FSK-18 Der Sturmrufer
#4
Unter meiner Wacht

Langsam schloss die Hand des Streiters sich um die mit Spitzen bewehrte Stahlkugel, einer von dreien, die mit Ketten an deinen Griff geschmiedet waren. Unfreie Instrumente eines Handwerks, das sowohl Kunst als auch Vernichtung bedeuten konnte. Der Blick des Kriegers hatte sich auf die Kugel gerichtet, sie in seiner Hand gebettet wie den Schädel eines Toten – des Toten.

Ein Mann war gefallen, unter seiner Wacht, wenngleich er erst auf dem Weg dorthin gewesen war. Es fühlte sich an, als sei es in seine Zuständigkeit gefallen, dass dieser arme Narr, ein unausgebildeter Bauer, sich zu weit vorgewagt hatte. Sein Verlust hatte zweifelsohne eine Kaskade von Ereignissen in Gang gesetzt, die dem Streiter mehr als ungelegen kamen. Zum einen riss es möglicherweise ein Loch in die Motivation der Streitkräfte und zum anderen würde es vielleicht die Angst davor schüren, an der Front Dienst zu tun. Nicht genug, dass man dort immer mehr das Gefühl zur Untätigkeit verdammt zu sein, eine baufällige Mauer bewachend, die für diesen ganzen Feldzug zu stehen schien: Angefangen, aber nicht zu ende geführt.

Die Hand begann sich stärker um dem kühlen Stahl zu schließen, ein beinahe erlösender Druck, den der Streiter von den Dornen in der Kugel spürte, beinahe, auch nur beinahe einen Moment der Intimität mit diesem seelenlosen Werkzeug zu schaffen, dass ihm bislang gute Dienste erwiesen hatte. Die Augen Skaskars schlossen sich, als er den Moment in sich aufzusaugen begann, als wolle er aus dem Zusammenspiel von Stahl und Fleisch lesen, wie es dort weitergehen würde. Die Antwort, jedoch, wurde verdrängt. Der Impuls, den der Streiter anfangs heruntergekämpft hatte, die Wut und der Wille jeden Schützen der Gegenseite dreifach dafür zu Brei zu schlagen, dass sie nichts weiter als einen einfachen Feldarbeiter getötet hatten, schob sich wieder vor sein geistiges Auge. Ein Zwang nahezu, den Dornen des Morgensterns Nahrung zu geben, jeder Widerdruck in seiner Hand ein Flehen:“Ich bin nur ein einfaches Instrument deines Willens, gib mir zu essen, gib mir zu trinken – ich darbe!“

Der Krieger stellte sich vor, dass die in seinen Händen liegende Waffe derart verzweifelt klingen musste, könnte sie sprechen. Ihr Wunsch nichts weiter als der verlängerte Wille ihres Herrn, dessen Drang danach, zu jagen, zu bestrafen, seine Feinde wie eine Horde Tiere zu dominieren, sich immer stärker intensivierte und nichts anderes als ein diffuses Gefühl der Lust in seinem Körper zu imitieren begann, eine grausame Art der Verlockung, die unter dem Panzer zu brodeln begann und mit jedem Unrecht, dass er nicht sühnen konnte, weiter genährt wurde. Das Rauschen des nahen Flusses, an dessen Felskante er sich niedergelassen hatte, hallte in seinen Ohren wie das Rauschen des Blutes in den Körpern der Feinde, sein eigener Herzschlag fühlte sich an, als schlage er im Widerklang all' derer, die einen einfachen Mann ohne erkennbaren Grund um sein Leben gebracht hatten und in seinem Kopf manifestierte sich nicht weniger als der Wunsch die Brustkörbe all derer mit den Stahlkugeln seines Morgensterns zu durchschlagen und sie ihr eigenes Innerstes sehen zu lassen, ihnen mit Pinselstrichen der Gewalt ein Gemälde zu malen, dessen abartige Schönheit ihre eigenen Vergehen vergessen ließ. Am Ende durfte nichts bleiben, als die Qual und die Erkenntnis, einen furchtbaren Fehler begangen zu haben.

Das Verlangen, jetzt den Fluss zum Südwald zu queren und solange zu wüten, bis er seinen letzten Atemzug tat, eine Kreatur aus Amok und Todeslust zu werden, wuchs immer weiter an. Wie in Trance beführte der Streiter die unbeirrt fließenden Wasser des Südwaldflusses, fernab des Lagers. Fernab der Schützen. Hier gab es nur die Dunkelheit seiner Gedanken und die Dunkelheit des Stromes, dessen Querung er am liebsten vollzogen hätte.

Wie ein eiserner Dorn jedoch, drängte sich das Bild eines weiteren Felsens in das gedankliche Gewirr aus Gewalt und Verlangen. Der Stein gegenüber des Grenztores zu Candaria drängte sich in schattenhaften Schemen und mit respektabler Ausdauer in die Gedankenwelt, die ihm abrang, jegliche Kontrolle zu verlieren. Die Erinnerungen, die Ereignisse, die er mit diesem Fels verband, formten langsam aber sicher das Band des inneren Friedens, welches den Streiter aus seiner schwarzen Utopie zurückholten. Der eiserne Dorn der Erinnerung gemahnte ihn, dass er die Rückkehr gelobt, versprochen hatte, sie nicht alleine mit dieser Stadt zu lassen. Und sie war es – vermutlich ohne es zu wissen – die maßgeblich dazu beitrug, dass er den Weg zurückfand. Zurück in das Hier und Jetzt, das Verlangen des Wüters zumindest zeitweise verbannend und es darauf vertröstend, dass die Gelegenheit vielleicht kommen möge, all das auszuleben und am Ende doch den Frieden zu spüren, der nun wieder auf seiner Seele brannte. Skaskar entließ etwas Luft aus seinen Lungen, als seine Gedanken sich an immer mehr Teile dieser allzu präsenten Ereignisse klammerten, die, dabei ohne jegliche Anzüglichkeit auskommend, ein Band von Nähe und Vertrauen geformt hatten, die nun wie rettender Schirm wirkten.

Wie einer diffusen Macht beraubt, sank der Krieger an den Fels und blickte kraftlos in den Nachthimmel. Mit der Ruhe kehrte tatsächlich so etwas wie Wehmut ein – zum einen darüber, nicht dem unheimlichen Verlangen von Wut und Verderben nachgegeben zu haben, zum anderen darüber die Erinnerung nicht wieder zur Realität werden zu lassen. Die Nähe und das Vertrauen mochten zwar präsent sein, nicht aber der Mensch, der all dies auslöste und zu erwidern wusste. Irritation erfasste den Streiter für einen Moment, die letztlich darin gipfelte, dass sich die Worte Twyllos und Gawins wie ein Band durch seinen Schädel zogen und die stille Konstante seines Lebens, das Pantheon der Mondwächter gerade und vor allem in den Vordergrund rückten.

Die Namen seiner Schicksalsgötter blendeten auf, als wollten sie etwas bemängeln, vielleicht sogar das Naturell des Streiters in Frage stellen und mit Ablehnung der Tatsache begegnen, dass er nicht ihrem Ruf gefolgt war. In der Feststellung, dass es gute Opfer gewesen wären, schien sich das Gedankenspiel von selbst zu bestätigen und er sich vor allem selbst zu ermahnen, sich dringend um Führung zu bemühen.

Der Gedanke wirkte wie ein Abschluss, ein Deckel, der auf eine Büchse mit giftigen Pilzen genagelt wurde. Dementsprechend ereignislos und leer wirkte der Heimweg des Streiters. Der Kopf schien leer, all' seiner Elemente beraubt, als hätten sie beschlossen, sich in einen dunklen, schattenhaften Winkel zurückzuziehen und sich erst später wieder zu zeigen. Ein Aufblitzen seiner streikenden Gedankenwelt erfuhr er nur als er an der Schneiderei Greiffenwaldt zum Hort der wachenden Schwerter zuückging. Er hoffte um Kristins Willen, dass sie einen ruhigen Schlaf haben mochte, abgeschottet von den Ereignissen der Nacht, abgeschottet von Blut, Tod und Schmerz. Etwas in ihm verzehrte sich danach, dies überprüfen zu wollen, einfach nur um sicherzugehen, dass dieser seiner Meinung nach verdiente Zustand eingetreten war. Seine Beine jedoch, trugen ihn, dem letzten Rest rationalen Denkens folgend, zum Hort.

Die ersten Sonnenstrahlen begannen bereits die Fenster zu durchscheinen, als der Bericht auf dem Platz des Protektors lag und ein kleiner Junge sich vom Haus aufmachte, die Schneiderin zu erwarten, die dem Krieger eine Lebenskonstante geworden schien.

[Bild: luebeck-altstadt-540x304.jpg]
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