FSK-18 Yngvar
#23
Das Rauschen aus Jubel und Heiterkeit an diesem Sommertag im fernen Nortgard war zu einem Mantel geworden, der sich um jeden Menschen und jede Frau Hammerhalls gelegt hatte, die das Jungrecken-Turnier auf einem der zahlreichen Übungsplätze der wichtigsten Siedlung Nortgards besucht hatten. Wenngleich es selten dazu reichte, die Sitzgelegenheiten um den Platz zu füllen, so waren doch stets zahlreiche Menschen dort, die ihre Schützlinge in Aktion sehen wollten – was an diesem Tag dazu geführt hatte, dass das gesprochene Wort über die Ereignisse dieses eigentlich unbedeutenden Wettkampfes die Runde machte: Ein neuer Streiter hatte sich entboten und strich einen Sieg um den anderen ein – bis er am Ende den eigentlichen Favoriten, Aedryf Hammersmann, den Sohn eines gut betuchten Schmiedes der Stadt und ein Kämpfer so furchtlos, dass man ihm die Seele eines Bären zuschrieb, in den Sand geschickt hatte.

Für die Schwester des Kämpfers kam der Sieg wenig überraschend, hatte sie doch jeden Schritt des Kriegers von klein auf beobachten und sehen können, wie er sich mit jeder Trainingseinheit mehr seinem Ziel näherte, sich Respekt in den Reihen der anderen Recken zu erarbeiten. Und dieser Tag war heute gewesen – unbesiegt, aber erschöpft und von zahlreichen Prellungen übersäht, errang Yngvar Stein seine erste Tulasilber-Münze, in die man den Tag und Anlass seines Turniersieges graviert hatte.

Es war nicht etwa so, dass man hier von einem denkwürdigen Tag sprechen würde – war es doch nur eines von zahlreichen Turnieren, die im Laufe des Jahres stattfanden – es war allenfalls bemerkenswert. Und das zog widerum viele Schaulustige an, die bald schon mit dem aufstrebenden Beamtensohn mitfieberten und ihm am Ende zujubelten, als er seine erste Münze errungen hatte.

Selbst auf dem Heimweg sprach man den jungen Recken an, der den gesamten Weg über mit seiner Schwester heiter feixend die Ereignisse erneut durchlebte – und die, die vielleicht kommen mochten. Ein Ritter würde er irgendwann gar werden, orakelte Marit, die damals noch ihren alten Namen trug. Ein Ritter Nortgards. Yngvar Stein wollte daran glauben, hoffen und träumen.

Das Haus seiner Familie, in dem sein Vater ihn bereits am Kamin erwartete, kontrasierte mit diesen Erlebnissen so stark, dass Yngvars gesamter, kampfgebeutelter Körper sich unmittelbar verkrampfte, als er die Stube betrat. Die Stille in dem Haus wirkte, verglichen mit all dem Getöse auf den Straßen der Hauptstadt Nortgards beinahe schon bedrückend und selbst Marit, sonst sein Schatten, hatte sich elegant und geräuschlos wie üblich die Treppe hinaufgeschlungen, um in ihre Gemächer zurückzukehren, wie ein Vollmond in tiefster Nacht, vor den sich eine Wolkenpartie geräuschlos geschoben hatte. Yngvars Lächeln – das Lächeln eines Siegers, der durch den Siegestaumel überheblich und arrogant zu werden drohte, erstarb langsam als er sich seinem Vater näherte.

„Irgendwann..“ begann die tiefe, sonore Stimme des alternden Mannes, der in einem Sessel saß und den Blick auf das Feuer gerichtet hatte. „Irgendwann wirst du mich stolz machen, mein Sohn.“ Das Lächeln von Yngvar Stein war zwischenzeitlich gänzlich verschwunden. Die Münze landete mit einem in der stille aufbegehrenden Laut auf dem Schoß seines Vaters, während der Jungrecke anklagend einwand:“Und die Tatsache, dass dein Sohn jeden aufstrebenden Krieger dieser Stadt soeben deklassiert hat, ist kein Grund, Vater?“

Der Mann seufzte auf und blickte Yngvar direkt an, der nun mittlerweile neben ihm am Feuer stand. „Welches Land hast du erobert Yngvar? Welche Krone erstritten? Welches Weib hast du aus Not befreit?“ Der junge Recke öffnete seinen Mund, war jedoch unfähig etwas zu erwiedern. „Du bist ein Stück Zucker, dass man in Glas Wasser geworfen hat, wenn du glaubst, dieser Erfolg hätte dich die Welt erobern lassen. König ist nicht der, der sich feiern lässt wie einer, sondern der, der sich verhält wie einer.“ „König ist der, der von Mithras an die Spitze des Reiches gesetzt worden ist.“ gab der Sohn in einem Anflug von arrogantem Trotz zurück – und sein Vater blickte den jungen Krieger daraufhin lange an.

„Der Turniergang hat in unserem Lehen eine so lange Tradition, dass du glaubst, in einem Sieg würde viel Ehre liegen. Und doch frage ich dich: Was hast du gewonnen, wenn du einen Apfel von einem prall gefüllten Apfelbaum pflückst? Die Ernte hast du erst eingebracht, wenn du jeden einzelnen Apfel gepflückt hast und dir die Arme von Körben müde sind, mit denen du deine Ausbeute davongetragen hast.“

Yngvar war mittlerweile gänzlich still geworden. „Du kannst kämpfen, Yngvar.“ wandte sein Vater nun ein. „Aber willst du dieses Talent in den zahllosen Turnieren unseres Landes vergeuden, nur um dich selbst feiern zu lassen? Du hast hart gekämpft, hart gearbeitet, für diesen ersten, diesen einen Sieg.“

„Was schlägst du vor, Vater?“ kam es mit leichtem Widerstand eines Sohnes, der eine Niederlage eingestehen musste.

„Das frage ich dich Yngvar. Und das solltest du dich fragen. Frage dich, was für dich der sinnvollste Weg ist, deine Fähigkeiten einzusetzen – denn du hast nur eine Tür aufgestoßen. Was sich dahinter befindet, das liegt bei dir.“

Eine weitere Lehrstunde Lebensfragen, garniert mit kryptischen Bemerkungen. Bisweilen hasste Yngvar diese Art an seinem Vater – wenngleich oftmals eine tiefe Weisheit darin gelegen hatte, die Yngvar glauben ließ, er hätte es auch zu Adel bringen können, wenn er es nur gewollt hätte.

Als der Krieger in seiner Kammer angekommen war, die Münze hatte er bei seinem Vater belassen, ließ sich Yngvar kraftlos auf das Bett fallen. Durch das Fenster seines Zimmers drang das mittlerweile wieder normale Raunen der Nordstadt und je tiefer sein Körper in seinem Bett einsank, umso tiefer entschwand auch sein Geist in die Welt der Träume – einer Welt, die vor allem Heilung für den gebeutelten Körper versprach. Die Schwärze des Schlafes empfing den Krieger beinahe unmittelbar nachdem er den Blick auf die Decke des Zimmers gerichtet hatte und entfernte ihn aus seiner Heimat und beließ ihn im Taumel der matten Schwärze, die er in Gedanken durchschritt – alleine.

Als Yngvar erneut seine Augen öffnete, glaubte er, dass kaum eine Minute vergangen sein musste. Das Raunen von den Straßen jedoch war verschwunden, das Licht, das durch das Fenster schien war anders. Es fühlte sich an, als wäre es früher Abend. Mit noch leicht schmerzenden Gliedern erhob sich der Krieger und begann auf krampfgeschüttelten Beinen den Flur hinunter in die Küche zu schreiten. Es war ein Weg, der sich länger anfühlte, als er ihn in Erinnerung hatte. Das Wasser, was er aus der Schale in der Küche trank hatte es dumpfes, wenngleich das feuchte Nass seinem Körper etwas mehr Aufmerksamkeit zurückgab – eine Aufmerksamkeit, die binnen weniger Augenblicke schrie, dass irgendetwas nicht richtig war.

Yngvar schritt an den Türrahmen der Küche, hin zum Treppenaufgang und dem Flur, der die anderen Räume verband. „Vater?!“ rief er, doch keine Antwort folgte. Langsam durchschritt Yngvar die anderen Räume des Hauses, langsam, vorsichtig. Leichte, tapsende Geräusche führten ihn durch jeden Winkel des Hauses – und mit jedem leeren Raum verstärkte sich ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend – erneut. Ein Gefühl, dass ihm bereits bevor er Gewissheit hatte, sagte, dass da niemand war. Es war sogar mehr als nur ein einfaches Gefühl. Es war blanke Angst – Angst, dass er alleine sein würde.

Das gesamte Haus wirkte, als hätte es jemand aufgeräumt und sei dann einfach gegangen. Einzig der köchelnde Eintopf im Kessel der Küche durchbrach dieses Bild etwas und kündete davon, dass es vor kurzem vielleicht noch Leben gegeben hatte. Das letzte Zimmer war das von Marit. Yngvar atmete tief durch. Sie musste da sein. Sie musste einfach.

Doch auch hinter dieser Tür befand sich nur die Leere eines perfekt aufgeräumten Zimmers, als hätte es jemand so dekoriert, um daraus ein Familienmuseum der Familie Stein zu machen.

Aus der Angst war mittlerweile aufwallende Panik geworden und der Krieger stürzte nun förmlich zur Haustür. Vielleicht in der Stadt. Vielleicht hatte man Vater zur Arbeit berufen, vielleicht war Marit in der Stadt unterwegs und Mutter .. war vielleicht am Markt. Die Schritte des Kriegers wurden schneller und schneller – so schnell, dass er beinahe die Treppe hinabsürzte, sich jedoch im letzten Moment noch fangen konnte. Mit schwerem, flatterhaftem Atem und leicht torkelnd ergriff er den Knauf der Haustür, stürzte ins Freie … und fiel.

Yngvar konnte nicht einmal sagen was er sah, so unmenschlich real war das Gefühl zu fallen, so überwältigend, dass der Krieger schließlich die Augen öffnete und sich im Hier und Jetzt wiederfand. Die Augen wurden förmlich aufgerissen und er schnappte nach Atem – bis sein Kopf ihm bald schon mitteilte, dass er in Sicherheit, in seiner Kammer in Löwenstein an der Marktgasse war.

Ein letztes, tiefes Ausatmen, ein Blick durch den Raum, der jedoch auf seine eigene Art irgendwie leer wirkte. Yngvar strich über den Stoff des großen Bettes, dass er erst kürzlich hatte anschaffen lassen, über den weichen Stoff und über die freie Stelle neben ihm. Kurz ruckte der Blick zum Fenster, zu dem Ding in der Wand, dass das Raunen der Stadt an sein Ohr trug, wie es auch sein Traumfenster in seinem Traumzimmer in Hammerhall schon getan hatte.

Erschöpft resignierte der Krieger und ließ sich erneut in die weichen Stoffe fallen, um die Welt erneut auszusperren.

[Bild: traumserien.jpg]
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Yngvar - von Gast - 21.12.2015, 22:09
Im rechten Licht - von Gast - 02.01.2016, 13:06
Yngvar Pt. 3 - von Gast - 05.01.2016, 12:58
Yngvar Pt. 4 - von Gast - 09.01.2016, 03:12
Yngvar Pt. 5 - von Gast - 11.01.2016, 01:35
Yngvar Pt. 6 - von Gast - 17.01.2016, 12:02
Yngvar Pt. 7 - von Gast - 19.01.2016, 23:28
Yngvar Pt. 8 - von Gast - 22.01.2016, 11:58
Yngvar Pt. 9 - von Gast - 22.01.2016, 22:48
Yngvar Pt. 10 - von Gast - 26.01.2016, 22:17
Yngvar Pt. 11 - von Gast - 03.02.2016, 17:33
Yngvar Pt. 12 - von Gast - 11.06.2016, 12:36
Yngvar Pt. 13 - von Gast - 07.07.2016, 18:31
In Schutt und Asche. - von Gast - 22.12.2016, 01:31
In Schutt und Asche (Fortsetzung) - von Gast - 22.12.2016, 15:22
Die Inspiration des Priesters - von Gast - 27.12.2016, 15:09
Familie. - von Gast - 28.12.2016, 11:36
Splitterwelt. - von Gast - 03.01.2017, 17:31
Der Königsberg - von Gast - 09.01.2017, 23:00
Unverlöschbar & Unerstickbar. - von Gast - 19.01.2017, 14:06
Eine Myriade an Leuchtfeuern. - von Gast - 11.02.2017, 21:04
Die Rekrutin - von Gast - 13.02.2017, 18:02
Ausgesperrt. - von Gast - 07.03.2017, 19:13
Skalpell. - von Gast - 20.03.2017, 16:38
"In tiefster Nacht." - von Gast - 08.04.2017, 10:02



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste