Die Erschaffung des Wächters
#5
Er erwacht davon, dass eine der Wachen ihn an der Schulter rüttelt, müde und verwirrt schaut er sich dröge blinzelnd um. Es ist noch dunkel. Desorientiert fokussiert er den Blick auf den Söldner.

"Herr, Ihr wolltet nach zwei Stundenläufen geweckt werden."

Ein dunkles Brummen ist alles was der Mann zur Antwort bekommt. Dann drückt sich der Hüne auf. Ächzend stemmt er die Hände ins Kreuz. Zwei Stunden Schlaf. Er fühlte sich jetzt noch müder und zerschundener als zuvor, vielleicht wäre er besser wach geblieben. Er warf die Felle ab unter denen er gelegen hatte und sah sich in seiner improvisierten Werkstatt unterm Sternenzelt um. Die Gussstücke strahlten noch immer eine gewisse Wärme ab, glühten jedoch nicht mehr.

"Herr Mithras gib mir Kraft!" schickte er sein Stoßgebet gen Elysium und stand vollends auf.

Die nächsten Stunden verbrachte er damit die gegossenen Werkstücke aus ihren irdenen Formen zu befreien und endgültig in Form zu schlagen. Mit jedem Hammerschlag, mit jedem metallischen Geräusch näherten sich die einzelnen Stücke mehr ihrer Bestimmung. Immer vollendeter sahen sie aus, jetzt konnte auch jemand, der nicht in den Plan eingeweiht war erkennen, dass es sich um gigantische Körperteile handelte. Er fügte Löcher in die Halterungen der Gelenkpfannen und passte die einzelnen Teile an einander an.

Schließlich gab er dem Kopf noch grobe Gesichtszüge. Zwei Augenhöhlen, eine rudimentäre Nase und ein Mund, verzogen zu einer harten Linie. Als letztes griff er zu seinem Gravurwerkzeug und begann damit eine etwa menschenkopfgroße Mithrassonne auf die linke Brust des Golems zu gravieren.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel als er ein Kohlebett aufschüttete, anfeuerte und alle Teile des Golems darauf ablegte um sie ein letztes Mal anzulassen. Nachdem der Stahl den für die Anlasstemperatur typischen Rotton angenommen hatte, wusste er, dass der Stahl sich nun entspannt hatte. Er rollte die Golemteile von der Kohle herunter und ließ sie etwas abkühlen.

Dann machte er sich daran den Stahl zu säubern und zu polieren. Als schließlich alles glänzte und die späte Mittagssonne reflektierte begann er damit, die einzelnen Körperteile zusammen zu fügen. Er setzte die Gelenke ineinander, führte letzte Anpassungen durch und trieb dann die Gelenkstäbe hinein. Die Enden der Stäbe wurden breit geschlagen, damit sie sich nicht mehr herauslösen würden. In den Brustkorb setzte er das Goldherz ein, welches er gestern gemeinsam mit Hannah Teran gefertigt hatte. Die Achsstange des Kopfes setzte er ebenso ein.

Ehe er den Brustteil des Torsos aufsetzte betrachtete er das goldene Herz noch einmal und murmelte:

"Mithras, möge deine Macht und deine Führung in diesen Wächter eingehen, aufdass er Freund von Feind zu trennen wisse und dem Schrein, wie auch der Esse ein würdiger Hüter sei!"

Dann setzte er den Brustteil auf den Rückenteil und vernietete mit dicken Bolzen die beiden Körperteile.

Zufrieden und müde betrachtete er sein Werk. Der Golem lag in seiner ganzen Pracht und Größe vor ihm. Er war das größte Werkstück seines bisherigen Lebens geworden. Jetzt war es an der Kirche ihm Leben einzuhauchen.

Er deckte das Monstrum mit mehreren Fellen zu um es vor neugierigen Blicken zu schützen und machte sich auf den Weg zum roten Hirschen. Schlaf, endlich Schlaf!
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RE: Die Erschaffung des Wächters - von Goran Felsenschlag - 19.02.2017, 10:51



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