FSK-18 Wer schön sein will, muss leiden
#5
Obsession

Unruhig lief sie in ihrem Zimmer hin und her. Es war viel zu warm und stickig im Obergeschoß und selbst, als sie alle Fenster weit öffnete, brachte dies keine nennenswerte Abkühlung. Wenn sie sich wieder einem der Ostfenster näherte, ging ihr Blick hinaus, zu dem still daliegenden Haus schräg gegenüber. Sie war sich sicher, dass ihre Bewegungen beobachtet wurden.

Leuenberg war wie Mohnkrapfen, am Tag der Ankunft. Man freute sich das halbe Jahr auf diese besondere Leckerei, wenn man aber in den dritten hineinbiss, wusste man schon, dass es mit Bauchschmerzen und im schlimmsten Falle mit übler Kotzerei enden würde. Dennoch ...

Daumen und Mittelfinger hatten den hässlichen und auf eigenartige Weise überaus schönen Anhänger umfasst und ließen ihn auf der feinen Kette hin- und hergleiten. Warum löste sie diese Obsession in Männern aus? Er war nicht der erste und sie sandte ein Stoßgebet zu Mithras, dass es ein besseres Ende nehmen würde. Doch dieses leise Prickeln im Hinterkopf, das die Kopfhaut zusammen zog, wenn Gefahr lauerte, warnte sie nicht nur, sondern stimulierte sie auch. So fühlte sich Leben an.

Sie setzte sich im Halbdunkel vor den Spiegel und zog nacheinander die mit weißen Perlen besetzten Haarnadeln heraus, die sie mechanisch vor sich auf die kleine Tischplatte legte, noch immer mit den Gedanken ganz woanders. Eine dieser Nadeln rollte bis zur Kante und fiel herunter. Sie bückte sich und die Finger tasteten nach dem Gegenstand. Eine unglückliche Bewegung nur, als sie ihn ergreifen wollte und sie spürte einen kleinen Stich in der Fingerkuppe. Zunächst ärgerlich, über ihre Ungeschicklichkeit, starrte sie die feine, metallene Nadel einen Moment lang an, ehe ihr eine Idee kam, doch das hatte Zeit bis morgen.

Sie fiel schließlich in unruhigen Schlaf. Der Traum, den sie träumte, hatte sie schon lange nicht mehr heimgesucht und doch war das Gefühl so gegenwärtig, als sei es gerade erst geschehen. Eine kräftige Pranke legte sich auf ihren Hals und drückte zu, erst wenig, dann immer mehr, bis alles erst schwarz und dann weiß wurde, von einem unwirklichen Licht erfüllt. Das Gefühl des Todes, gepaart mit unbändiger Lust, das sie schließlich schweißgebadet hochschrecken ließ. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und die vereinzelten Vogelstimmen waren durch die geöffneten Fenster zu hören.

An Schlaf war nun nicht mehr zu denken und so streifte sie sich das dünne Negligé über, griff zu den Haarnadeln und machte sich auf den Weg nach unten. Sie hatte noch einige Fläschchen Versteinerungsgift vom letzten Auftrag in der Kommode liegen. Zwei davon öffnete sie, goß den Inhalt in ein Schälchen und stellte dies auf das Stativ. Darunter entzündete sie die Kerze und erwärmte es vorsichtig, so dass nach und nach ein Teil des Wassers verdampfte. Sie hoffte, dass diese etwas konzentriertere Form ausreichen würde. Nacheinander tauchte sie die Spitzen dreier Haarnadeln in die Flüssigkeit und legt sie behutsam zum Trocknen auf ein Kästchen. Dies wiederholte sie Mal um Mal, bis die grünliche Substanz auf den Nadelköpfen schon mit bloßem Auge erkennbar war.

Dann nahm sie ihren Ledergürtel zur Hand. Die Breite stimmte mit der Länge der Nadeln überein. Vorsichtig löste sie an zwei Stellen die Ziernaht, die zwei Lederschichten miteinander verband. Gerade mal zwei Stich breit sollten genügen, um die Nadeln dort unbemerkt unterbringen zu können. Die dritte würde sie vorsichtig in ihr Haar stecken. Sie war sich überhaupt nicht sicher, ob das jemals funktioneren würde, dennoch verlieh ihr diese kleine Vorsichtsmaßnahme ein Gefühl der Sicherheit.
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Wer schön sein will, muss leiden - von Rahel L. Goldblatt - 06.06.2018, 18:43
RE: Wer schön sein will, muss leiden - von Rahel L. Goldblatt - 20.06.2018, 15:15
RE: Wer schön sein will, muss leiden - von Rahel L. Goldblatt - 21.06.2018, 09:39
RE: Wer schön sein will, muss leiden - von Rahel L. Goldblatt - 24.06.2018, 10:15



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