den ganzen zu findenden Dingen überfordert. Von den Eulenruhs versprach sie sich sehr viel und sie wollte ihnen zeigen, dass Gorkon und sie nicht falsch lagen. Außerdem... schenkte die Angehörigkeit in diesem Haus ihr wieder einen Funken Sicherheit.

Vielleicht konnte sie durch den Halt eines Tages mit dem Namen „Kyra Vandokir“ leben... eines Tages.
[Bild: vqqsduxq.png]
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Eine Jägerin und ihr Leben - von Kyra Silberblick - 29.10.2013, 20:53



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