FSK-18 Wer schön sein will, muss leiden
#2
Am Nachmittag zuvor:

Die Kräuter hatte sie schon vor einem Wochenlauf in den starken Alkohol eingelegt und als sie nun den Deckel des bauchigen Tongefäßes öffnete, um nachzusehen, schlug ihr ein strenger, alkoholgeschwängerter Geruch entgegen, der sie das Gesicht verziehen ließ. Mit einer kleinen Schöpfkelle entnahm sie etwas von dem Gebräu und begutachtete es genauer. Zerriebene Kräuterteilchen, die mittlerweile alle eine dunkle, bläulich schimmernde Schlammfarbe angenommen hatten, genauso wie die trübliche Flüssigkeit, schwammen träge darin herum. Es gab keine Möglichkeit zu prüfen, ob sie sich nicht doch in der Zusammensetzung vertan hatte, aber der Grat zwischen Heilung und Tod war in ihrem Gewerbe immer sehr schmal.

Im Kopf ging sie noch einmal die Zutaten durch: Tollkirsche, blauer Eisenhut, gefleckter Schierling, Bilsenkraut, wilde Malve, kriechendes Fingerkraut, und Schlafmohn. Sieben Zutaten mussten es sein, möglichst jedes an einem anderen Wochentag geerntet. Sieben Tage wurden die Kräuter getrocknet, dann die Blätter, oder Stängel im Mörser fein zerrieben, ehe sie sieben Tage in möglichst reinem Alkohol eingelegt wurden. Eine wichtige Zutat fehlte noch, doch diese würde sie erst hinzugeben, wenn sie die Salbe anrührte.

Während das giftige Gebräu träge durch den Leinenstoff in das darunterstehene Glas tropfte, überlegte sie, wieviel es davon benötigte, um einen Menschen zu töten, wenn man es, so wie es war, trinken würde. Sicherlich nicht viel mehr, als einen Fingerhut, möglicherweise zwei Fingerhüte voll. Sie hatte sich mit den Mengen zurückgehalten, denn das, was sie vorhatte, sollte niemanden töten. Sie hatte diese Rezeptur in einem der alten Kräuterbücher ihrer Mutter gefunden und sie war schlicht mit Flugsalbe betitelt worden. Sie war gespannt, ob wirklich das geschah, was der Name und die Beschreibung versprachen. So, oder so, morgen würde sie mehr wissen.

[Bild: gefleckterschierlingk48j8s.png]

Ein leises Piepsen aus dem Körbchen neben ihr, lenkte sie von ihren Gedanken ab. Es wurde Zeit, den Rest vorzubereiten, denn die Flüssigkeit war nun fast durchgelaufen, fern davon, wirklich klar zu sein, hatten sich zumindest alle groberen Kräuterteilchen in dem Leinentuch verfangen. Sie setzte das Wasserbad in den Kessel, unter dem nur ein leises Feuerchen simmerte und gab Wachs, etwas Öl und Schafswollfett dazu, von letzterem gerade mal eine Fingernagelspitze voll, wartete, bis das Wachs zu schmelzen begann und rührte dann stetig und gleichmäßig, bis die Mischung miteinander verschmolzen war.

Dann griff sie in den kleinen Korb und nach einigem Herumtasten hatte sie die junge Schwalbe behutsam mit ihrer Hand umschlossen. Ein Nachzügler, der wohl schon in ein oder zwei Tagen ebenfalls das Nest verlassen hätte, wie seine Geschwister. Manchmal wird man dafür bestraft, wenn man langsamer ist, als die anderen. Sanft streichelte sie dem Vögelchen mit der Zeigefingerspitze über das Köpfchen, sie konnte das kleine Herz fühlen, das aufgeregt in dem winzigen Körper pochte. "Gleich wird alles vorbei sein, hab keine Angst, kleines Vögelchen", raunte sie ihm noch zu, dann ein rascher Schnitt mit dem scharfen Messerchen, welches sie bereitgelegt hatte und das noch pochende Herzchen pumpte die kleine Menge Blut in die Salbengrundlage, während sie den Vogelkörper kopfüber darüber hielt. Mit der anderen Hand rührte sie nun wieder, damit sich auch diese wichtige Zutat gleichmäßig verteilte.

Vorsichtig goß sie unter stetigem Rühren eine kleine Menge von dem Kräutersud hinein und nachdem sich alles homogen zu verteilen schien, fügte sie noch einen kleinen Schluck hinzu. Schließlich war sie zufrieden mit der Konsistenz, allerdings vermied sie es, diese mit den Fingern zu prüfen. Die Anwendung dieser Salbe würde sie erst am Abend ausprobieren.
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Wer schön sein will, muss leiden - von Rahel L. Goldblatt - 06.06.2018, 18:43
RE: Wer schön sein will, muss leiden - von Rahel L. Goldblatt - 20.06.2018, 15:15
RE: Wer schön sein will, muss leiden - von Rahel L. Goldblatt - 21.06.2018, 09:39
RE: Wer schön sein will, muss leiden - von Rahel L. Goldblatt - 24.06.2018, 10:15



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