FSK-18 Der Sturmrufer
#9
Heimat

Die letzten Tage waren beschwerlich gewesen. Der Gerüstete hatte sich wie ein entflohener Vogelfreier gefühlt und er vermutete, dass nicht wenige, die genau ein solcher Richtspruch ereilt hatte, die gleichen Wege bemüht hatten.

Und wahrscheinlich waren sie genauso überstürzt aufgebrochen, wie er – ohne eine Möglichkeit, sich zu verabschieden. Man hätte meinen können, der Streiter durchlitt körperlichen Schmerz als seine Gedanken zurück nach Servano gingen. Sein Begleiter kannte diesen Anblick bereits. Nicht nur, dass er sah, wie der Streiter sich selbst im wachen Zustand zusehends quälte, sondern auch dass er bei Nacht hörte, wie er nach Menschen rief, die er offensichtlich zurückgelassen hatte. Er war nicht der erste und würde wahrscheinlich auch nicht der letzte sein, den er durch die geschlossenen Grenzen in sein Heimatlehen führte, wenngleich dieser Krieger mitunter von allen, die er bislang gesehen hatte, am Stärksten litt.

Es war nicht die Art des Hohenmarscheners, sich mit seiner „Ware“ anzufreunden, die für gewöhnlich weit weniger wehrhaft war. Dennoch sah er sich genötigt, dem Krieger eine Hand auf die Schulter zu legen und ihm zu versichern:“Wir sind bald da, deine Leiden werden bald ein Ende haben, Freund.“ Der Blick des Kriegers wanderte eher geprügelt als stolz zu seinem Führer, quälte sich allerdings immerhin ein kurzes, zuversichtliches Lächeln ab. „Wenn ihr das sagt.“ antwortete der Streiter lediglich daraufhin.

Neben all' dem Schmerz waren die letzten Tage der Wanderung vor allem von Stille geprägt gewesen. Der Hohenmarschener hatte mehr als einmal erkannt, dass der Krieger seine Entscheidung zu hinterfragen begann und rechnete eigentlich täglich damit, dass er seine Entscheidung zu revidieren gedachte und sie den langen, beschwerlichen Weg zurückgehen mussten. Zurück nach Servano in dieses Dreckloch. Das würde er sich in jedem Fall einiges kosten lassen, obgleich er sich fragte, wie er das wohl eintreiben sollte. Insgeheim hoffte er auf das Ehrgefühl des Kriegers, für die Unannehmlichkeiten extra zu zahlen, sollte es dazu kommen.

Letztlich jedoch, passierte nichts dergleichen. Er verfolgte seinen Weg beinahe trotzig, als sei es eine besondere Herausforderung, ein Kampf, den er unbedingt zu gewinnen gedachte.

Und Skaskar Sturmschlag kämpfte tatsächlich mit sich. Seine Gedanken schafften es nur mühsam sich von denen zu lösen, die er zurückgelassen hatten. Lanyana, Vegard, Askir, Maria, Kathryn, Aygo. Er hatte sich aus ihrer Mitte geflüchtet. Ohne ein Wort, ohne einen Hinweis. Und Kristin, nunja. Sie war die erste Kette, die er gesprengt hatte, nachdem er Servano verlassen hatte. Es war einfach gewesen, sie zurückzulassen, einfacher als er gedacht hatte und vermutlich einfacher als sie es verdient hatte.

Es war gerade einmal Tage her und seine Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit verblasste bereits. Er fühlte Schuld – vor allem dafür, was er ihr versprochen und ihr in Aussicht gestellt hatte und für das er sich bereitwillig zu einem Haustier der Löwensteiner hatte machen lassen. Mit dem Verlassen von Servano hatte er das Gefühl von diesem sanften Schleier, von diesen Ketten, die ihn am Boden hielten, befreit zu sein. Wo ihre Nähe fehlte, spürte er seinen eigenen Körper, die Kraft und den Kampfeswillen zurückkehren. Und mit jedem Tag, an dem ihr Duft in seiner Erinnerung verblasste, hatte er das Gefühl, besser atmen zu können. Und am Ende würde auch die Schuld verblassen, wie der Schatten einer schönen Fantasie, die doch nie Wirklichkeit hatte werden können.

Die anderen hingegen, sie blieben stete Begleiter seines Weges. Sie mahnten ihn, umzukehren, zurück zum Bund, dorthin wo sein Platz nun war – eine Entscheidung, die der Krieger nicht mehr treffen konnte. Nicht jetzt, wo er seinem Ziel so nah war, seiner Heimat, Nortgard.

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