FSK-18 Tagebuch eines Monsters
#7
VII.     Episode – Jagd

Ich verbringe in letzter Zeit viele der hellen Mondnächte mit der Jagd im thalweider Umland in Ravinsthal. Seit einer Weile haben sich hier Rudel von Thalwölfen niedergelassen. Das bietet mir eine hervorragende Gelegenheit, um meine Selbstbeherrschung, meine Instinkte und meine Wirkung auf ‚echt‘ Wölfe zu erforschen. Und tatsächlich springen die fremden Wölfe mit mir um, wie mit einem abtrünnigen Eindringling in ihr Revier.

Ich beschnuppere und beobachte die Wölfe des Rudels aus der Entfernung und versuche zu ermitteln, wer das sagen hat. Viel Zeit bleibt mir nicht, denn der Alpha scheint ein aggressiver, machtgieriger Wolf zu sein. Wenige Augenblicke nach meiner Ankunft werde ich bereits attackiert, denn ich bin lediglich ein einsamer Wolf und meine Gegner rechnen nicht mit der Kraft die in mir steckt. Ich bin vieles, aber kein einfacher Wolf. Beim Töten der Wildtiere habe ich keine Hemmungen, denn sie greifen Wanderer und Bauern an und stellen eine unabwägbare Gefahr für Ravinsthal dar. Ich tue dem Lehen so gesehen fast einen Gefallen, indem ich die Wölfe vertreibe oder töte.

Während ich mich durch die Reihen kämpfe, horche ich auf meinen Wolf. Wie weit lässt er mich frei agieren, bis ich an der unsichtbaren Leine meiner animalischen Seite zerren muss, um ihn zu beruhigen oder zu unterjochen? Ich wage mich an die Wut, Aggression und Vernichtung der Wolfsgestalt, versuche aber nicht in Raserei zu verfallen. Der Balanceakt gelingt, obwohl ich meinen Wolf mehrere Male zurück zitieren muss. Es wäre kein großes Risiko, wenn ich dem Wolf etwas mehr nachgeben würde, blutig ist das Unterfangen so oder so, aber ich wollte auf keinen Fall einen Kontrollverlust und damit einhergehenden Blackout riskieren.

Immer wieder erreicht mich das Summen des Mondes zusammen mit den knurrenden Forderungen des Wolfes. Manchmal wünsche ich, die Kraft nicht aufwenden zu müssen, die der Drahtseilakt der Selbstbeherrschung kostet. Aber das würde bedeuten, mich einem anderen Wolf unterzuordnen und ihn als meinen Anführer zu akzeptieren. Ich bin mein eigener Anführer und mittlerweile der letzte Werwolf, also kommt nichts davon in Frage. Angenommen ich würde mich einem anderen Alpha unterordnen, mein Wolf würde den anderen als Herr akzeptieren und mir dafür nicht mehr auf die Nerven fallen. Nur bin ich dafür zu stolz.

Meine eiserne Selbstbeherrschung trägt dazu bei, dass mein Leben so viel strukturierter verläuft als bisher. Aber die Struktur hindert mich daran los zu lassen und mich fallen zu lassen. Zwanghafte Kontrolle war schon immer ein großes Thema. Mein Sexleben wird quasi davon definiert, da ich jederzeit die Oberhand haben muss. Durch die strenge Struktur bleibt jedoch manchmal das, worauf es ankommt auf der Strecke: Die Lust und die Hemmungslosigkeit.

Doch was passiert, wenn ich dem animalischen Drängen in meinem Inneren nachgebe? Die Antwort wurde mir an dem Tag in Thalweide schneller gegeben, als mir lieb war.

Mir steht eine Wölfin gegenüber, erschüttert von dem Anblick des Geschehens. In ihrem Blick und Verhalten herrscht eine Mischung aus Ehrfurcht und Unterwürfigkeit. Ich habe ihr ihren Herrn und Leitwolf entrissen und sie muss sich plötzlich für einen neuen Herr entscheiden. Der Geruch nach Blut und Gewalt, der an mir klebte sorgte für Erregung. Ich bin in dem Moment ein äußerst kraftstrotzendes Exemplar meiner Gattung.

Mein Wolf entwickelt seine eigenen Gedanken in meinem Kopf. Du bist der einzige männliche lebendige Wolf weit und breit. Welche Wahl bleibt ihr?

Mit einem Schnauben streiche ich die fremden Gedanken mental beiseite. Die Wölfin kann durchaus wählen. Bleiben und angreifen - was vermutlich ihren Tod bedeutet - oder fliehen und ein neues Rudel suchen oder sich mir anschließen.

Sie wird natürlich die einfachste Entscheidung treffen, die ihr die größte Chance auf Überleben bietet und sich für uns entscheiden. Zufrieden, du selbstverliebter Mensch?

Der kurze Gedankenstreit mit meinem Wolf lässt mich kurz vergessen, dass die Wölfin mich immer noch taxiert. Mittlerweile hat sie sich dazu entschlossen, mich neugierig zu umrunden und zu beschnuppern. Ich spüre die deutliche Wirkung ihrer Nähe auf meinen Wolf. Er will sie und mit aller Macht versucht er den Gedanken auch in mein Bewusstsein zu schieben. Warum soll ich dem Drängen nicht nachgeben? Mein Wolf hat sich sehr kompromissbereit gezeigt an diesem Abend und etwas Vergnügen und Nähe kann mir auch nicht schaden.

Der Rest der Nacht vergeht wie im Fluge, als wir uns um die Gelüste der Wölfin kümmern. Ab einem gewissen Punkt überlasse ich meiner animalischen Seite die Führung. Für mich ist das Liebesspiel mit einem Tier noch immer verstörend, aber ich kann verstehen, dass mein verfluchter Teil diese Befriedigung und Bestätigung braucht. Ebenso wie jeder Mensch.

Bei Tagesanbruch erwache ich aufgrund eines bedrohlichen Grollens. Während sich das Morgenrot am Himmel abzeichnet, hat mein Wolf sich – erschöpft und zufrieden – zurückgezogen und mir voll und ganz die Kontrolle überlassen. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass ich als nackter Mensch und nicht als pelziger Wolf erwache. Verständlicherweise reagiert die Wölfin, die bis vor Kurzem noch an meine pelzige Identität geschmiegt war, mit Verwirrung und Abscheu. Auch ihr Geruch hat sich schlagartig verändert, als ihr die Veränderung gewahr wird. Ich nehme eine wachsame Haltung an, auf alle viere gehend und knurre ihr herrisch entgegen. Aber die Magie der Nacht ist dahin und scheinbar jede positive Erinnerung daran. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sie aus meinem neuen Territorium zu jagen. Mein Wolf bäumt sich auf, als er meine Entscheidung mitbekommt und meine pelzige Gespielin flieht.

Sie weiß was du bist! Verfolge sie und bring sie um. ermahnt mich mein Wolf.

„Sie ist ein Tier. Wem soll sie es petzen? Du willst ja nur Blut sehen.“ antworte ich im Selbstgespräch und versuche das Gebären meiner animalischen Seite einzudämmen.

Was, wenn sie mit Verstärkung zurückkommt?

„Dem sind wir gewachsen. Und dann bekommst du dein Blutbad.“
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 22.03.2020, 10:44
RE: Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 28.03.2020, 11:14
RE: Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 05.04.2020, 17:49
RE: Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 13.04.2020, 17:47
RE: Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 19.04.2020, 11:26
RE: Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 26.04.2020, 21:03
RE: Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 02.05.2020, 14:43
RE: Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 06.05.2020, 18:15
RE: Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 10.08.2020, 11:48



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste