FSK-18 Der Sturmrufer
#6
Eine Welt, die sich um den Kämpen bog, elastisch und aus Federn, die dem Gewicht seines Körpers nachgab, als die Koordination seiner Hände mit dem Gleichgewichtsempfinden im Widerstreit lag. Nach einem kurzen, aber heftigen Kampf, zwang sich das mangelhafte Koordinationsbewusstsein seiner Hände nach vorne und entschied, dass ein besonders kräftiger Schluck aus dem Krug die beste Idee des Abends sein würde, nachdem die diversen Vorrunden des Trinkwettbewerbs bereits ihr übriges getan hatten. Sein Gleichgewicht gab sich hierdurch nicht nur in einer Hinsicht geschlagen: Unfähig, den mit Kopf und Krug nach hinten gelegten Streiter weiter auf seiner Bank zu halten, konnte man einen Mann wie einen Baum von seiner Sitzgelegenheit purzeln sehen – mit der sehr gehaltvollen Ausnahme, dass anstatt einem 'Baum fällt!' allseitiges Lachen die Szenerie begleitet hatte, während der Krieger zunächst auf dem Rücken und mit in die Luft gestreckten Beinen auf dem Boden lag. Manchmal musste man einfach einsehen, dass der Wille den Körper überstieg.

Seinen Rest an Würde überwindend, entschied der Streiter, dass jeder Versuch sich aufzurichten, vermutlich in einer Totalentleerung enden würde und beschied, dass es zunächst ein veritabler Erfolg sein dürfte, sich auf bäuchlings zu drehen und anschließend auf allen Vieren das Schlachtfeld zu verlassen. Nebenbei wurde ihm hierbei eine Weisheit zuteil, wie sie nur durch Met, Wein und Branwen-weiß-was-noch hervorbringen konnten: Die Luft war besser, je tiefer man sich fortbewegte. Sich nicht weiter über die Sinnhaftigkeit dieses Gedankens kümmernd, hatte Skaskar in jedem Fall einen weiteren Teilerfolg zu verbuchen: Die Getränkefässer in der Nähe boten die perfekte Möglichkeit, sich auf dem Boden sitzend anzulehnen, bevor er sich auf den Heimweg machte. Heimweg. Ein kurzes Aufzucken, der letzten, noch nicht vollständig durch den Alkohol betäubten Zellen, das eine große und umso bedrohlichere Überschrift vor sein geistiges Auge zauberte:'Kristin wird mich umbringen.' Das darauf folgende, dümmliche Grinsen, vermutlich hervorgerufen durch den Namen und die damit doch wieder recht angenehmen Gedanken, stand im deutlichen Kontrast zu dem kurzen Versuch, eine Lösung für das Dilemma zu finden. Jenes nämlich bestand, so konnte Skaskar sich selbst folgend, darin, dass seine Gefährtin vermutlich wenig begeistert über einen hinreichend und abstoßend betrunkenen Krieger sein würde, vor allem wenn er nach all den Getränken, die er zu sich genommen hatte, stank.

Ein schweres Ausatmen beendete das Gedankenkarussel mit einem Entschluss. Es gab genug Wasser in Löwenstein, um sich zu waschen. Damit konnte man dem Gestank beikommen. Aber den Rausch – den musste Branwen zu sich nehmen. Und wie jeder gute Mondwächter wusste, hörte er am besten zu, wenn man laut und kraftvoll sang. Diesem inneren Rat folgend, setzte sich der Streiter also, absolut sicher bis zur Haustür der Schneiderstube vollkommen nüchtern zu sein, in Bewegung. Vermutlich hätte er es auch geschafft. Zwar weniger nüchtern, aber irgendwann das passende Haus wiederzufinden, dabei Kristin zu wecken und absolut nicht zu verstehen, was es an der Gesamtsituation jetzt noch auszusetzen gab. Vermutlich hatte jedoch irgendjemand ein Einsehen mit der jungen Liebschaft, so dass Skajars helfende Hand entschied, dem Krieger den Weg zum Hort zu weisen. Zumindest waren die Gedanken des Kriegers nicht so vernebelt, dass die Erinnerung sich seinem Geist verwehrte, als er in voller Rüstung und den entsprechenden Kopfschmerzen im Hort des Bundes aufwachte, als die ersten Sonnenstrahlen durch die Fenster drangen. Die Luft schien sich im Laufe der Nacht mit den diversen Abfallprodukten aus den Lungen der Schwertbundler, vor allem aber dem Restalkohol, angedickt zu haben und es fühlte sich an, als müsste man tatsächlich körperliche Anstrengung aufwenden, um dem Gemisch aus diversen Dingen, die man besser nicht roch, entgegenzutreten.

Vor allem aufgrund dieser Tatsache, nahm Skaskar sich die Zeit seine Rüstung soweit möglich im Liegen abzuschnallen und anschließend ein Fenster zu öffnen. Die frische, einströmende Luft wirkte auf eine ekelhafte Weise feindselig und tadelnd, als sie den Inhalt des Bundodems herausbeförderte und in alle Winde zu zerstreuen gedachte. Ein erschöpfter und zugleich erleichterter Blick trat auf die Züge des Kriegers, der sich im Anschluss, soweit es sein Kater erlaubte, einer Waschung unterzog, bevor er sich in frische Kleider warf. Die Hand der Klinke der Tür vom Hort, sah der Krieger nochmals zurück und hinauf zur Treppe, als das Urteil:“Ein guter Abend.“ sich in seine Gedankenwelt schlich, gefolgt von der triumphalen Gewissheit, dass sein Magen nicht alles wieder herausbefördert hat, was darin gelandet ist.

Also verließ der Krieger den Hort des Bundes im verschlafenen Dämmerungsdunkel der Stadt. Die zugleich eiligen aber auch sehr konzentriert wirkenden Schritte führten ihn schnell zur Schneiderstube, in der seine Gefährtin wahrscheinlich längst das Nachtlager aufgeschlagen hatte. Eine kurze Beurteilung seines eigenen Zustandes wähnte ihn in der Sicherheit, sich nicht dem vollständigen Groll der Schneiderin aussetzen zu müssen, nun da er seinen Körper wieder zurück hatte – zumindest teilweise. Die Knochen wirkten erschöpft, schwer und schienen Skaskar Sturmschlag für die Idee, das Nachtlager im Band zu verlassen, mit jedem Schritt zu tadeln. Sie verlangten – und hatten es sich auch verdient – nach mehr Ruhe, wo sie doch eine ganz eigene Schlacht zu schlagen hatten. Der eigentlich sehr kurze Weg schien eine Ewigkeit anzudauern und genau genommen wusste der Krieger auch nicht mehr, wie lange er vor der Treppe zum ersten Stock des Hauses gestanden hatte, als der Weg dorthin endlich hinter ihm lag. Den mit dem Aufstieg hatte er schon nicht mehr gerechnet. Sorgfältiges Abwägen führte dazu, dass er von der Idee, die Treppen auf allen Vieren zu nehmen, Abstand gewann, auch wenn es vermutlich einfacher gewesen wäre.

Also stieg er langsam und konzentriert auf. Stufe für Stufe, immer weiter dem Ende der Anstrengung entgegen. Das Ergebnis jedoch, schien ihm alle Schwere aus dem Gesicht zu treiben. Dort nämlich, lag sie und hatte hoffentlich nichts von dem beschwerlichen Aufstieg mitbekommen. Das gleichmäßige Heben und Senken des Brustkorbes schien das zumindest annehmen zu lassen, als der Krieger sich leise, um nicht einmal ein Knarzen der Hölzer unter sich zu provozieren, neben ihr unter die Decke schob. Eine zaghafte Berührung ihrer Seite, ohne sich allzu stark zu nähern und den damit bislang vermiedenen Groll heraufzubeschwören, war alles, was an Nähe nötig war, um den Krieger wieder in einen besseren, sanfteren Schlaf zu geleiten.

Der Abend war im Vorfeld unterhaltsam und angenehm gewesen, eine willkommene Abwechslung in dieser Stadt, die er ansonsten so sehr hasste und insoweit war die Übernachtung im Bund auch eine gute Idee gewesen. Die Rückkehr zu seiner Gefährtin jedoch, war nicht nur eine notwendige Sache gewesen, um späteren Fragen aus dem Weg zu gehen. Jetzt, hier neben dieser Frau zu liegen, fügte unsichtbare Teile zusammen, Teile die erst jetzt wieder ein Ganzes ergaben und in dem Krieger ein Gefühl aufkeimen ließen, dass er schon lange nicht mehr verspürt hatte, seit er die Grenzen Nortgards verlassen hatte: Heimat.

Und auch wenn die Zeit, bis sie wieder aufstehen und sich der Arbeit in der Schneiderstube zuwenden musste, nicht mehr allzu lange sein würde, hielt der Krieger an diesem Gedanken fest, als könnte er aus dem Sand in seiner Hand einen festen Stein formen, der das Schicksal dieser beiden Menschen zementieren würde und jeder Welle trotzen konnte.

[Bild: Fels-in-der-Brandung.jpg]
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