FSK-18 Himmelgrau
#27
Es ist der Wind um Mitternacht,
Der leise an mein Fenster klopft.
Es ist der Regenschauer sacht,
Der leis an meiner Kammer tropft.

Es ist der Traum von meinem Glück,
Der durch mein Herz streift wie der Wind.
Es ist der Hauch von deinem Blick,
Der durch mein Herz schweift regenlind.
(*)

Er weiß nicht, wie schön er ist. Er weiß, wie schön er ist. Ich möchte ihn beschädigen. Nein, anbeten. Die Felle waren eine verschwitzte Masse unter Orestes' Rücken geworden, und kein noch so ruheloses Herumrollen konnte den Juckreiz noch lindern. Herbst und Frühling hatten diese Eigenschaft; draußen war es zu kalt für adrette Kleidung, zu feucht für Stoff, zu lind für Leder, und in den Häusern war es ähnlich. Heizte man, so wurden Heim und Herd zu einer Sauna, wie sie nur ein Nortgarder zu schätzen wissen konnte. Heizte man nicht, so fror man bitterlich und fing sich nur allzu leicht irgendeine Lungenseuche ein. Aki benötigte keine Heizung. Esse und Kochstelle taten alles, was zur Beheizung seines neuen Heims nötig war, und gerade im Keller schien kein offenes Fenster etwas an der stetigen Wärme ändern zu können.
Nicht dass die Wärme nur Nachteile hatte. Der Schmied hatte sein Bettzeug abgeschüttelt, und wäre mehr als Lampenlicht auf die Schlafstatt gefallen, hätte sich wohl ein Lichterspiel auf dessen schlafwarmem Rücken zugetragen. Ohhh, dieser Anblick... Inzwischen kannte Orestes jede Kurve an dem Leib neben sich, jede Narbe, jedes Grübchen, jede Ader, und doch war es schier unmöglich, seiner müde zu werden. Schier unmöglich, dem Drang ihn anzufassen nicht nachzugeben, obschon des Schmieds' Unwillen gegenüber solcherlei Getatsche durchaus ausreichte, um eine unsichtbare Grenze zu ziehen, die nur im Notfall überschritten wurde.
Manch' einer hätte Akis Temperament wohl als unleidlich beschrieben. Er war nicht der einfachste Mensch, stachelig wie ein ausgemergelter Igel und dazu mit genug Körperkraft gesegnet, um Hänflinge wie Orestes ohne Mühe über dem Knie zu brechen. Wie lange Orestes Aki's Leben nur aus sicherer Distanz beobachtet hatte, dem Kribbeln in den Fingern resolut die Tat verboten hatte, vermochte er selbst kaum zu sagen, aber er war nicht naiv. Er hatte Aki's andere Seite kennengelernt, die Narbe an seinem Hals und das leichte, kaum sichtbare Hinken würden ihn für den Rest seines Lebens daran erinnern, wie wichtig es war, nicht blind und blauäugig in die Pranken des reizbaren Mannes zu laufen. Rielaye, Marek, Rahel, Marie, und Mithras allein wusste wieviele andere hatten sie kennengelernt, die Pranken, den schraubstockartigen Griff, die Mordlust.
Orestes schauderte und biss sich auf die Unterlippe, das dämliche Grinsen mit schierem Schmerz unterdrückend. Oh nein, er war weder blind noch naiv. Er hatte genau bekommen, wonach er sich gesehnt hatte. Was war da schon etwas Angst um sein Leben? Würze, das war es. Verdorbene Würze auf einer Hautlandschaft, die ihm regelmäßig den Speichel im Munde zusammen laufen ließ.
Die Erinnerung an den Moment, an dem Aki festgestellt hatte, dass Orestes eindeutig kein verstaubter, verklemmter und hölzerner Gelehrter war, trieb immer noch wie klebrig-süßer Honig durch seine Erinnerung. Dass sich diese milde, verhaltene Überraschung jedes Mal wiederholte, wenn die adrette, aufgeräumte, saubere Kleidung den Weg zum Boden fand, machte das Spiel nur noch verlockender. Und Streit? Streit war nichts. Ein Krümel auf dem Bettlaken, leicht fortgewischt und ohne Bedeutung, wenn es zur Tat ging. Unwesentlich.
Der schlafende Leib auf den Fellen gab ein träumendes Knurren von sich, wälzte sich minimal und streckte einen Arm zur Seite, bis die träge kriechenden Finger Orestes' Knie berührten, kaum mehr als ein Kontakt der Fingerspitze zur Haut. Dort hielten sie inne, zufrieden mit dieser minimalen Nähe, und überließen Orestes und seinen nachdenklichen Blick wieder sich selbst.
Was, wenn er es nicht so sieht?
Die eiskalte Furcht, die von diesem Gedanken allein in seiner zuvor so verträumten Brust erweckt wurde, war schockierend. Ja, was wenn Aki es nicht so sah?
So sehr er dem Schmied versprochen hatte, seine Taktiken nicht mit ihm zu benutzen, Orestes konnte eben doch nicht aus seiner Haut. Hatte geschickt gefragt, gelauscht, beobachtet, sein Wissen sortiert, im Stillen seine Pläne geschmiedet, und einen Pfad zurecht gelegt. Einen wichtigen Pfad. Den Pfad des wahrscheinlichsten Glücks, jenen Weg, der ihm Aki am Längsten erhalten würde. Eine Taktik, mit der er all jenen Stolpersteinen auszuweichen gedachte, die seine Vorgänger zu Fall gebracht hatten. So wenig persönliches Interesse er für Rahel oder Marie hegte, so wenig ihn deren Schicksale berührten, so wichtig war es ihm gewesen, ihre Geschichten zu kennen. Nicht ihre gesamten Geschichten, nur jene Teile, die mit Aki zutun hatten. Wie sie mit ihm gewesen waren, woran sie zerbrochen waren, welche Spuren diese Geschehnisse am Schmied hinterlassen hatten... Das übliche neurotische Nachstellen eben. Doch so sorgsam er gewesen war, etwas fehlte in seinem Wissensschatz. Streit. Er wusste nichts darüber, zumindest nicht in Bezug auf Aki, und das bedeutete entweder, dass er mit ihnen nicht gestritten hatte, oder aber, dass Streit ein derart unangenehmes Thema war, dass es nicht zur Sprache kam.
Mit einem trockenen Schlucken gab Orestes auf, schloss die Augen und legte seine eigene Hand auf Akis im Schlaf ausgestreckten Arm, still und innig hoffend dass die Berührung ihn nicht weckte.
Konnte er ohne explosive Streitgespräche leben? Nicht wirklich. Nicht dass er es so wollte, es passierte eben immer wieder. Aber vielleicht war es möglich, den heutigen Abend zu reproduzieren? Die aufgestauten Spannungen in Richtungen zu lenken, die keine Scherben hinterließen? Die andere Wahl war, den explosiven, sadistischen Schmied zu verlieren. Der Gedanke ließ ihn ironisch aufschnauben.
Mit einem letzten, sehnsüchtigen Blick auf den Schwung des nackten Rückens, auf Schatten und Licht und die nachlässig verstreuten Strähnen, streckte er sich wieder aus und rückte dichter an den Schlafenden, die Augen mit einem leisen Aufseufzen schließend.
Ich weiß zwar nicht wie ich soviel Glück haben konnte, aber ich werd's nun sicher nicht vermurksen. Nicht schon wieder.

(*) Friedrich Wilhelm Nietzsche
[Bild: OrestesCaetanoSignatur2017.png]
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Himmelgrau - von Orestes Caetano - 21.06.2013, 18:14
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