Götterreisen
#16
Ein Neuanfang:

Als sie aus dem leichten Dämmerzustand erwachte, brauchte sie einige Zeit, um sich zurecht zu finden. Es war dunkel und in der Ferne hörte sie das Rauschen des Wasser. Die Kopfschmerzen waren unerträglich, sie fror und beinahe jeder Knochen und Muskel taten ihr weh, von der unbequemen Haltung, in der sie wohl eingeschlafen sein musste. Aber erst der etwas direktere Schmerz an den Innenseiten der Unterarme und Handgelenke ließen die Erinnerung an den vorherigen Abend schlagartig zurück kehren.

Sie streckte sich und schaute zum Himmel hinauf. Auch wenn es hier keine Sicht auf den Horizont gab, konnte man den Morgen im Osten schon erahnen. Es wäre gut, noch ein wenig Schlaf zu bekommen, also schlurfte sie - einer alten Frau ähnlicher, als der, die sie war - zum Zelt und legte sich so wie sie war auf das einfache Bett, zog die Felldecke über sich und schloß erneut die Augen.

Doch der dringend benötigte Schlaf wollte sich nicht so leicht einstellen. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um die letzten Tage, in denen sich ihr Leben so radikal verändert hatte.

Gefühlt hatte sie es schon lange, nur wahrgenommen hatte sie es nicht, oder beiseite geschoben, so wie man unliebsame Erinnerungen beiseite schiebt. Doch am Anfang der Woche war sie dann endlich bereit diesen Schritt zu gehen, was auch immer er für sie bedeuten mochte. Sie hatte alles aufgegeben, wofür sie lange und hart hatte arbeiten müssen. Ihr Heim, ihre Bindungen an Zweitürmen, ja sogar die letzten Bande zur Jehann-Familie würde sie kappen. Selbst für Marlene würden die Umstände ihrer Zeugung und Geburt nur noch vage Schatten sein, so hoffte sie jedenfalls.

Und freundlicher als erwartet, hatte man ihr eine Zuflucht gewährt. Einfach, doch sicher. In den ersten beiden Nächten war sie dutzende Male durch das nahe Kreischen der Harpyien hochgeschreckt und hatte automatisch zum Bogen gegriffen, das Zelt dämpfte keinen dieser Laute. Aber merkwürdigerweise fühlte sie sich wohl und auch Marlene schien sich rasch an die neue Umgebung zu gewöhnen.

Dann kam der Tag ihres ersten Opfers für das Faun-Reich. Elda würde ihr die Runen ihrer Schicksalsgötter in die Haut ritzen, oder brennen, oder malen. Sie war mit den Techniken nicht genau vertraut. Sie war sich sicher, dass sie dies Opfer erbringen wollte, aber dennoch unsicher, was genau auf sie zukommen würde. Lange saß sie an jenem Nachmittag hinten am Schrein, um sich auf das Ritual einzustimmen, nur ab und zu abgelenkt durch Marlene, die die neue Umgebung auf ihre eigene Weise erkundete, halb krabbelnd, halb laufend, immer mal wieder etwas in den Mund steckend, um es auch schmecken zu können. Solange es ihrer kleinen Tochter nicht gefährlich wurde, ließ sie sie gewähren.

Als der Abend sich näherte, band sie Marlene mit einem einfachen, aber weichen Band an einem etwas abseits gelegenen Strauch fest und stieg, so wie die Götter sie erschaffen hatten, in das kalte Wasser des kleinen Bergsees. Es gab eine Stelle nahe des Wasserfalls, die beinahe so schön war, wie der Ort, den sie immer als ihren Lieblingsort in diesem Teil Amhrans empfunden hatte und dort verbrachte sie einige Minuten, sich von dem wilden Wasser umspielen lassend, während von weit hinten das wütende Geschrei der angebundenen Marlene zu ihr herrüber schallte. Mit einem leisen Seufzer löste sie sich und schwamm zurück ans Ufer. Die saubere Kleidung lag bereit, ebenso wie ein Handtuch und auch Marlenes Geschrei verstummte, als sie ihre Mutter aus dem Wasser kommen sah.

Fröstelnd zog sie sich rasch an, immerhin war es ein recht warmer Tag gewesen und die Sonne hatte die umliegenden Hänge und Felsen aufgewärmt. Sorgfältig bürstete sie ihr Haar und schließlich erlöste sie ihre Tochter von dem Band, um mit ihr anschließend in der Taverne ein einfaches Abendessen einzunehmen.

Sie war sehr erleichtert, als Inara kam, ihre engste Vertraute und Freundin - ihre Schwester. Sie würde nicht allein sein und das gab ihr Sicherheit. Und dennoch war sie in keinster Weise darauf vorbereitet, was danach geschah ...
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Götterreisen - von Magdalena - 25.09.2013, 16:21
RE: Buße - von Magdalena - 26.09.2013, 17:39
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