FSK-18 Der Sturmrufer
#10
Vater & Sohn

Der Winter kam. Und mit ihm war Skaskar in seine Heimat zurückgekehrt und hatte seiner Familie das Wunder beschert, für das sie lange gebetet hatte. „Ein Sturmschlag verschwindet nicht einfach. Entweder ist er damit zu beschäftigt, ruhmreiche Schlachten zu schlagen oder er ist dabei umgekommen. Und dann wird er später durch die Lieder der Barden unsterblich bis in alle Zeit.“ hatte sein Vater gesagt, als der Streiter durch die Tür in das Haus trat, in dem er aufgewachsen war, während alle anderen nicht mehr als gaffen konnten. Seine Mutter hatte geweint als sie erst begriffen hatte, dass ein Totgeglaubter vor ihr stand, ein verloren geglaubter Sprößling, während sich das Rad der Zeit in seiner Heimat weitergedreht hatte.

Sie alle hatten so viel zu erzählen, zu verkünden – und Skaskar war es vorgekommen, als sei er Jahrzehnte fort gewesen, auch wenn dem lange nicht so war. Also hatte man alle Reserven angezapft, die man im kleinen Eisenheim eingelagert hatte, reichlich Fleisch wurde über das Feuer gehalten und alle verfügbaren Nachbarn eingeladen und man hatte gefeiert. Es war nicht nur ein Wiedersehen mit der Familie, sondern mit dem ganzen Dorf, der eingeschworenen Gemeinschaft, die hier am Fuße der Zwillinge aufeinander acht gab. Es dauerte erstaunlicherweise nicht lange bis Skaskar das Gefühl hatte, nie seinem geliebten Berglehen entflohen zu sein.

Geschichten darüber wer die besseren Turniere gekämpft, die wilderen Tiere erschlagen oder die besseren Schwerter geschmiedet hatte, überschlugen sich mit steigender Stundenzahl – bis am Ende der Boden mit Schlafenden oder eben leeren Krügen und Tellern gesäumt war und Stille im Haus der Sturmschlags eingekehrt war. Während Skaskars Vater noch die letzten Versprengten eines mehr als zünftigen Trinkgelages mit der zugleich strengen und sanften Fürsorge zudeckte, die nur jemand wie der alternde Schmied entwickelt haben konnte, blickte Skaskar in die Dunkelheit hinaus, die das kleine Eisenheim nun vollständig umhüllt hatte.

Erst die Stille der Nacht ließ seine Gedanken kurz in die Vergangenheit, nach Servano entfliehen und sich daran erinnern, wie gerne er diesen Abend, diese Nacht, mit einigen der Zurückgelassenen geteilt hätte. Sein Vater hätte nicht einmal das Spiegelbild des Kriegers in der Scheibe des Hauses gebraucht, um diese Gedanken lesen zu können und die fleischige, kräftige Hand des Schmiedes legte sich schließlich auf die Schulter des Streiters. Sie beide hatten sich stets ohne viel – oder überhaupt – Worte verstanden. Meist reichte eine Berührung oder ein brummender, knurriger Laut aus um eine Botschaft des Verstehens zu übermitteln, wo andernorts ganze Aufsätze gesprochen wurden.

Diese Situation war so eine, in der es nur um dieses Urverständnis ging. Zumindest so lange bis ein Schatten am Fenster vorbeischritt, der die Aufmerksamkeit des Kriegers auf sich zog. Die Silhouette eines Menschen, einer Frau, welche mindestens mit einem Bogen an dem Haus vorbeigegangen war. Aufrechte Haltung, stolz vielleicht sogar und gleichzeitig elegant, vollendet in ihren Bewegungen. Skaskar musste schlagartig an einen lauernden Wolf denken, der an seiner Beute vorbeigeschlichen war, obwohl sie ihn weder angesehen, vielleicht nicht einmal wahrgenommen hatte. „Frye.“ sagte sein Vater nur, als sei das eine hinreichende Erklärung gewesen. „Keiner wusste, dass sie so sehr an dir hing wie deine Geschwister oder deine Mutter dich lieben – vermutlich sogar mehr.“ erklärte die basstiefe Stimme des Mannes als die Silhouette bereits wieder in die Dunkelheit getaucht und längst nicht mehr als der Schatten des Eindruckes war, der nur einen Lidschlag gedauert hatte.

Ohne seinen Blick vom Fenster zu nehmen, rollte Skaskar die offensichtlichste aller Fragen über die Lippen:“Warum war sie dann nicht hier?“ Die Frage wurde zunächst mit nicht mehr als einer langen Stille beantwortet, gefolgt von dem Tiefen Seufzen eines Mannes, der einräumen musste, eine wichtige Schlacht verloren zu haben. „Niemand kannte ihren Schmerz, bis sie sich zu verändern begann – sich von der Gemeinschaft entfernte, oft tage, sogar wochenlang fortblieb und niemand etwas über ihren Verbleib wusste. Sie kehrte zwar immer wieder zurück, jedoch meist so verdreckt und zerzaust, als habe sie keinen Tag geschlafen – und wenn dann hatte sie das nur unter freiem Himmel getan. Manchmal brachte sie sogar frische Wunden mit, die alle in Sorge zurückließen – wobei sie nur so tat als wären es minimale Kratzer. Wahrscheinlich wüsste bis heute niemand, dass Du der Grund für ihren Schmerz warst, wenn man sie nicht eines Tages mit gebrochenem Bein an einem Flussbett, der Besinnungslosigkeit nahe, deinen Namen wimmern hörte.“ Erneut kehrte eine Stille ein, wobei sie sich diesmal wie ein bleierner, schwerer Schleier über die beiden Männer legte. Der eine schien Scham zu empfinden, der andere eine seltsame Mischung aus Mitgefühl und Faszination. Mitgefühl für den Schmerz, den sie empfunden haben musste – Faszination für die Stärke und erlittenen Qualen. „Das Bein verheilte, ihre Wunden hier oben nicht.“ und dabei konnte Skaskar hören wie sich sein Vater mit einem fleischigen Finger kräftig, mehrfach an die Stirn tippte.

Der alte Hrothgrim Sturmschlag nahm die erneut einkehrende Stille als Anlass das Thema dann jedoch jeder weiteren Erforschung zu berauben: „Es ist spät und dein alter Vater ist müde. Sei nur so gut Skaskar – und sei morgen früh noch hier. Sonst brichst du allen das Herz.“ Die Stimme des Alten klang ehrlich und fürsorglich. Sie hatte diese seltsame Eigenschaft, einen zu ergreifen und selbst in der eigenen Heimat an einen anderen Ort zu tragen, an dem man das Gefühl hatte, stets behütet zu sein. „Und vielleicht kannst du Frye ja wieder zurückholen in diese kleine Gemeinschaft. Eisenheim braucht seine Bewohner. Gute Nacht.“ schloss der Alte das Gespräch ab, während Skaskar noch immer aus dem Fenster starrte, ohne etwas anzublicken.

Er war in seinem Leben nicht oft anderer Meinung als sein Vater gewesen, doch offenbarten sich diese Momente meist recht schnell: Skaskar war sich sicher, dass er auf Frye eher früher als später treffen würde – doch im Gegenteil: Er wusste bereits in dieser Nacht, dass er sie nicht „zurückholen“ würde, wenngleich ihm nicht annähernd klar war, wie weitreichend dieser Entschluss, diese Erkenntnis, sein würde.
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