FSK-18 Der Sturmrufer
#2
Der Dirigent

Der Morgennebel begann nur langsam der materiellen Welt zu entsagen und lag weiter beständig, als würde er an dieser Welt kleben, auf dem sumpfigen Morast Servanos. Die tiefen Rufe der im Sumpf lebenden Kröten durchschnitten die Stille dieses beinahe magisch wirkenden Ortes zu dieser Zeit als einziges Zeugnis darüber, dass in dieser rauen, trügerischen Umgebung, tatsächlich etwas leben – überleben – konnte. Der Streiter, dessen stetes Rasseln seiner penibel gepflegten Ringrüstung dem Gewirr aus Krötenrufen ein seltsames Hintergrundrauschen schenkte, wirkte in dieser Umgebung wie ein Fremdkörper in einem sonst perfekt aufeinander abgestimmten Szenario.

Ein Theaterstück, dessen Darsteller diesem Fremdkörper zur Zeit weder etwas abgewinnen wollten, noch ihm die vielleicht erforderliche Beachtung schenkten. Sie hatten sich verloren, in ihrer kleinen Welt, die sich nie auch nur über die feuchte Ausbreitung des Sumpfes erweitern sollte. Es war ihr eigener Kosmos, in dem Fremde keinen Platz hatten.

Beinahe als würde der Boden selbst entschieden haben, dass dieser Mensch keinen Platz hatte, sank der schwer bewehrte Mann mit jedem Schritt etwas tiefer in den wässrigen Untergrund, dessen Feuchtigkeit sich schnell und unbarmherzig durch die Lederstiefel bis zur Haut vorgearbeitet hatte. Den rastlosen Blick des Mannes nahmen die Tiere nicht wahr. Ihr Prinzip von der Wertlosigkeit des Lebens, dass sich nicht gegen vermeintlich stärkere Gegner durchsetzen konnte, galt auch für die Fremden, die Aussetzigen. Sie konnten sich ein Bleiberecht erkämpfen, wenn sie imstande waren, gegen die Darsteller des kleinen Stücks aufzubegehren, welches hier begonnen hatte.

Ohne das Wissen des kleinen Ensembles, welches sich dem Krieger hier bot, schrieb er bereits an einem anderen, einem weitaus umfassenderen Stück, dessen Verlauf ihm jedoch weiterhin verschlossen blieb. Ein Gefühl, wie in Ketten gelegt zu sein, hatte den einsamen Krieger aus seinem Nachtlager hinaus in das Lehen getrieben, in den Käfig, den so viele ihre Heimat nannte. Ein Wort, welches er für diesen Ort niemals nutzen würde, niemals konnte. Gedanken in Ketten, unterdrückt, gefesselt, hatte es ihn an einen Ort getrieben, der als einer von wenigen Plätzen nicht mit Ehrlichkeit geizte. Ohne Schein, ohne Blender, ging es hier einzig und alleine um Feindschaft. Klare Grenzen. „Ein Ulgard gegen eine Horde wertloser Tiere“ schoss es ihm durch den Kopf und damit Bilder von Sagen, Mythen und Legenden, die dem Mann als Kind wie Flügel in fremde Welten, bessere Zeiten gewesen waren.

Die Flügel waren Vergangenheit, vergraben unter der Last des Hier und Jetzt, wenngleich die Macht dessen, was damals die Kinderseele entflammen konnte, nun an den Fesseln zu Sägen begann. Erschütterungen des Wesens, dass sich in diesem Lehen eingesperrt fühlte, einem Ort, an den er niemals wollte und an dem einem Büttelanstellungen wie goldenes Wildbret angeboten wurde. Die kühle Luft des urzeitlich wirkenden Umfeldes hatte schon längst begonnen, seine Lungen zu füllen, dem geheimen Entfessler seiner Gedanken mit jedem Atemzug weiter Leben einhauchend.

Auf einem fernen Stein schließlich, sah der Streiter ihn, – oder es – wie ein Dirigent auf einem herausragenden Felsen sitzend. Schwarze, von Schuppen umrahmte Augen, die ihn genau beobachteten. Das gleichmäßige Züngeln, eine beinahe aggressiv wirkende Geste, an der ansonsten in völliger Ruhe verharrenden Kreatur, die wie ein Meister über seinem Volk thronte und dessen Geschicke durch rohe Gewalt zu lenken vermochte. Die vier kräftigen Läufe, bewehrt mit Krallen, die sich durch jedes Erdreich graben konnten ließen nicht den Hauch einer Bewegung erkennen, als der Mann zum Stehen kam. Ein Gefühl der Leichtigkeit begann sich auszubreiten, langsam, als würden die Ketten, die Fesseln, sich langsam aus den Wänden seiner Seele lösen und damit die erdrückende Wirklichkeit mit sich davontragen. Die drei stählernden, mit Spitzen gespickten Kugeln des Morgensterns fielen mit dem Rasseln der sie an den Streiter bindenden Ketten geräuschvoll, als die Waffen dem Gurt entrissen wurde. Für einen Augenblick glaubte der Streiter, erstarrte jedes Geräusch im Sumpf, als wäre es nun geboten, genau aufzumerken. Der Dirigent indes, hatte die Herausforderung verstanden. Schnelle, abgehackte Bewegungen, hatten den Leib des Tieres in Richtung des Streiters katapultiert, die sehnigen, muskulösen Beine füllten sich mit Anspannung, die schwarzen Perlen von Augen, beobachteten den Streiter genau, fixierten ihn. Ein Streit um die Herrschaft des kleinen Reiches war entbrannt, unerwartet, plötzlich.

Die Echse, unwillig ihre Vormachtstellung aufzugeben und vermutlich ihrer Natur um den erkannten Eindringling in ihrem Revier nachgebend, stieß sich mit kraftvollen Bewegungen von dem Felsen ab und begann nun direkt auf den Streiter zuzuhalten. Der indes, machte keine Anstalten, auszuweichen, sondern bemühte sich um einen stabilen Stand, hob den mit einer Tartsche geschützten Arm leicht und begann mit der rechten die Kugeln seines Werkzeuges in Drehung zu bringen. Leicht, locker, als wäre dies das natürlichste der Welt, ein Spielzeug, drehten sich die Kugeln mit endloser Duldsamkeit als die Kreatur auf den Mann zuhielt.

Das Reptil versuchte, mit einer überzeugenden Beißbewegung in Richtung des Armes klarzustellen, dass es hier nicht mehr nur um vorgeschobene Machthudelei ging, sondern um die Frage, wer von beiden das kleine Parkett übernehmen durfte. Ein Stoß mit dem kleinen Schild gegen die Kieferseite des Tieres jedoch, bewies dass der Gerüstete noch über genügend Schnelligkeit verfügte, absehbaren Angriffen die Stirn zu bieten. Mehr noch, der anschließend geführte Konter führte dazu, dass die drei stählernen Kugeln seines Werkzeugs sich wie kleine, alles verschlingende Tiere durch das Schuppenkleid in den Körper des Dirigenten fraßen. Unersättlich in ihrem Hunger, hinterließen sie drei klaffende, gerissene Wunden im Fleisch des Meisters. Der kraftvolle Schwanz der Echse hingegen, bewies den unbeugsamen Kampfeswillen einer Kreatur, die nichts zu verlieren hatte. Bruchteile eines Augenblicks, bevor die Attacke der Echse den Streiter zu Boden schickte, schien der Augenblick beinahe endlos, in dem der Streiter in den schwarzen Augen des Tieres sein eigenes Spiegelbild sehen konnte. Der Blick eines Raubtiers, einer hungrigen Kreatur, die nur darauf lauerte, endlich losgelassen zu werden.

Keine Panik überkam den Gerüsteten, als sich der sumpfige Untergrund für einen gleichsam ewigen Moment um ihn schloss und der Atem aus seinem Körper für diesen Augenblick herausgepresst wurde. Die Erschütterung, die durch seinen Körper wogte, hatte beinahe etwas unnatürliches, niemals vergleichbar mit irgendeinem anderen, irdischen Gefühl, als sei die Welt um ihn herum in einem Moment explodiert und hätte unter ihrer Schale etwas vollkommen anderes hervorgebracht.

Weder Ketten, noch Fesseln, spürte der Krieger nun, als die Kreatur nach ihm schnappte und diesmal tatsächlich seinen Arm zu packen bekam. Die Zähne durchbrachen Teile der Rüstung und begannen sich immer stärker darin zu verbeissen. Verzweifelte Versuche der Echse, die gewonnene Beute vom Körper zu reißen, wurden damit beantwortet, dass aus der Nässe und der Feuchtigkeit des Sumpfes erneut die stählernden Kugeln in einem Bogen auf das Tier hinabsausten, dessen Reaktion nur war, sich noch stärker um das zu bemühen, was sie ohnehin schon hatte.

Das Blut beider Kontrahenten begann sich in die sumpfige Feuchte zu mischen, dabei eine bräunliche Tinktur der Vergänglichkeit formend, in der sich in den Körper der Echse immer wieder neue, sternförmige Male einer todbringenden Gewalt mischten, welche das Reptil nie auch nur im Ansatz begreifen konnte. Erst als die Waffe der Hand des Streiter entglitt und er die freie Rechte nutzte, um dem Tier mit den Fingern eines der Augen einzudrücken, begann dem Dirigenten, dem Großmeister des amphibischen Orchesters zu dämmern, dass sich hier zwei Welten getroffen hatten, die sich gar nicht so unähnlich waren.

Weder Hass noch Furcht im Blick, die Gedanken vollständig unvernebelt, schien sich jeder Augenblick wie ein offenes vor dem Streiter niederzulegen. Er hatte das Reißen, die erneuten Nachbisse der Kreatur gespürt, jeden einzelnen Zahn, der sich in sein Fleisch bohrte und die Ketten seiner Rüstung Stück für Stück sprengte und begann nun mit der freien Hand in die Wunden zu schlagen, die seine Waffe bereits geschlagen hatte. Das weiche Fleisch unter dem Schuppenkleid gab mit jedem Schlag nach, jeder Schlag ein Verlust von Kraft und Kampfeswillen in seinem Gegegenüber. Der Streiter begann irgendwann, nach Dingen im Körper der Kreatur zu greifen, dessen Form und Sinn er nicht kannte, beförderte diese jedoch trotzdem nach außen. Wie metallbeschuhte Klauen grub er sich in das Wesen, das vorher keinen Gedanken an das Gefühl verschwendet hatte, wie es war, gewaltsam aus der Welt gerissen zu werden.

Nun gab es dazu keine Gelegenheit mehr – der Biss hatte sich gelöst, alles Leben war erstorben und der Streiter begann, sich aus dem Kadaver der Kreatur zu befreien. Als wäre dies der einzige Zweck seines Eindringens in diese Welt gewesen, sammelte er seine Waffe auf, versorgte seine Wunden so notdürftig wie eben möglich und begann schon bald, diese andere Welt zu verlassen.

[Bild: naboo_sumpf1.jpg]

Der Rabe

In Löwenstein versorgte er seine Wunden selbst, kommentarlos, aber diszipliniert. Die Rüstung wurde gereinigt, die auszubessernden Kettenringe wurden eingeflechtet. Ein Tagewerk, welches den verbliebenen Morgen bis zum frühen Abend in Anspruch nahm. Mit endloser Duldsamkeit vollführte er seine Tätigkeiten, als gab es nun genügend Zeit für alles und jeden. Wenngleich der Streiter spürte, dass die Ketten sich wieder langsam um ihn zu legen begannen, hatte er die Zeit gewonnen, über seinen Verbleib in diesem Lehen nachzudenken, während er seinen Pflichten nachkam. Es stand mittlerweile außer Frage, dass er sich in irgendeinen Wachdienst begeben würde, nur dem Wohl eines einzelnen Hauses untergeordnet. Die Meister ihrer jeweils eigenen Ränkespiele tendierten dazu, früher oder später an ihrem eigenen Machtbegehren zugrunde zu gehen. In diesen Häusern würde er vielmehr immer ein Aussetziger, ein Fremder sein. Ein einsamer Streiter im Sumpf von Kröten, Schlangen und Echsen.

Die letzten Brocken von Fleisch, Schuppen und Dreck aus Handschuhen und Waffe entfernend, schien es ein beinahe dem Faunreich entsprungener Bote, als Skaskar ein Rabe auffiel, der auf der Straße mit gediegener Neugier herumhüpfte. Dreingaben aus Echsenfleisch nahm er dankend entgegen, während seine Gedanken nicht umhin konnten, sich für die Freiheit eines Tieres zu begeistern, dass sich im Günstigen Moment entschied, Möglichkeiten auch zu ergreifen, die sich boten.

Welche Möglichkeiten, fragte sich der Streiter, würden dies sein? Der Gedanke daran, beim Bund der wachenden Schwerter vorstellig zu werden, schien sich wieder über alle anderen Angebote der vergangenen Tage zu legen. Keinem Lehen beugsam gegenüberstehend, für Ordnung und Recht eintretend, ungeachtet der weltlichen Rechtssprechung. Viele Gedanken, die sich aus der Vergangenheit eines freien Nortgard speisten, allen voran die Kameraderie und die Treue, die Arys so offenkundig beschrieben hatte.

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Der Glockenturm

Über den Dächern der Stadt, auf einem baufälligen Glockenturm, besiegelte die Anwesenheit seiner Begleitung vielmehr die Entscheidung, sich einem derartigen Bund anzuschließen. Die Keuche raffte alles dahin, das Reich war im Aufruhr und Menschen wie seine Begleiterin litten darunter. Sie verloren ihre Perspektiven und ihre Heimat, während sich die rechtmässig eingesetzten Herrscher ihrer Ränkespiele hingaben. Der Gedanke, dieser einen Person im Speziellen ihren Platz im Leben wiederzugeben, die Freude wieder zu entzünden, die zu oft von Sorge und Bitterkeit durchzogen wurde, schien das Leitmotiv für den Mann zu sein, der über alledem die Abgeschiedenheit von dem Hier und Jetzt unter ihm genoss.

Zwischen Scherzen und Ernsthaftigkeit kontrastierte das Treffen mit der Frau, die wie eine wichtige Konstante erschien, die niemals wirklich weg gewesen war. Die Leichtigkeit, die er noch am Morgen im Überlebenskampf dem Reptil empfunden hatte, kehrte auch hier zurück. Es gab keine Ketten, keine Grenzen, nur Fenster, die aus dieser Welt hinausführten und ihnen Reisen zu Orten ermöglichten, die noch immer hinter schweren Gittern verborgen blieben. Es war das andere Extrem, ein Ausblick darauf, wie ein Leben aussehen könnte, wenn das Raubtier nicht gefordert war, sich nicht an der Ungerechtigkeit und den Problemen der Realität nährte.

Der Wert seines Handelns musste sich irgendwann in Taten widerspiegeln, die sichtbar waren und ihn nicht nur weiter nachdenklicher werden ließen. Der Bund könnte hierfür den richtigen Ansatz bieten, wie er befand, ohne ihm die Fesseln aufzuerlegen, die er in jedem anderen Haus unter Löwensteins Dächern gespürt hätte. Fesseln, die er mit der Zeit gänzlich abzuschütteln gedachte um vielleicht einstmals das Erbe anzutreten, dass noch immer in seinem vom Glauben an die Mondwächter und den Traditionen des Zwillingsgebirges geformten Blut die Hoffnung aufwallen ließ, die Fragmente der Ulgard tief in seinem Innern zu finden, die zweifelsohne dort sein mussten.

Das Raubtier indes, hatte auf diesem Glockenturm einen Platz gefunden, an dem es rasten konnte und zufrieden an der Seite eines Menschen Fenster öffnete, die für den Augenblick einen Ausweg boten. Das Langzeitziel jedoch, würde sich nur mit Hilfe des Schwertbundes realisieren lassen, wenn auch nur die Hälfte der Tugenden, die sie für sich requirierten, tatsächlich gelebt wurden.

Diese Nacht würde der Streiter wieder ohne Schlaf verbringen, diesmal jedoch mit Aufgaben. Gestellten und unausgesprochenen Aufgaben, die den Weg von Skaskar Sturmschlag neu beleuchteten und darob anzeigten, dass es noch ein langer, steiniger Weg war. Aber das Ende dieses Weges vermochte es, jeden Stein wie eine Hürde erscheinen zu lassen, die sicher nicht immer mit Freuden, dafür aber aus reinster Überzeugung nehmen würde. Unbeirrt, Unbeugsam.

[Bild: Glockenturm_sv_stosija.jpg]
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