FSK-18 Tagebuch eines Monsters
#4
 IV.                 Episode – Heilung

Meine Selbstregeneration ist bemerkenswert, aber selbst ich habe Merkmale, die ich nicht aufgeben will. Meine Narben bleiben mir, in Tier- wie in Menschengestalt erhalten. Es ist gut, wenn mich etwas an die Verfehlungen in meiner Vergangenheit erinnert. Vielleicht sorgen die Male dafür, dass ich nicht die gleichen Fehler wieder und wieder begehe. Jeder Blick in den Spiegel erinnert mich an die dunkelsten Tage meiner Vergangenheit.
Ich habe nie enthaltsam gelebt, dafür schmeckt Ale und Schnaps zu gut und einem guten, saftigen Braten konnte ich noch nie wiederstehen. Doch völlig egal, was ich in den Tagen und Wochenläufen nach meiner Wandlung in mich rein schaufelte – und es war beachtlich viel, denn der Metabolismus eines Werwolfs ist bemerkenswert - ich setzte es nicht an. Dank meiner körperlichen Arbeit hatte ich nie viel Fett angesetzt, aber das wurde mit dem Alkoholkonsum ausgeglichen. Dennoch, für mehr als zartes Hüftgold reichte es nie aus. Jetzt, da nicht mal mehr der Alkohol wirkte, denn meine Verdauung zersetzt jedes Gift innerhalb von Minuten – dazu gehört auch Hochprozentiges – schwand mein Interesse am Trinken. Mehr als den kurzlebigen Geschmack war mir nicht mehr vergönnt. Und dafür konnte ich auch an der Flasche riechen. Mein Geruchssinn ist derart stark, dass ich fast den Geschmack beschwören kann. All das sorgt dafür – übrigens sehr zur Begeisterung meines Partners – dass ich nur noch aus Muskelmasse zu bestehen scheine. Die, bereits sehr definierten Muskelpakete, wirken noch praller und fast wie in Stein gemeißelt. Wäre das zahlreiche Narbengewebe nicht, das meinen Körper wie eine Landkarte zeichnet, ich würde eine hervorragende Steinstatue abgeben.
Zwar kann ich nicht mehr fett werden, aber ungesund dünn, zumindest im Rahmen des Möglichen. Dafür bedarf es aber mehrere Tage grausamer Enthaltsamkeit oder sehr schwerer Wunden. Denn heilen benötigt Energie in Form von Essen. Viel Essen. Am besten dient Fleisch als Energiequelle, umso blutiger umso besser. Und wenn es nach meinem Wolf geht am Liebsten noch warm und frisch erlegt. Die Metzger und Schlachter des Landes sind zu meinen besten Freunden geworden. Ich muss Liste darüber führen, denn die Mengen an Verbrauch sind nicht normal, sondern vielmehr verdächtig. Sicherlich fragt sich der ein oder andere, ob ich mir wilde Tiere im Keller halte.
Verschiedene Faktoren nehmen Einfluss auf die Dauer des Heilprozesses: Das Alter des Wolfes, der geistige Zustand oder Wille und der Hunger. Wenn ein Schnitt als Welpe noch einen halben Stundenlauf brauchte, um auszuheilen, waren es eine Hand voll Monde später nur noch Minuten. Mittlerweile kann mein Körper einen einfachen Kratzer innerhalb von Wimpernschlägen regenerieren. Mein Körper vermag es sogar eine oberflächliche Verletzung zu heilen, bevor Blut hervortritt. Knochenbrüche heilen innerhalb von Stunden. Abgetrennte Gliedmaßen oder ausgeschlagene Zähne wachsen innerhalb von wenigen Tagen nach.
Voraussetzung ist der Wille zu genesen und entsprechende Maßnahmen, wie eine starke Blutung zu stillen. Selbst ein Mann meines Kalibers kann an Blutverlust sterben, auch wenn mir deutlich mehr Zeit bleibt, als einem Sterblichen. Das Abtrennen des Kopfes führt meist zum Tod, wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit. Aber der Blutverlust ist in dem Fall nicht zu unterschätzen.
Selbstverständlich betrifft die Heilung den gesamten Körper. Gifte verlieren ihre Wirkung nach kurzer Zeit, Alkohol wird mit einem Fingerschnippen vom Körper zerlegt und Drogen zeigen kaum Wirkung. Die Haut altert bemerkenswert langsam und selbst ein Sonnenbrand ist ein kurzes Vergnügen. Ich verkühle mich nicht, fange mir keine Erkältung oder Grippe ein und bin resistenter gegen Kälte oder Hitze. Mein Körper ist in allen Lebenslagen anpassungsfähiger und zäher.
Als wäre es nicht genug bin ich wunderbar schmerzresistent. Zusätzlich zum Adrenalin, das mein Körper aussendet, wenn ich in einen Kampf gerate, stecke ich ohne einen Laut einiges an Prügel und Hieben ein. Man kann mich mit Pfeilen beschießen, bis ich einem Igel gleiche und ich würde es überleben. Selbst unbewaffnet bin ich einem Bewaffneten überlegen. Ich kann es riskieren eine Klinge an der Schneide abzufangen, ohne Angst zu haben innerhalb von wenigen Augenblicken zu verbluten. Das verschafft mir im Gefecht einen immensen Vorteil, da ein Gegner für gewöhnlich mit einem Zurückzucken meinerseits oder zumindest einer Verlangsamung rechnet. Außerdem ist es recht angsteinflößend, wenn ich vor den Augen meines Gegners bereits wieder heile. Der einzige Nachteil ist, dass ich leicht den Überblick über die Schwere meiner Verletzungen verliere. Ich bin weder unbesiegbar noch unsterblich. Irgendwann ist das Fass voll und ein Rückzug ist angebracht.
Nach meiner Wandlung wurde ich viel mit dem Thema Heilung von dem Fluch konfrontiert. Vor allem meine Kammeraden interessierten sich brennend für das Thema. Aber ich wüsste nicht, warum ich nach etwas Dergleichen suchen sollte. Ich weiß meinen Fluch weitestgehend zu kontrollieren und die Vorteile überwiegen meines Erachtens den Nachteilen. Sicher, ich führe ein rastloses Leben, kann nicht länger als zehn Jahresläufe an einem Ort verweilen, bevor auffällt, dass ich nicht altere oder krank werde. Aber die Vorteile sind nicht zu vernachlässigen. Ich bin nicht mehr den lapidaren Problemen ausgesetzt wie Sterbliche. Kein altern, kein Erkranken, keine Blutvergiftung. Ich kann mir den Magen nicht verderben und essen so viel ich will. Auf den Alkohol kann ich verzichten. Den vermag ich mit anderen Lastern zu ersetzen.
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Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 22.03.2020, 10:44
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