FSK-18 Siubhail / Reisender
#2
Kapitel 2: Flüchtige Erinnerungen
Als ich mich Chloes Griff entwunden hatte und damit begann, mein über das Zimmer verteilte Hab’ und Gut einzusammeln, setzte sie sich gemächlich in ihrem Bett auf und gewährte mir damit einen weiteren, wenn auch letzten Blick auf ihre verlockenden Brüste, deren Form ein poetischerer Galatier als ich wohl am ehesten mit vollen, reifen Früchten verglichen hätte, die nur darauf warten, gepflückt zu werden. Die roten, gelockten Haare meiner Bettgespielin fielen ob der Nacht wild und ungeordnet über ihre Schultern herab und umrahmten Chloes Körperfrüchte wie ein Feld aus Wildranken, die dem Ganzen den Eindruck eines wilden und ungezähmten Gartens verliehen, in dem jede Frucht viel intensiver schmecken würde, als man es sonst kannte. Vielleicht verriet mich meine einkehrende Untätigkeit oder der unverhohlene Blick meinerseits, der nicht gerade die Augen der Frau fixierte, mit der ich eine vergnügliche Nacht hinter mich gebracht hatte. “Die Laken sind noch warm, Ualryig. Und es ist nocht etwas Zeit..” säuselte diese Undine aus dem Meer an aufgewühlten Laken und Decken, die mich beinahe wieder in ihre Fänge gezogen hätte. Doch die Erwähnung des einen Wortes, der Zeit, war mein Ausgang, meine Fluchttür und ich durchschritt sie so geschwind wie ich nur konnte. Mein Kopfschütteln, das mich wieder in die echte Welt holen sollte, schmerzte aufgrund des Alkohols, der noch immer in meinem Körper steckte und ich antwortete nur beiläufig, während ich in meine Hose schlüpfte, notdürftig mein Hemd zuknöpfte, mir einen Umhang umwarf und mir meine Tasche mit den Traktaten, Aufzeichnungen und sonstigen Dingen umhing, die ich im Laufe der Jahre gesammelt hatte. “Zeit, allerliebste Chloe, ist genau das was ich nicht habe - und ich wünschte die Götter hätten uns mehr Zeit geschenkt.” Chloe seufzte ergeben und ich hörte sie noch etwas sagen, doch war ich da bereits schon durch die Tür ihres Zimmers verschwunden und befand mich auf den Treppen, die mich abwärts, hinab in das Erdgeschoss des Hauses führen sollten, dass sie normalerweise mit ihrem künftigen Gemahl bewohnte.

Es wäre schamlos gelogen zu sagen, dass ich das erste mal die Federn mit einer Frau geteilt hatte, die bereits vergeben war und ich war mittlerweile sehr gut darin, mich deshalb nicht schlecht zu fühlen. Mein bestes Argument war stets, dass der Haussegen wohl nicht so gut gewesen sein muss, wenn sich einfach ein fremder Mann zwischen die Schenkel einer vergebenen Frau drängen konnte und ich hatte selten damit falsch gelegen. Die Zeichen einer miserablen Beziehung konnte ich zumeist bereits an dem Inneren der Behausungen ablesen, in die ich den Frauen gefolgt war, die sich entschlossen hatten, mich zu sich zu lassen. Zugegeben, ich hatte nicht den Ruf ein Schürzenjäger zu sein und hatte auch kein Interesse daran. Aber wenn eines zum anderen kam - nunja, wer wäre ich, mich einem Wink von Branwen zu entziehen. Diesmal fiel mir auf dem Weg hinaus jedoch vor allem eines auf: Dieses Haus zeigte diese Anzeichen nicht. Ich fertigte mir im Kopf eine Fußnote zu dieser interessanten Beobachtung und hörte es oben poltern und Chloe etwas rufen, was im Gepolter unterging. Götter, sie würde nicht locker lassen. Offenbar musste ich sehr überzeugend in der letzten Nacht gewesen sein und erneut wünschte ich mir, ich hätte mehr Erinnerung an das was wir da veranstaltet haben. Ich hörte mich innerlich äußerst maskulin über meine offensichtliche Leistung zufrieden brummen und verließ das Haus.

Das Tageslicht war, nachdem die Tür des Hauses zugefallen war, noch grausamer als es noch in Chloes Schlafzimmer gewirkt hatte und ich hatte im ersten Moment Mühe, mich zu orientieren. Aus lauter Desorientierung war das erste, in das ich stolperte, eines von mehreren angebundenen Pferden, wobei das Tier in einem kraftvollen Schnauben sein Unverständnis darüber äußerte, dass ich mit voller Wucht meine Stirn an den Pferdekopf gepresst hatte. Ich hatte meine Sinne noch nicht ganz wieder, da hörte ich im Hintergrund ein anderes Tier wiehern und würde bei den Göttern und meiner Sippe schwören, dass es mich ausgelacht hat. Diesmal verzichtete ich auf das Schütteln meines Kopfes und versuchte, mich mit halb geöffneten, lichtscheuen Augen zu orientieren. Momente wie Stunden verstrichen, in denen ich die Straßen von Sara in der Taschendimension meiner wiederkehrenden Sinne zum ersten Mal zu sehen glaubte, bis sich schließlich meine Wahrnehmung wieder an die richtige Stelle meines Kopfes gerückt hatte. Ich peilte die nächste, aus der Stadt führenden Straße an und begann mit jedem Schritt und Atemzug schneller zu werden, insbesondere nachdem die frische, kühle Winterluft die Schwere der letzten Nacht aus meinem Körper zu treiben schien. Als ich die Grenzen der Stadt erreicht hatte und das kleine Waldstück durchquerte, welches nordwärts zu einem kleinen Uferpfad führen würde, wie Ruathan es mir beschrieben hatte, war ich bereits nicht nur schnellen Schrittes unterwegs - nein, ich rannte als wären die gesamten Feenwesen der Anderswelt hinter mir her.

Ich kannte das kleine Wäldchen bereits seit meiner Kindheit - und natürlich tat Ruathan das auch. Vermutlich erinnerte er sich an die Bucht und die “Abenteuer”, die wir als Kinder dort erlebt hatten, genauso gut wie ich. Wir schmiedeten dort unsere eigenen Legenden - Geschichten, die nur Kinderköpfe zu erdenken imstande waren und die so farbenreich wie außergewöhnlich waren. Die Inseln verfügten insgesamt nicht über viele Buchten wie diese und ich habe nie herausgefunden, warum gerade diese Bucht über so viel Treibgut verfügte. Ruathan erklärte mir einmal, als er schon längst zur See fuhr und für einige Tage auf Reinos weilte, um Vorräte aufzufüllen, dass es mit der selvetischen Seestraße zu tun habe. Ich kann mich erinnern, dass er mir die Einzelheiten erklärte und mir ganz genau sagen konnte, warum das Wasser das Treibgut genau dorthin trieb wo wir es als Kinder stets als Ausgangspunkt unseres eigenen Mikrokosmos aus Sagen und Legenden genutzt haben, doch die 21 mögen mir verzeihen, dass ich das nautische Kauderwelsch meines Freundes nicht einmal im Ansatz behalten habe. Natürlich war es uns Kindern verboten, die Bucht aufzusuchen, die neben allerhand Tand aus aufgebrachten Handelskoggen auch Strömungsverhältnisse aufwies, die jeden ungeübten Schwimmer in das Wechselspiel gegenläufiger Strömungen zog und man, einmal zu weit vom Ufer entfernt, selten aus eigener Kraft wieder an Land schwimmen konnte.

Wo die Verbote unserer Eltern natürlich keinerlei Bindungswirkung auf zwei abenteuerlustige Galatier entfalteten, sorgte zumindest das wirre Gebrabbel des alten Ghilliwax dafür, dass wir uns nach unserer Begegnung mit dem dürren Einsiedler zumindest nie mehr bei Nacht in die Bucht getraut haben. Ich weiß noch, wie sehr wir uns erschrocken haben, den Alten außerhalb seiner Bruchbude am Rand von Sara zu erblicken, die mehr aus alten Fischernetzen, Muscheln und Treibholz bestand, als aus ernsthaften Baumaterialen. Ghilliwax war so eigentümlich wie sein Name, der vermutlich mal sein Spitzname gewesen wusste - so genau wusste das niemand. Selbst meine Eltern kannten den Alten nur unter dem Namen und auch hier hatten sie Sorge, die Verwirrtheit des alten Mannes könnte ansteckend sein und verboten mir, den dürren Einsiedler auch nur aufzusuchen. Und in der Tat war Ghilliwax seltsam und für uns Kinder unheimlich genug, um ihm keine Streiche spielen zu wollen. Auch an diesem Abend schaffte es der Alte, uns gehörig Angst in die Knochen zu treiben, nachdem er uns erzählte, dass ein “Schlund” kein Spielplatz sei und wir zusehen sollten, dass wir Land gewinnen.

Und wie es so mit Kindern ist, die den Quell ihrer Fantasie nicht kampflos aufgeben wollten, schafften wir es, dem Alten einen Handel abzuringen, obwohl er mit Nachdruck sowie wild fuchtelnd und fluchend versucht hatte, uns ohne Zugeständnisse von der Gefahr dieses Ortes zu überzeugen. Der Handel indes, sah vor, dass wir die Bucht zumindest ab der Dämmerung und über die Nacht meiden würden und im Gegenzug musste Ghilliwax uns erzählen, was er über diesen, nach unserer damaligen Ansicht, absolut magischen Ort zu berichten wusste. Und so selten wie das Treibgut der Schiffe, dem wir uns so schamlos bemächtigt hatten, enttäuschte, wusste auch die Geschichte, die der alte Ghilliwax uns auftischte, die Fantasie zweier Kinder in unermessliche Höhen zu schrauben.

Wie der Alte uns gleich zu Beginn hatte wissen lassen, handelte es sich bei der Bucht um einen Schlund, einen Ort an den Dinge getragen werden, die jenen genommen worden sind, die es versäumt hatten, sich mit den Göttern gut zu stellen. Hier im Besonderen, so wusste uns Ghilliwax zu berichten - und keiner von uns kam auf die Idee, das in Frage zu stellen - handelte es sich um einen Schlund, der besonders unter der Gunst von Chronos, Taranis und Midir stand, denn wenn Seeleute es schafften, sich gegen die drei Götterwesen zu stellen, dann gab es nichts, was das restliche Pantheon hätte tun können: Ohne Midirs Winde würde kein Schiff segeln, Chronos würde die Wellen so hoch schlagen lassen, dass kein Schiff mehr zu manövrieren war und Taranis würde Stürme entfesseln, deren Blitze ganze Schiffe entzwei reißen konnten. Die Opfer, welche die Seeleute schuldig gewesen blieben, die würden dann in einen Schlund getrieben, Orte, die aus der Welt wie wir sie kennen, herausführten und die alles weltliche zerrissen, wenn sie hindurchgetreten waren, weil die Götter es sich danach einverleibten.

Das was übrig blieb, das war das wenige Treibgut, das dann im Kies der kleinen Bucht nicht mehr vom Meer zurückgeholt werden konnte. Wir hätten also noch Glück gehabt, erklärte uns Ghilliwax, denn was die Götter verschmähten, war für die Kinder Galatias zur Verfügung.

Ruathan, der schon immer etwas aufsässiger war als ich, gab sich jedoch mit der Aussicht darauf, von einem göttlichen Strudel zerrissen zu werden, nicht zufrieden. Die Wasser mieden wir ob ihrer Gefahren ohnehin und er wollte von Ghilliwax wissen, warum es gerade bei Nacht gefährlicher sein sollte, als am Tage. An das Kichern des Alten, welches so klang, als würde man kleine Glöckchen gegen das innere eines hohlen Knochens schlagen, erinnere ich mich noch heute. Das, so sagte Ghilliwax, sei wegen der Meermänner. Ruathan und ich lachten damals zunächst über diesen eigentümlichen Begriff, der so klang, als habe eine besonders beleidigte Galatierin versucht zu verbreiten, dass es zu den wunderschönen Meerjungfrauen auch eine männliche Alternative geben musste - was schon für sich genommen ein vollkommen lachhafter Gedanke gewesen wäre. Ghilliwax hingegen, ließ sich davon nicht beirren und erklärte uns, dass nicht immer ein dingliches Opfer ausreichend gewesen wäre und das Chronos diejenigen, die die Götter zu sehr schmähten, verflucht haben soll. Den sterblichen Seelen, die sich derart gegen die Götter gewandt hatten, war es verwehrt, sich wieder mit dem Ursprung der Schöpfung zu vereinen - nein, diese armen Kreaturen mussten fortan dem Herrn der Gewässer und der Gezeiten dadurch dienen, dass sie die Schlünde bewachten und diejenigen von den Toren zur Götterwelt abhielten, die dort nichts verloren hatten - egal wie treu die Sterblichen den 21 ergeben wären.

Der Alte erzählte uns farben- und gestenreich, dass diese armen Kreaturen keinerlei Haare mehr am Körper trugen, sondern eine gummiartige, bläuliche Haut besäßen, Mäuler mit spitzen, scharfen Zähnen und klauenartige Krallen an den Fingern hätten. Zu allem Überfluss hätte Chronos den armen Seelen Fischaugen und Kiemen statt ihrer menschlichen Sehkraft gegeben und ihnen die Sprache und die Intelligenz genommen, die sie zu mehr als einem Werkzeug ihres Auftrages hätte machen können. Um sich besser im Reich des Gottes bewegen zu können, würden sie zudem zwischen Händen und Zehen Schwimmhäute besitzen - also insgesamt mehr einem menschgewordenen Fischmonster ähneln, als ihrem vormaligen selbst.

Und diese Meermänner, so sagte Ghilliwax, kämen manches mal bei Nacht für kurze Zeit an Land. Und obwohl sie nicht zu echtem Denken imstande waren, seien die erinnungsfähigen Seelen der verfluchten Seemänner weiterhin im Leib gefangen und würden fürchterliche Qualen leiden, wenn sie die Gestade ihrer Heimat sehen würden, was dazu führte, dass die Meermänner in Anfällen blinder Wut jeden Menschen angriffen, der sich dem Ort ihrer Verdammnis zu sehr näherte.

Diese Geschichte, das sei an dieser Stelle erwähnt, hatte vor allem zwei Effekte auf Ruathan und mich, da wir zu diesem Zeitpunkt keine 12 Sommer alt waren: Erstens, wir waren niemals, nie mehr, zu keinem Zeitpunkt unserer Kindheit bei Nacht in dieser Bucht. Zweitens habe ich sicher einen vollen Mondlauf lang jede Küste gemieden, was auf einer Insel wie Reinos größtenteils darauf hinauslief, mich in meinem Zimmer einzuschließen und den Hof nicht zu verlassen. Meine Eltern betrachteten das als besonders wertvolle, erzieherische Maßnahme und für mich war es eine der wertvolleren Lektionen meines Lebens, die mir bewusst machten, dass uns die Götter nicht immer nur anlachen würden, sondern auch fürchterlich grausam sein konnten, wenn wir uns von ihnen abwenden würden.

Erst die verstreichenden Tage und die Aussicht darauf, die letzten Sommertage nicht draußen zu verbringen, konnten die Waage am Ende wieder zum Kippen bringen und die Furcht eines Kindes, welches noch jeden Aberglauben ungefiltert in sich aufnimmt, verblasste langsam und Ruathan und ich suchten uns für die nächste Zeit einen anderen Ort, an dem wir Schabernack treiben konnten. Mit Ghilliwax habe ich Jahre später nur noch einmal gesprochen, nachdem ich einen Gegenstand im Treibgut fand, der wohl einer der vielen kleinen Funken war, die mich am Ende zur Hermetik bringen sollten.

Die Erinnerungen alter Kindheitstage flogen derweil in der Gegenwart förmlich an mir vorbei, als ich Bäume passierte, die wir tapferen Ritter unserer Kindheit erklettert hatten (und auch genauso oft heruntergefallen waren), völlig außer Atem den alten Uferweg hinunterhastete, der mehr aus zusammengesetztem Wurzelwerk und nicht ganz so steilen Erdabhängen bestand, als dass man es wirklich einen Weg hätte nennen können. Es gab, das wusste ich, mittlerweile auch einen ordentlichen Weg, der zur Bucht führte. Im Laufe der Jahre hatten ihn viele weitere Galatier für sich entdeckt - da hatte der Ort vergangener Magie für uns längst seinen Reiz verloren. Der schnellste Weg - das war allerdings nach wie vor unbestritten, führte noch immer über den alten Pfad, den Ruathan und ich damals entdeckt hatten.

Als ich einen letzten Erdwall überstieg und das Unterholz verließ und somit klaren Blick auf die Bucht erhaschte, blieb mein Herz für einen Augenblick stehen: Die Ard-Aynlinn lag noch immer in den unsteten Wassern des Schlundes und es sah gerade so aus, als wenn die Männer sich darauf vorbereiteten abzulegen. Was auch immer sie aufgehalten hatte, war meine Möglichkeit, der Schande einer verspielten Chance und dem Groll eines vergrämten Gatten zu entkommen. Ich stolperte mehr als dass ich noch richtig rannte von dem Abhang herunter, brüllte was das Zeug hielt, dass sie auf mich warten sollten - wobei sich meine noch immer vom Alkohol raue Kehle anfühlte, als würde sie in Flammen stehen. Die kühle Luft, die ich beim Rennen in meinen Körper gepresst hatte und anfänglich als wohltuend empfunden hatte, ließ meine Lunge vor Schmerzen fast platzen und doch würde ich verdammt sein, wenn ich jetzt auf Reinos bleiben würde. So verdammt, wie Chronos die Meermänner verdammt hatte!

Brüllend und mit den Armen rudernd erreichte ich nach einem Spurt, der sich wie eine Inselumrundung anfühlte, den kleinen Platz in der Bucht, an dem Teile der Mannschaft die letzten Vorräte zusammengetragen hatten und sich von meiner sehr speziellen Art und Weise, brüllend aus dem Unterholz zu kommen, äußerst unterhalten gefühlt hatten. Ruathan, welcher ebenfalls anwesend war und lässig auf einer der Kisten saß, schmunzelte völlig entspannt und ließ mich erst einmal zu etwas Luft kommen, während mir ein Seemann seinen Trinkschlauch reichte. “D.. danke.” stammelte ich nur außer Atem, unfähig zu weiteren Worten und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Schlauch - ich hatte das Gefühl, dass ich trotz der Kälte die Wasservorräte meines Körpers komplett ausgeschwitzt hatte. Ich hatte bereits zwei tiefe Züge aus dem Schlauch genommen als ich merkte, wie das allgemein heitere Lachen um mich herum verstummt war und die Seemänner mich mit großen Augen anblickten, soweit ich das aus dem Spähblick beurteilen konnte, während ich den Inhalt des Schlauches weiter meine Kehle herabrinnen ließ. Ich finde es noch heute beeindruckend, wie wenig der eigene Geist bemerkt, wenn er in einem Zustand höchster Erregung oder Erschöpfung oder beidem ist, denn erst als ich meinem Umfeld gewahr wurde, merkte ich, dass ich kein Wasser trank, sondern der Gestank und das brennende Gefühl in meinem Rachen nichts anderes bedeutete, als dass mir der Freibeuter soeben seinen Schnapsschlauch angeboten hatte - der mittlerweile so gut wie leer war.

Ich spürte wie mein Bauch sofort zu rebellieren begann, spuckte den Rest aus dem Mund aus, warf den Schlauch von mir und erbrach gleich den Rest einer Mahlzeit, die noch vom Vortag stammen musste. Ich spürte die Hitze der Scham in mir hochsteigen - was gepaart mit meiner Übelkeit ein noch furchtbareres Gefühl war und von dem nun losbrechenden, allseitigen Gelächter noch unterstützt wurde.

Ich weiß noch, dass ich gerne zu der Gesamtsituation etwas besonders Kluges von mir geben wollte, um nicht wie ein Taugenichts dazustehen, kann mich aber erinnern, dass nur sinnloses Gebrabbel aus meinem Mund kam, nachdem der Alkohol durch die Anstrengung und die bereits durchzechte Nacht sofort einen Nährboden fand, sämtliche Körperfunktionen erfolgreich lahmzulegen. Ich kann mich noch an Ruathans väterliches Lächeln erinnern, als er von der Kiste rutschte, sich unter einen meiner Arme hakte und mich an eine Kiste lehnte.

Bevor ich in einen alkohol- und erschöpfungsgeschwängerten Schlaf schlidderte, hörte ich die letzten Worte meines Freundes, die ich auf der Insel noch wahrnehmen konnte:”Wir warten noch etwas, vielleicht kommt sie noch nach.” Was von seiner Mannschaft mehr oder weniger brummend quittiert wurde. Ruathan selbst hatte, die Abfahrt also wegen einem weiteren Mitfahrer verzögert. In einem Augenwinkel sah ich verschwommen eine Reiterin aus dem Unterholz des Wanderpfades brechen. Dann erlosch mein Widerstand und die Schnapskeule prügelte mich so sanft wie ein Erdrutsch in den Schlaf. Ruathan erzählte mir später, dass das dümmliche Grinsen, es doch noch geschafft zu haben, bis meinem Erwachen auf meine Gesichtszüge gemeißelt war. Was für ein wundervoller Beginn meiner Reise nach Amhran.
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Kapitel 2: Flüchtige Erinnerungen - von Ualryig Ard-an Cathasaigh - 31.12.2017, 18:56



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