FSK-18 Der Sturmrufer
#5
Genesung & Pflicht

Wach. Die Welt um ihn herum begann sich erneut mit Leben zu entflammen und riss den ruhenden Streiter aus dem Exil von Schlaf und Kraftlosigkeit. Die Augen zunächst geschlossen, versuchte er sein Umfeld zu erspüren. Das feine Zusammenspiel aus Gerüchen und Geräuschen schien wie sanfte Gauklerei um ihn herumzutanzen, als besinge es den Umstand, dass Odem und Blut den von Kampf und Erschöpfung gezeichneten Körper nicht verlassen hatten. Es schien wie eine wohltuende Form von Magie, wie sich die Sinne ganz auf das zu konzentrieren schienen, was die Augen nicht sehen konnten. Die hölzerne Einrichtung, die Felle auf denen er lag, der frische Luftzug, der durch das halb geöffnete Fenster drang, alles schien für den Moment des Erwachens so wahrnehmbar, wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Sein eigener Körper stimmte in das Spiel mit ein, gewährte ihm eine Hörprobe seines Atems, während sich der Brustkorb im Gleichschlag dazu heben und senken würde.

Erst jetzt schien Skaskar bewusst zu werden, dass ihm ihre Nähe und die damit einhergehende Wärme, keine die ein Fell oder eine Decke je geben konnten, fehlte. Der geschlagene Streiter öffnete seine Augen. Die Zimmerdecke. Aus den Augenwinkeln: Ein leeres Fell. Die Hand strich in einer sanften Geste über die Stelle, die ihm die Erinnerung an sie am nächsten brachte. Heimkehr beschrieb das hierdurch aufkeimende Gefühl und sorgte dafür, dass sich unbemerkt ein Lächeln auf das Gesicht des Mannes stahl. Vermutlich hatte sie sich längst wieder dem Arbeitsalltag hingegeben, während er mit nicht weniger beschäftigt war, als seinem Körper bei der Genesung zuzusehen. Ein unhaltbarer Zustand.

Das Fell fein säuberlich zusammengelegt, hinterließ er Kristin noch eine Notiz mit seinem Verbleib, bevor die Haupttür des Gebäudes hinter ihm ins Schloss fiel. Die nun geballt auf ihn einströmende Luft des Morgens, dessen Kälte die Sonne noch nicht gänzlich vertrieben hatte, füllte seine Lungen und blies Skaskar erneut Leben in den Leib. Ein Moment, der Klarheit und Einkehr zurückbrachte, ihn an die Pflichten erinnerte, denen er sich beugen müsste. Ein kurzes, stechendes Aufkeimen. Musste er? Der innere Krieger, sein geliebtes Erbe, dem er entgegenstrebte, meldete sich so unvermittelt wie roh in seinem Schädel. Seine Freiheit hatte er Stück um Stück anderen zum Untertan gemacht und viel war bis zum Tag der Schlacht nicht mehr davon geblieben. Ein getriebener Blick dominierte für einen Augenblick die Züge des Kriegers, während er für den Moment des folgenden Atemzuges darin versagte, eine Form der Besänftigung zu finden. Als erneut der Austausch von verbrauchter Luft aus seinen Lungen vollzogen war und er den geisterhaften Ballast durch das Absenken seines Brustkorbes aus dem Körper gepresst hatte, setzte sich Skaskar Sturmschlag in Bewegung. Heute würde sein erster Schritt nicht der Bund sein, weder um die Schäden seiner Rüstung zu reparieren, noch um sein Versagen in der Schlacht zu erklären, welches ihn zunächst ins Lazarett und kurz darauf in ihre Arme gesandt hatte. Es galt, Abbitte zu leisten.

Beim Verlassen der Stadt erwiderte der Krieger den neugierigen Blick eines Raben, der offensichtlich darauf lungerte, eine Mahlzeit oder etwas zum Nestbau vom Friedhof stehlen zu können. Im Blick des Kämpfers lag ein Versprechen, eines welches er weder artikulieren konnte, noch musste. Skaskar hatte das Gefühl, dass das schwarze Federvieh ihn verstand. Das gleiche Gefühl von Verständnis und Einsicht begleitete den Kämpfer beim Durchstreifen der Wälder Servanos. Die Feuchtigkeit des Blattwerks benetzte Rüstung und Haut, die noch viel klarer wirkende Luft drang beinahe gewaltsam in seinen Körper und schien den letzten Rest von Wundbrand und Kraftlosigkeit aus seinem Leib zu treiben. Das Pulsieren des Jagdtriebs begann sich wieder in den Vordergrund zu schieben, der Drang zu dominieren, zu töten, zu opfern. So klar wie schon seit der Zeit in seiner Heimat nicht, schossen diese drei Gedanken durch sein Denken, forderten ihren Platz hier draußen in der Wildnis, die weder Besänftigung, Gerechtigkeit oder Gnade kannte. Der Körper des Kriegers spannte sich beinahe erregt unter dem Griff an, der sein Denken nun fest umschlossen hielt. Zahllose Tiere kreuzten seinen Weg, schwache, einfache Apparate der Natur, nicht wert gejagt zu werden. Unter jedem Lidschlag konnte Skaskar das Raubtier spüren, wie es nach vorne drang, ungeduldig, fratzenhaft. Es verlangte einen Ausgleich dafür, dass er sich an der Südwaldfront mit Pfeilen hatte spicken lassen. Zu wenig Blut, zu wenig Seelen, die er ins Nichts geschickt hatte. Es galt zu beweisen, dass er mehr Wert besaß als ein Nadelkissen. Das Unterholz knackte unter seinen Schritten, bog sich unter den Gedanken des Jägers.

Auf einer Lichtung schließlich, hielt der Streiter inne. Das Gefühl, am Ziel angelangt zu sein beschlich seinen Geist. Der Blick wanderte durch den Wald, der sich hinter dem ovalen, freien Feld wie eine Wand um ihn herum schloss. Der Ort glich einer kleinen Arena des Waldes, nicht einmal groß genug, um einer kleinen Hütte Platz zu bieten, weckte in ihm jedoch auch zeitgleich ein Gefühl der Alarmierung. Knacken im Unterholz. Getrappel. Schwer auszumachen. Das Raubtier empfing seinen Gegner. Er verlangte einen Feind, der sich zu wehren wusste, einen Feind, der den Beweis in Blut würdig erscheinen ließ. Skaskar hatte die Hände erhoben, der Morgenstern blieb am Waffengurt. Ein Kampf Klaue gegen Klaue.

Der Moment, in dem der Streiter das sich nähernde Getrappel ausmachen konnte, kam rasch. Gerade eben konnte er den Keiler noch sehen, der durch das Unterholz hervorbrach und sich von den Waldschatten abhob, um in das Licht der Arena zu preschen. Das Tier schien kein Halten zu kennen, als habe er das Innerste seines Reviers durch seine Anwesenheit verunreinigt. Keine Möglichkeit auszuweichen, nur die Möglichkeit sich vorzubereiten. Der Einschlag der Hauer und des massiven Kopfes fühlten sich an, als habe jemand den Streiter mit voller Wucht einem riesenhaften Hammer ausgesetzt. Der Körper beugte sich unter dem Druck des Tieres, hob vom Boden ab und prallte gegen einen nahen Baum. Atem entwich dem Krieger, von irgendwoher drang der Geschmack von Blut in seinem Mund. Es fühlte sich in diesem Moment genussvoll, erhebend an, während sein Körper darum kämpfte, seine Form zu bewahren und sich langsam wieder erhob. Der Morgenstern wurde vom Gürtel entlassen und sank zu Boden. Zu viel Gewicht. Das Jagdmesser hingegen, fand den Weg in seine Hand, während das Tier schnaubend und mit einem Huf im Boden der Lichtung scharrte. Eine Aufforderung, eine Warnung vielleicht.

Ohne sich dem Gesetz des Tieres zu beugen, begann der Streiter sich frontal auf das Tier zu werfen, dass nun selbst mit seinem zahnbewehrten Schädel nach ihm zu stoßen und wild auszuschlagen begann. Während sich ein Arm um den dicken Nacken des Tieres schloss, dass sich derweil nicht anders zu helfen wusste, als den Kämpfer mit sich zu schleifen, um ihn irgendwie abzuschütteln, fand das Messer seinen Weg unter die Haut des Tieres. Warmes Blut floss aus dem Leib, ergoss sich über Borsten und Haut, bildete einen feuchten Mantel. Etwas traf den Kämpfer am Rücken, vielleicht eine Wurzel, vielleicht ein Stein. In jedem Fall schmerzhaft. Ein weiterer Stich unter das Schulterblatt des Tieres. Und noch einer. Wildheit umfing das bereits im Überlebenskampf begriffene Tier, während Skaskar immer mehr und immer tiefere Wunden und Schnitte in den Leib des Tieres trieb, während sein Griff um den Hals sich langsam zu lösen begann.

Erneut traf den Streiter etwas hart an seiner Seite und der Griff musste schließlich entkräftet einsehen, dass er nicht bis zum Tod des Tieres durchhalten konnte. Das Messer indes, verkeilte sich zwischen den Rippen des Keilers als Skaskar vom Gegner abfiel und im Gras landete. Pochende Wellen der Schmerzen wanderten durch seinen Körper, als er mit Genugtuung zusah, wie das Schwein nach nur wenigen Schritt nicht mehr in der Lage war, wegzulaufen. Es war ein leichtes, das Tier einzuholen, das Messer aus der verkeilten Position zu lösen und das Elend mit einem Kehlenschnitt zu beenden. Zufriedenheit breitete sich aus.

Am nahen Morrigú Schrein legte er das Tier ab und benetzte den Sockel der Statue mit dem Blut des Tieres. „Ein gutes Opfer.“, wie Skaskar befand und sich vor dem toten Leib und der Statue dahinter auf die Knie begab. Kaum hörbare Worte der Einkehr, aber auch der Reue fanden den Weg zu Leib und Kultstätte. Er hatte im Kampf vielfach versagt, seinem Räuber nicht das gegeben, was er eingefordert hatte. Nicht das, worauf dieser ganze Konflikt, einem stimulierenden Vorspiel gleich, gipfeln sollte. Dies war der erste von vielen Beweisen, die er in der kommenden Zeit bringen musste. Skaskar sah sich in der Bringschuld dem Pantheon gegenüber und vermutete hinter seinem Versagen vielleicht sogar eine Strafe für sein Verhalten. Seine Schicksalsgötter vergaßen weder schnell, noch kannten sie viel Gnade. Ein Umstand, der sich erneut gezeigt hatte.

Noch lange, nachdem Skaskar seinen Rückweg nach Löwenstein angetreten hatte, begleiteten ihn die Gedanken seiner Bringschuld – eine Pflicht, die nur langsam dem Gestank der Hauptstadt des Lehens wich und damit auch wieder die Pflicht zur Pflege seiner Rüstung, zur Ausbesserung ihrer Schäden und zur Einkehr in den Hort zurückbrachte.

[Bild: keiler_im_rauhreif.jpg]
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