Ein Stück vom Rüschenglück
#4
Schneidern statt schlafen. Es wurde langsam ein Thema. Natürlich hätte sie unter die Laken kriechen können, statt sich mit einer ekelhaft munteren und wie aus dem Ei gepellt aussehenden Baroness über die Stoffbahnen zu beugen. Pünktlich zur siebten Morgenstunde war Kalirana Savaen vor der Tür gestanden, wie abgemacht.

„Hier, ich setze Tee auf, Ehrwürden.“
„Mhhrrr. Lasst nur, Baroness.“
„Unsinn, ich tue es gerne. Ihr seht müde aus!“
„Mhrrrr. Frisch wie der junge Morgen.“
„Wollt Ihr Euch nicht doch lieber hinlegen?“
„Nein.“
„Belebendes Gespräch. Geht schon einmal hinauf, ich komme gleich mit dem Tee. Dann sehen wir uns an, wie wir dem Stoff Herr werden.“
„Mhrrrr.“

Die Treppen knarrten unter ihren Schritten. Die Baroness summte ein Lied, mochte Mithras ihre gute Laune erhalten. Frisch wie der junge Morgen – ein schlechter Witz. Sie fühlte sich eher zerknautscht wie ein endloser Abend nach einer weiteren Nachtwache, die außer lang nicht viel gewesen war. Gerade das war so irritierend: Es hatte sich nicht einmal ein indharimisches Ohr am Marktplatz gezeigt, aber die beständige Anspannung ob des Kriegs ließ trotzdem nicht zu, dass der Geist pausierte. Zu viel Tücke, zu viel Täuschung, zu viel Falschheit. Jeder schlaflose Spaziergänger, der seinen Hund vor die Tür führte, war eine potentielle Bedrohung, jeder annähernd sonnenverbrannt aussehende Straßenbengel verdächtig. Es war nicht einfach, diese Haltung abzulegen. Ja, sie wollte sie gar nicht ablegen. Die eine Achtlosigkeit, der eine nachlässige Moment, das eine vertrauensvolle Gespräch an der Tür mit der scheinbar vertrauten Nachbarin konnte zu verheerenden Folgen führen.
Es stand ihr nicht der Sinn danach, die Rüstung auszuziehen, schon gar nicht, wenn die Baroness im Haus war und ein Angriff daher umso wahrscheinlicher. Adlige Entführte machten sich bei jedem Feind hervorragend. So pinnte sie nur die verbesserte Skizze an die gegenüberliegende Wand, angelte nach der Schneiderkreide und begann sorgfältig, gestrichelte Linien auf den am Tisch glattgestrichenen Stoff zu zeichnen.

Zwei geleerte Teekannen später beobachtete sie Kalirana bei den letzten Schnitten. Das methodische Geräusch des Stoffzuschneidens war einschläfernd und nur die eisern antrainierte Disziplin bewahrte die Teilzeitschneiderin davor, einfach den Hinterkopf an die Wand zu lehnen und diesen Kampf der Erschöpfung zu überlassen. Die eifrige Baroness drapierte die Teile über einer Stuhllehne und strich mit einem Lächeln darüber.


„Damit können wir zufrieden sein. Die Einzelteile machen sich recht gut. Ich denke, die Anprobe und das Anpassen der Rüschen hat Zeit bis morgen, was meint Ihr?“
„Mhrrr.“
„Geht endlich schlafen, bei Mithras.“
„Ich begleite Euch nachhause.“
„Lasst Ihr Euch das ausreden?“
„Nein.“
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Ein Stück vom Rüschenglück - von Marit Stein - 15.05.2018, 20:39
RE: Ein Stück vom Rüschenglück - von Marie Philippa Strastenberg - 16.05.2018, 13:29
RE: Ein Stück vom Rüschenglück - von Marit Stein - 22.05.2018, 18:37



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