FSK-18 Voyeur
#9
Träume


Der Wind beisst ihm in die Finger und die Wangen. Rasch schiebt er die Hände in die wärmenden Hosentaschen und zieht den Kopf ein, um dem Wetter nicht so ausgesetzt zu sein. Warum ist er überhaupt nochmals vor die Türe gegangen in der eisigen Kälte. Sein Atem kommt unruhig über die Lippen und bildet Wölkchen in der kalten Luft. Wenn er doch wenigstens seinen Mantel hervor gekramt hätte.
Ein Geräusch weckt seine Aufmerkamkeit und er dreht sich herum und blickt in die Richtung. Ein Rabe hockt auf der Mauer und pickt umher, wohl auf der nächtlichen Suche nach Essbarem. Das Mondlicht wird in den schwarzen Knopfaugen reflektiert. Aki beschleunigt seinen Schritt eher wegen der Kälte, als dem unwohlen Gefühl, das ihn beschleicht. Zumindest redet er sich das ein. Mit langen Schritten stapft er ins Dorf und beruhigt sich ein wenig. Er würde gleich zuhause sein.

Die Straßen sind nachts noch ruhiger als tagsüber. Um so näher der Winter kommt, um so weniger wagen sich aus ihren warmen, kuschligen Häusern. Er kann es ihnen nicht verübeln.
Nach dem Tümpel beim Laternengarten zwickt ihn das Gefühl beobachtet zu werden wieder in den Nacken. Aki hört ein Scharren und bleibt, unweit von der Mauer seines Hauses stehen. Gemächlich zieht er die Hand aus der Hosentasche und legt sie an den schlanken Griff des Messers, das sich an seinen Oberschenkel schmiegt. Er lauscht. Der Schrei des Rabens lässt seine Finger jedoch zucken. Eben dieser Moment wird von dem lauernden Halunken ausgenutzt.
Der Mann springt aus der Ecke, in welcher er sich verborgen hat und packt den Schmied am Kragen. Keuchend taumelt Aki ein wenig, da der heftige Griff ihm den Atem raubt. Dennoch ist er augenblicklich wach und wehrhaft und zückt den Dolch.
"Denk nicht einmal daran." knurrt die Stimme an seinem Ohr, so dicht, das ihm gewahr wird wie groß sein Angreifer ist. Die Situation verlangsamt sich unwirklich und Aki nimmt einige Details wahr. Der Mann hinter ihm ist genauso groß wie er und steht ihm auch Kräftemäßig in nichts nach. Er spürt den prallen Arm, der sich gegen seine Brust presst und ihm das Messer an die blanke Kehle hält. Der Bizeps ist beachtlich, ganz gleich ob dieser in Leder gehüllt ist. Der raue Atem des Halunken kitzelt Aki's Nacken, während er regungslos verharrt, unfähig sich auch nur einen Fingerbreit zu bewegen.
"Jetzt wirf dein Messer fort, nach vorne ... weit." die Worte sind beharrlich und die Stimme grollend und tief. Der Arm presst fester zu und Aki bleibt keine große Wahl. Er wirft das Messer mit magernem Schwung einige Schritt vor sich.
"Der Beutel hängt an meiner linken Flanke." bietet er ruhig an. Er spürt keine Furcht, nur Resignation. Dennoch zermahlt er sich das Hirn woher ihm die Stimme bekannt vor kommt.
"Halt den Mund." tadeln ihn die Worte und die Empfindung dazu verrät Aki's Verdacht. Ohne darüber nachzudenken bebt sein Brustkorb und er beginnt sachte aber aufrichtig zu lachen. Der Fremde knurrt, dann drückt er zu. Im selben Moment stellt sich Aki auf Zehenspitzen und legt eine Hand um die Klinge und die Andere um den massiven Unterarm. Er stößt den eigenen Ellenbogen zurück und entwischt dem Griff und der Klinge.
Taumelnd macht er zwei Schritte vor und bückt sich nach seinem Messer. Mit den blutnassen Fingern umfasst er eben noch den Heft, als der Halunke gegen ihn stößt. Das Körpergewicht, welches wie ein Rammbock gegen ihn prallt reisst den großgewachsenen Schmied von den Füßen und er landet keuchend auf dem Bauch. Eine unachgiebige Hand packt seinen Haarschopf und zieht ihn daran ein Stück hoch, bis die Kehle freigelegt ist. Unpassend schmiegt sich der geschärfte Stahl an seinen Hals und der warme Körper auf seinen Unterleib. Der Mann hockt sich beschwerend auf Aki und hält ihn so ruhig.
"Was.. willst du..?" schnauft er angestrengt und bewegt sich kein Stück, so nah an der tödlichen Klinge.
"Möchtest du nicht um dein Leben flehen, Schmied?"
Sein Blick rückt in die Ferne und er sinnt über die Worte nach. Will er? Warum denn?
Der Mann versteht das Zögern falsch oder ist einfach von der ungeduldigen Sorte. Aki zuckt intuitiv zurück, als das scharfe Metall ihm über die Kehle fährt. Er gurgelt, dann spürt er die wohlige Wärme seines eigenen Blutes, das auf seine abgestrützen Hände hinab prasselt. Sein Blick verwelkt, sodass er nurnoch am Rande mit bekommt, wie er umgedreht wird. Er blinzelt bemüht, aber so müde und sieht in stahlblaue Augen. Seine Augen? Die seines Vaters.


[Bild: inq8k7ba.png]

Um ruckartig aus einem Alptraum zu erwachen müsste man wohl überrascht sein, einen erlebt zu haben. Aki schlägt einfach nur die Augen auf und sieht zur Decke, während er sein Herz hämmern hört. Die Frau neben ihm spürt wohl, das er aufwacht, denn ihre Hand löst sich von seinem Bauch. Mit einem tonlosen Seufzen hievt er die Beine aus dem Bett und rückt an die Kante.
Der Traum kommt stetig, jede Nacht. Ganz gleich ob er jedes Mal auf andere Weise endet, so findet er darin keine Befriedigung. Sein Herz sehnt sich auf eine seltsame, unbekannte Art nach einem Wiedersehen aber jeder Gedanke daran endet in einem blutigen Kräftemessen. Ist es Sehnsucht? Ist es Furcht?
Schlussendlich ist es egal. Denn wonach er sich sehnt ist Gewissheit und Rat. Er möchte wissen ob es einen Ausweg gibt von all dem Leid und dem Schmerz. Ob er 'normal' sein kann, normal lieben und normal denken kann. Ob sein Vater es geschafft hat glücklich zu werden.
Auf der anderen Seite fragt er sich warum er das nicht selbst heraus finden kann. Vermutlich, da er zurück blicken müsste. Was mit denen ist, denen er Leid zugefügt hat. Vor allem den Gedanken an Rahel will er nicht wagen. Denn dieser leitet von selbst zu der ungebändigten Wut, die langsam wieder hervor sickert. Ob diese Wut je vergeht? Er weiß es nicht, will es nicht wissen. Resigniert wieder, legt sich wieder zur Ruhe und flieht vor den Gedanken.
"Was willst du vom Leben?" - "Die Wut auf mich selbst verlieren."
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Voyeur - von orikson - 27.10.2013, 14:33
RE: Voyeur - von orikson - 30.10.2013, 14:18
RE: Voyeur - von orikson - 31.10.2013, 13:26
RE: Voyeur - von Aki Durán - 14.11.2013, 14:48
RE: Voyeur - von Aki Durán - 26.11.2013, 13:38
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RE: Voyeur - von Aki Durán - 25.02.2015, 14:25
RE: Voyeur - von Aki Durán - 28.03.2015, 12:46
Träume - von Aki Durán - 15.10.2015, 14:53
Die Gehörnte - von Aki Durán - 01.12.2015, 12:48
Marionette - von Aki Durán - 19.06.2016, 23:03
Kontrolle - von Aki Durán - 26.09.2016, 18:11
Nähe - von Aki Durán - 26.11.2016, 21:03
Beherrschung - von Aki Durán - 27.01.2017, 23:56
RE: Voyeur - von Aki Durán - 10.02.2017, 21:00
RE: Voyeur - von Aki Durán - 09.07.2017, 13:24
RE: Voyeur - von Aki Durán - 02.12.2017, 15:29
RE: Voyeur - von Aki Durán - 04.01.2018, 18:10
RE: Voyeur - von Aki Durán - 10.07.2018, 17:09



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