FSK-18 Der Sturmrufer
#13
Das Erwachen schien noch ein ferner Gedanke zu sein, an den sich sein Körper erst wieder gewöhnen musste, als immer wiederkehrende Lichtreflexe der Augenlider und das Gefühl von Wärme auf seinem Körper immer stärker in das Innere seines Körpers durchdrangen und in der Leere an dem Geist des Kriegers zerrten. Zurück an die Oberfläche. Das was geschehen war, schien so unerreichbar fern, dass Skaskar Mühe hatte, sich auch nur ansatzweise daran zu erinnern, was ihn in diese Situation – ja welche Situation eigentlich? - gebracht hatte.

Seine Augen weigerten sich beharrlich, sich ganz zu öffnen und gaben bei jedem zittrigen Versuch die mit titanischen Gewichten beschwerten Lider zu öffnen einen verschwommenen Blick auf eine menschliche Silhouette an einem Feuer preis. Sonst: Dunkelheit. Sein Körper fühlte sich kraftlos und schwach an und einige Stellen seines Körpers fühlten sich wärmer und klebriger an als der Rest. Nur langsam folgte der Geist diesen Feststellungen, diesen Fakten der Welt, in die er erst langsam zurückkehrte. Wann immer die kraftlosen, ziellosen Gesten des Streiters nun versuchten, nach seinem Körper zu greifen, ihn forschend zu betasten, um ein Gefühl für die Wirklichkeit zu bekommen in der er sich befand, griff eine aus der ferne herbeigeeilte, schmale und filigrane Hand nach der seinen. Die Hand war warm und führte seine Hände stets wieder sanft aber zielsicher an die Seite seines Körpers, wobei Skaskar manchmal glaubte, einen sanften Druck ihrer Finger zu spüren, wenn er mit seiner Hand die unbekannten Finger zu greifen versuchte. Ihre Finger. Die Finger einer Frau. Die Erkenntnis ließ den Geist ein Stück weiter Richtung Wirklichkeit rucken. Frye. Der Bär. Ein Kampf. Und dann die Schwärze. Keine Luft. Und bevor Skaskar Sturmschlag merkte, dass ihn das Zusammenführen dieser Fetzen seiner Erinnerung zu viel Kraft kostete, hatte sich sein Geist wieder zurückgezogen und schaltete den Körper ordnungsgemäß erneut in einen Zustand des Tiefschlafs.

Das nächste mal als sein Körper beschloss, einen erneuten Versuch in die Welt des Wachseins zu wagen, begannen seine Lider seinen Aufforderungen schneller zu folgen und auch sein Kopf schien nun erstmals wieder seinen Befehlen zu gehorchen. Sonst jedoch noch immer weitgehend in einem Körper gefangen, der sich anfühlte, als würde er den Aufforderungen des Kopfes erst Lidschläge später nachkommen, richtete sich der Blick auf die noch immer am Feuer sitzende Gestalt. Auf die Silhouette. Frye.

„Willkommen zurück, Winterwolf.“ rollten die Worte schicksalshaft und gepaart mit einem spöttischen Unterton über ihre Lippen. Er hatte so viele Fragen an sie, die Jägerin, doch der Name, den sie ihm soeben gegeben hatte, entflammte Erinnerungen aus der Asche seiner Vergangenheit, dass er für einen Moment keine andere Möglichkeit hatte, als sich den vor seinem geistigen Auge vorbeiziehenden Bildern zuzuwenden, die wie Peitschenhiebe auf ihn einprasselten und ihn auch in der Realität zusammenzucken ließen.Wie jung sie zu dieser Zeit gewesen sein mochten. Und welche Wünsche und Schwüre, die nur die naiven Köpfe von endlos selbstüberzeugten Nortgardern schmieden konnten, sie in diesen Tagen geleitet hatten. Winterwolf. Das war ihr Name für ihn gewesen, geschuldet der trivialen Tatsache dass es das erste Tier gewesen war, welches sie zusammen gejagt und erlegt hatten. Es hatte seine Stärke darin bewiesen, dass die Jäger am Ende selber zur Beute werden sollten, weil sie zu unvorsichtig waren und Frye beinahe umgekommen war, bevor Skaskar den starken, alten Wolf töten konnte. Selbst Jahre später mutete es wie eine der ultimativen Prüfungen ihres Lehens an, wenngleich diese etwas Verbindendes für beide hatte. Sie hatte von ihrem eigenen Versagen gelernt und seither jede freie Minute in das Vorhaben gesteckt, nie wieder jemandes Beute zu sein und gleichzeitig versucht, niemals ihrem Jagdgefährten, Skaskar, in etwas nachzustehen. Sie beide stachelten einander an, forderten einander heraus und umschlichen einander wie zwei Raubtiere, deren Band mit jeder erfolgreichen Jagd nur stärker wurde.

Er war ihr Winterwolf gewesen. Die Erinnerung hatte etwas beruhigendes, wenngleich es auch im selben Moment die Brücke zurück in die Realität war. In die Höhle, in der Frye ihn noch immer beobachtete und erst nachdem sie das Aufdämmern der Erinnerung in seinem Blick gesehen hatte, mit ernstem und geradezu prophetischem Unterton erneut zu sprechen anhob:“Ich wusste, wenn die weite Welt dich ersteinmal im Griff haben würde, würdest Du mich vielleicht vergessen Skaskar. Aber ich hätte niemals gedacht, dass Du Deinen wahren Namen und den Namen Deiner Waffe vergisst. Das ist würdelos.“ Ihre Stimme ließ trotz der harten Worte Betroffenheit erkennen, als empfände sie so etwas wie Mitgefühl, bevor sie weitersprach. „Mein Skaskar, der Skaskar vor dieser unseeligen Reise nach Servano, mein Winterwolf, hätte diesen vom Winter geschwächten Bären mit bloßen Händen gewürgt und ihm anschließend mit der Faust den Brustkorb zerissen um sein Herz zu greifen und von seinem Blut zu trinken. Aber Du, Skaskar, bist weich geworden. Du hast Dich von den Flachländern und ihrer Bequemlichkeit verlocken lassen und taugst zu nicht mehr als Ablenkung.“

Man hätte vermuten können, dass Skaskar sich rechtfertigen, sich verteidigen wollte, aber dazu war er zum einen zu schwach, zum anderen brachte ihn jedes Wort zurück in die Welt, in der sie und er damals gelebt hatten. Wenn man davon ausging, dass ein Nortgarder nicht nur stolz und diszipliniert kämpfen konnte und daran auch noch Gefallen fand, waren die beiden stets noch eine Spur weiter gegangen. Angestachelt durch die Geschichten, in denen Nortgard noch ein freies Land, das Zentrum des alten Ulgard Reiches und somit Quelle für viele Sagen und Mythen war, deren Echtheit bestenfalls angezweifelt werden konnte, hatten sich die beiden, im Bestreben einander stets herauszufordern in den wenigen angeblichen Fakten verloren, die keiner der heute noch lebte, jedoch abstreiten wollte: Die Ulgard waren ein Kriegervolk. Mächtig im Kampf und unbeugsam, den alten Göttern treu ergeben. Sie raubten und nahmen sich, was sich erbeuten ließ und ergingen sich in der Hauptsache im Recht des Stärkeren. Es war ein erstrebenswerter Kontrast zu dem Nortgard der jüngsten Vergangenheit, welches, gebeutelt von der Abhängigkeit zu Silendir und unter dem Verbot eigener Armeen leidend, erst mit der neuen Fürstin endlich einen Hoffnungsschimmer zurück zur Eigenständigkeit erkennen ließ. Die Tatsache, dass die neue Herrscherin Nortgards mit vielen alten Ge- und Verboten, vor allem aber mit der Krone in Widerstreit lag, hatte den beiden nur noch mehr Auftrieb gegeben. Die alten Wege – nicht nur die der Götter – sondern die des Ulgard-Imperiums waren das Erbe jedes wahren Nortgarders und in diesem Fanal von Fanatismus und gegenseitiger Herausforderung waren sie aneinander entflammt.

„Als Du nicht wiederkamst, Skaskar, dachten sie alle dass ich mich aus Liebe zu Dir zurückgezogen hätte.“ Sie spuckte aus. „Ich wusste, wenn Du länger in den schwachen Lehen bleibst, wirst auch Du Dich irgendwann der Schwäche nicht mehr verschließen können. Sie ist wie die Keuche. Schleichend, unsichtbar, todbringend.“ Der Blick der Jägerin blieb an den Flammen hängen, ehe sie ihre Stimme senkte und in einem prophetischen Tonfall weitersprach, dem man ohne Mühe auch hätte abnehmen können, dass die Worte genauso auch für sie selbst galten. „Ich habe Dir ein Geschenk gemacht, Winterwolf. Ich habe die Schuld für mein Leben nicht nur zurückgezahlt, sondern auch beschlossen Dich von Deiner Schwäche durch Opfer aus Blut und Schweiß zu befreien. Wir sind gleiche Seelen unter dem Himmel unseres kalten Reiches, Skaskar und ich werde Dir helfen, zurück nach Hause zu finden. Wenn wir zusammen gejagt, getötet und gespeist haben, wirst Du Dein Erbe wieder spüren. Und du wirst es nie wieder verlieren. Vielleicht wirst du wanken, aber es wird Dich immer begleiten.“ Und düster fügte sie an:“Dafür werde ich Sorge tragen. Du bist nun an mein Leben gebunden, wie ich an Deines für eine halbe Ewigkeit gebunden war. Wir sind unzertrennlich, denn unser Erbe verbindet uns.“

Skaskar indes, blickte zu der steinernen Decke auf, die einstmals über den winterlichen Schlaf des nun toten Bären wachen sollte. Es war unzweifelhaft, dass er jedes ihrer Worte bereitwillig aufnahm, alleine schon wegen dem Kampfgeist, die sie in ihm weckten. Er hatte versagt – das hatte sie ihm nur allzu deutlich vor Augen geführt und Skaskar ließ eine derartige Scham nur ungern auf sich sitzen, vor allem nachdem die Worte, erst wie Nadelstiche, später wie Speerstöße zu dem Raubtier vorgedrungen waren, dass er in Servano stets in Ketten hatte legen lassen – allen voran den Ketten, die der Schneiderin gehörten. Frye hingegen, legte ihm keine Ketten an. Er war frei, sie machte ihn frei – wenn er auch schwach war. Ein Anfang. Nach einem langen Moment, in dem beide keinen einzigen Ton sprachen, rollten Skaskar schließlich die Worte über die Lippen, die den Schwur zwischen zwei Seelen erneuern sollte und damit der Zukunft jede Möglichkeit nahmen, irgendetwas von dem, was noch passieren sollte, zu vermeiden:“Für immer Nortgard, auf ewig Ulgard.“

Als der Krieger mit diesen Worten erneut in eine Episode des heilsamen Schlafes hinabglitt, konnte er noch sehen, wie die Züge der Jägerin ein zufriedenes Lächeln zeigten. Und gerade in dem Moment, da die Augenlider das Tor zum Licht des Lagerfeuers schlossen, konnte er in der aufkeimenden Dunkelheit erstmals wieder das Gefühl der Verbundenheit ertasten, dass ihn auf ewig an die Jägerin binden sollte.

[Bild: 182982__art-mountains-snow-cave-fire-viking_p.jpg]
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