Im Hause Greifenfels
#7
Die Nacht war bereits hereingebrochen und die Schatten krochen an den Wänden empor. Nur die Laterne vor dem Fenster spendete ihr düsteres Licht, welches verzerrte Schatten auf dem Mauerwerk tanzen lies. Die junge Frau hatte den Blick aus dem Fenster und auf den Vorhof gerichtet, sodass sie jederzeit sehen würde, wenn er wieder zurückkehrte. Doch der Platz blieb leer.

Sie hatte nicht geschlafen, hatte versucht, die gesamte Nacht den Wünschen Bentrions nachzukommen. Er hatte es nämlich für zutiefst angemessen empfunden, ihr des Nächtens noch eine Aufgabe zu erteilen – Buchstabenlernen. Und am nächsten Tag sollte sie diese bereits parat haben. Also war ihr nichts anderes übrig geblieben, als die Nacht, anstatt mit Schlaf zu füllen, damit zu verbringen, Geschriebene Symbole nachzuzeichnen. Perfektion, hallte es in ihrem Kopf.
Daher durfte es auch nicht verwundern, dass sie am nächsten Morgen, nach einem knappen Gespräch mit ihrem Lehrer, über den Pergamenten einnickte. Doch der Schlaf sollte nicht lange währen. Ein Rumpeln riss die junge Frau unsanft wieder in die Wirklichkeit zurück. Schlaftrunken rieb sie sich die Augen und gähnte herzhaft. Eine Gestalt, den Rücken zu ihr, hatte sich gerade an den Kommoden zu schaffen gemacht und durchwühlte einzelne laden, als wäre er auf der Suche nach etwas. Beinahe schlagartig war sie wach.
„Corbin?“ Sich in ihrem Stuhl aufrichtend, blickte Lyanna verwirrt zu dem Galatier, der ihr erst jetzt langsam seine Aufmerksamkeit zukommen ließ. Er richtete sich auf, ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick.
„Was...tust du hier?“ Er lächelte.
„Ich wüsste nicht, was dich das angehen würde.“ Eine Augenbraue wanderte nun ihrerseits langsam in die Höhe.
„Das ist die Heilerstube. Ich bin Heilerin. Das sind Kommoden der Heilerstube, mit Dingen, die auch mir gehören...und du?“
„Ich bin kein Heiler. Aber ich habe hier Zugang, wie du genauso. Und ich suchte Bandagen.“ Lyanna atmete tief durch und stemmte sich in die Höhe, machte einen Schritt auf ihn zu.
„Ich denke, du solltest nun gehen.“ Sie streckte die Hand aus, ihre Finger zeigten in einer lockeren Einheit gen der Doppeltüre. Der Blick lag ruhig auf ihm, selbst wenn die dunklen Augenringe ihn wohl weniger bedrohlich anmuten ließen, als sie es beabsichtigt hatte. Seine Reaktion erfolgte jedoch prompt – er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Ein Lächeln zierte seine Lippen, welches ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Es schien, als habe er nur auf eine solche Möglichkeit erwartet.
„Was willst du sonst tun? Denkst du, dass dir, nur weil du deine Schenkel ein paar Mal breit gemacht hast, mehr zusteht als mir?“ Er wusste, dass er damit einen wunden Punkt treffen würde. Dieses Mal war er es, der einen Schritt auf sie zumachte. Er war nicht sonderlich größer, aber deutlich muskulöser – und er strahlte etwas Bedrohliches, Raubtierhaftes aus. Sie funkelte ihm entgegen.
„Du weißt nicht von was du sprichst. Aber glaube, was du willst. Und selbst wenn...was würde es ändern? Was würde es dich angehen, für wen ich meine Schenkel gespreizt habe?“ Wieder ein Schritt. Sie stand nun so nah vor ihm, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spürte. Er ballte die Hände zu Fäusten.
„Weißt du...eigentlich wollte ich mich dafür entschuldigen, mein loses Mundwerk zu weit aufgemacht zu haben. Gesagt zu haben, du hättest keine Ehre. Aber meine Annahme war wohl nicht so weit hergeholt. Du besitzt keinen Funken Ehre in dir.“ Sie musterte ihn.Jede Freundlichkeit war aus ihrer Stimme verschwunden.
„Oder ist es vielleicht etwas anderes, was dich wütend macht? Weil ich die Schenkel nicht für dich gespreizt habe? Hättest du auch gerne ein Stück gehabt?“ Die schallende Ohrfeige, die nun kam, war vermutlich nicht sonderlich überraschend – dennoch reichten ihre Reflexe nicht aus, jener auszuweichen. Ihr Kopf flog zur Seite, sie schmeckte Blut. Für einen Moment verharrte sie keuchend in ihrer halb zur Seite gedrehten Position, dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die aufgeplatzte Lippe und richtete sich wieder auf. Ein kaltes, berechnendes Lächeln, welches man ihr wohl nicht zugetraut hätte, zierte ihre Lippen. Dann, ohne Vorwarnung, rammte Sie ihren Körper gegen den Seinen. Zusammen krachten sie gegen die Kommoden, wo er noch kurz zuvor lässig gelehnt hatte. Die Einmachgläser fielen zu Boden und blieben wie durch ein Wunder heil. Daneben landeten die Körper der beiden, in einen erbarmungslosen Kampf, Verwickelten. Bevor Lyannas Hand sich in ihm verkrallen konnte, stieß er sie von sich. Keuchend landete sie auf dem Boden und rollte sich ab. Gleichzeitig langte ihre Hand nach dem vorbeikullernden Einmachglas – blind warf sie es ihm entgegen. Es traf mit einem unschönen Laut seine Stirn. Blut spritzte und begann wenig später in einem dünnen Rinnsal seine Stirn herunterzulaufen. Doch ließ er weder sich, noch ihr die Zeit, sich dem näher zu widmen – sofort stürzte er sich auf sie und versuchte sie wieder zu Fall zu bringen. Die Balance gerade erst wieder erlangt, hatte sie keinerlei Chance auf seinen erneuten Angriff zu reagieren. Mit einem überraschten Laut fiel sie zurück, ihr Kopf schlug auf dem Boden auf. Ein Schmerz sondergleichen explodierte und nahm ihr für einen Augenblick die Sicht. Es war ihm ein leichtes diese zusätzliche Schwäche auszunutzen – seine Hände umschlossen unbarmherzig ihre Handgelenke und drückten diese zu Boden, während sein Körper ihre Hüften zu Boden presste und sie in Schach hielt. Ihre Versuche, sich zu wehren blieben erfolglos. Sie war ihm vermutlich auch unterlegen, selbst wenn sie in einer besseren Verfassung war.
Hilflos starrte sie zu ihm auf. Sie wusste, dass sie verloren hatte – und nun begann sich die Angst breit zu machen. Was hatte er vor? Sie kannte genügend Schauermärchen, sowohl von ihrer Mutter als auch von genügend Erzählungen aus dieser Stadt, um es sich ausmalen zu können. Ihre Gedanken rasten. War er verrückt geworden? Hier in der Heilerstube? Wenn jemand hereinkommen würde, wäre er dem Tode geweiht.
„Galatier geben sich nicht mit Bewohnern Amhrans ab!“ Seine Worte rissen Lyanna zurück in die Gegenwart. Zu spät. Er senkte den Kopf herab und drückte seine Lippen auf die Ihren. Ihr Herz machte einen Sprung – dann schien die aufkeimende Panik die letzten Kraftreserven aus ihr herauszulocken. Ihr Körper bäumte sich verzweifelt unter seinem Griff auf, versuchte ihn irgendwie abzuschütteln – doch seine Lippen blieben mit den ihren verbunden. Ein, zwei Momente vergingen noch, dann schien er plötzlich locker zu lassen und sich wieder aufzurichten. Irgendwie rutschte er von ihr herunter – ob er erkannt hatte, zu was das führen würde oder er dies aus einem anderen Grund tat, war ihr in diesem Moment gleichgültig. Sie rollte sich zur Seite, um seiner Nähe zu entkommen. In dem Moment wurde die Türe geöffnet. Ein Schatten legte sich über den Raum, als die Gestalt für einen Moment das Licht von draußen aussperrte.
„Was geht hier vor sich?“ Die Stimme war dunkel und eine gewisse Spur von Schärfe war darin zu erkennen. Langsam setzte sie sich auf und wischte sich erneut über die Lippen, richtete den Blick zu Exael auf. Auch Corbin erhob sich und fuhr sich über die blutverschmierte Stirn, musterte kurz seine Hand.
„Hat das deine Ehre wieder hergestellt?“
Corbin erwiderte nichts, sondern setzte sich nur in Bewegung.
„Was hast du getan du missratener galatischer Hund?“ Lyanna hätte schwören können, dass sich in dem Moment etwas in Exaels Blick veränderte – sie hielt den Atem an. Corbin marschierte einfach weiter. Einzig und alleine Exaels Hand, welche sich plötzlich um seinen Kragen schloss, hielt ihn davon ab, gänzlich zu verschwinden. Die beiden funkelten sich an.
„Ich habe dir eine Frage gestellt.“
Die Spannung war mittlerweile so spürbar, dass man problemlos mit einem Buttermesser durch die Luft hätte schneiden können. Dann holte Corbin auf und versetzte Exael einen Schlag an der Schläfe. Dies schien sogar den Hünen zu überraschen, denn er ließ Corbin los und machte einen Schritt zur Seite, seine Hand wanderte an die getroffene Stelle.
Ein, zwei Augenblicke vergingen, während Corbin bereits die Türen geöffnet hatte. Dieses Mal war es Exaels Lächeln, welches das Blut in ihren Adern gefrieren ließ.
„Dafür wirst du bluten“
Dann war Corbin nach draußen verschwunden, und die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Die Dunkelheit kehrte zurück.
All the world knew that a maester forged his silver link when he learned the art of healing - but the world preferred to forget that men who knew how to heal, also knew how to kill
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Nachrichten in diesem Thema
RE: Im Hause Greifenfels - von Exael - 25.08.2013, 15:51
RE: Im Hause Greifenfels - von Exael - 26.08.2013, 20:55
Verletzte Ehre - von Lyanna Ennisfree - 27.08.2013, 20:50
Gedanken - von Bentrion Greifenfels - 05.09.2013, 13:48
RE: Im Hause Greifenfels - von Exael - 09.09.2013, 15:00
Der Sturm - von Lyanna Ennisfree - 10.09.2013, 20:54



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