FSK-18 Der Sturmrufer
#3
Kinder der Keuche

Die klingende Münze mochte nicht gerade ein Ort der Einkehr sein, sondern vielmehr einer der Angelpunkte in einer Stadt die zwischen Keuche und Zunftkriegen zerrissen schien. Wenngleich er dann und wann bei seinen Notizen, Berichten und sonstigen Schriftstücken gestört wurde – mittlerweile vielmehr eine willkommene Abwechslung zum Dienst an der Südfront und den Wachgängen im neuen und alten Hafen – gefiel es Skaskar dort. Nicht zuletzt war es der Ort, an dem die Wahrscheinlichkeit am höchsten war, auf Kristin zu treffen.

Genau diese Treffen waren es, die der kleinen Taverne vermutlich mehr Positivum beigeordnet hatten, als sie eigentlich verdiente und der Streiter hatte sich dabei ertappt, wie er die Anwesenheit der Frau zu vermissen begann, war sie doch ein Garant dafür gewesen, dass man wenigstens für wenige Stunden dem Dreck und der Krankheit in den Straßen Löwensteins entfliehen konnte. Es hatte stets etwas Angenehmes, Zeit mit ihr zu verbringen und selten hatte der Mann aus Nortgard das zwingende Empfinden, dass die Einundzwanzig ihm eine Dame zugeleitet hatten, deren Schicksal vielleicht zukünftig enger mit seinem eigenen Leben verwoben sein würde, als er vor ihrem ersten Treffen noch geahnt haben mochte. Ein gutes Gefühl.

Sein Fenster für den letzten Abend jedoch hatte er verpasst – und dies war ausgerechnet der einen Sache geschuldet, wegen der sie oftmals ihre Stirn in Sorgenfalten gelegt hatte: Der Keuche. Die sonst vollkommen ereignislose Patroullie im neuen und alten Hafen wäre beinahe vorüber gewesen und streng genommen hatte der Streiter bereits auf einer Bank vor der klingenden Münze Platz genommen, als die Rufe nach einem Heiler ihn aus dieser Tagträumerei rissen und ihn wie Nackenschläge seiner Pflicht gemahnten.

Der Rest seines Wachtrupps, dessen rückwärtige Sicherung er übernommen hatte, hatte schließlich eine Kriegerin der Grauwölfe als jene ausgemacht, die man im Armenviertel bereits in Behandlung gebracht hatte und weshalb eine beinahe ewig scheinende Zeit des Wartens folgte, während seine Schwertschwester Arys sich um die verdachtsweise Totgeweihte kümmerte.

Jeder Augenblick den er im Armenviertel zubrachte schien die Keuche wieder präsenter werden zu lassen. Die Ratten und weiteres Viehzeug stiegen immer aggressiver, auch bei Tag, durch die Straßen und man musste täglich dafür sorgen, dass die sich ausbreitende Plage durch das Töten der Tiere zumindest langsamer voranschritt. Die Krankheit wirkte wie ein übermächtiger, unsichtbarer Feind, den der Streiter mit keiner seiner weltlichen Waffen schlagen konnte. Eine Erinnerung, nahezu die Mahnung keimte in ihm auf, den Rat des Rabenkreises zu suchen und schnellstmöglich die Lehren des Zirkels zu einer weiteren Priorität in seinem Leben zu machen.

Hoch oben auf dem Glockenturm Löwensteins formten sich all' diese Gedanken und führten dazu, dass sein Kopf sich anfühlte, als könne er jeden Augenblick platzen, als gäbe es kein Ventil, was ihm hier Luft verschaffen könnte. Zumindest keines, welches er hier innerhalb der Stadtmauern finden konnte. Noch in dieser Nacht eilte er, dieser inneren Eingebung folgend, hinaus. In den Wald, in das Gewimmel von Augen und Silhouetten fremder Wesen in der Dunkelheit eines gebeutelten Lehens.

Das einzige, was in dieser Nacht zurückblieb, war ein Botenjunge, der geduldig vor dem goldenen Schnitt ausharrte und Kristin ein Schreiben überbringen würde, so sie sich dort zur Arbeit begab. Bereitwillig würde der Junge Auskunft über den Urheber der Nachricht geben und ihr einen erfolgreichen Tag in der Schneiderei wünschen.

[Bild: seuchen-pest116~_v-image512_-6a0b0d9618f...7967693988]
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