FSK-18 Yngvar
#7
Nachtgeflüster

Wohlige Kühle strich über das Gesicht des Novizen, als er zur Decke des Schlafsaals blickte, in dem er eigentlich die nötige Kraft und Ruhe für die kommenden Tage hätte finden sollen. Das Mondlicht schien durch die schweren, großen Fenster des Kirchengebäudes und tauchte den Raum damit in ein schwerfälliges Schattenspiel, in dem sich vor allem die Silhouetten sich im Schlaf umdrehender Kirchendiener an der Wand abwechselnd entlangrollten. Der groteske Schattenzauber fand allerdings keinen Anklang beim Novizen, der einen Teil der durch eine Mauerfuge hineinströmenden Kaltluft gierig in seine Lungen sog, um den verbrauchten Teil seines Odems kurz darauf wieder in die Halbstille des Saals zu entlassen.

Der Schwindel, der Taumel des Sieges war vergangen oder verblasste zumindest genug um die Sicht auf das freizugeben, was blieb. Trotz aller Bescheidenheit fühlte Yngvar das Wachstum, dass er durchlaufen war. Dieser eine Punkt im Zeitgeschehen Amhrans hatte ihn so viel größer werden lassen als er vorher war, wenngleich das auch bedeutete, dass die Verantwortung und der Anspruch wachsen würden. Es war die Randnotiz eines Mannes, der das Gefühl hatte einen Sprint hingelegt zu haben, während er sonst gemächlich auf seinem Pfad gegangen war. Nun, einige Tage später, war die Klinge der Gewalt des Wortes gewichen. Er hatte die Reaktion des Oberleutnants der Wache beobachtet, die Anerkennung darob, dass er das Unwesen ins Feuer gestossen hatte, genau wie die Reaktion des einfältigen Mädchens in der Kirche, die ihn auf die Erzählung hin einen Dämonenjäger nannte. Große Namen bargen große Verantwortung. Und der Novize wusste, dass er die Verantwortung derartiger Titulaturen noch nicht schultern konnte. Noch nicht. Denn wenn Leute ihn Drachentöter oder Dämonenjäger hießen, zwang man auch ihn, sich damit zu beschäftigen, ob diese Bezeichnungen nicht in ferner Zukunft für ihn zur Realität werden konnten. Irgendwann, vielleicht. Es galt zunächst, derlei weder zu begünstigen, noch zu verbreiten. Geduld. Und wieder die Mühle.

Sie war, obschon sie Vergangenheit war, weiter von Relevanz. Die Ereignisse folgten ihm in seinen Geist, nicht nur als Träume, sondern auch bei Tag. Es war jedoch nicht der Schrecken der Schemen, der in ihm hinaufkroch, so wie er es bei Gnaden Teran beobachtete und für die er nichts als Mitgefühl aufgrund ihrer vielfältigen Entrückung übrig hatte, sondern vor allem war es das Licht und diese unendliche Erfüllung mit Klarheit, dass ihn immer wieder heimsuchte. Bisweilen beschlich den Novizen das Gefühl, dass die Welt sich ihm wie eine flache Ebene präsentierte, in der jede einzelne Seele nur ein winziger Faden war, der aus dem Webstock der Welt hinausragte. Es war diese Kühle, die gleich der Nachtluft über sein Gesicht strich und ihn in einen Zustand der tiefen Sicherheit und Einkehr versetzte.

Es hätte ihn vermutlich verunsichert, wenn es nicht aufgetreten wäre, seit er den Schattendrachen ins Feuer des Herrn gestoßen hatte. Der Umstand jedoch, dass er es damit assoziieren konnte, veränderte die Situation. Es war nicht Furcht, die den Novizen umtrieb, sondern Erklärungsnot. Er war erfüllt, wo er vorher keine Lücke vernommen hatte, wenngleich er sich sicher war dass eine Leere entstehen würde, würde das Gefühl verblassen. Erneut ein Ausatmen, diesmal schwermütiger, gefolgt von der Frage ob er der Erzpriesterin, der er sich anvertraut hatte, auch hätte erzählen sollen, dass ihn das gleiche Gefühl nicht nur an den heiligen Orten des Mithras beschlich, sondern auch wenn er den Willen Mithras' mit dem Schwert vollbrachte. Sein Schwert. Ein kurzer Moment der Panik wallte auf und der Novize griff nach dem Waffengurt an der Seite seines Bettes und überprüfte mit raschen Handgriffen ob es noch da war. Und das war es. Natürlich.

Er betrachtete die Klinge im Mondlicht, mit ihrem silbrig schönen Glanz, der ihr alle Einfältigkeit nahm und sie nobel und wundervoll wirken ließ. Mit der freien Hand fuhren seine Finger die Klinge in Länge und Form nach, während er den Stahl versonnen und friedlich ansah. Knarzend gab das Bett wenige Augenblicke später den Körper des Novizen frei, der mit erneut wenigen weiteren Handgriffen ein sauberes Leinentuch aus seiner Feldkiste geholt hatte und die Klinge nun darin einschlug, sie förmlich bettete und sie, nachdem er sich selber wieder ins Bett gelegt hatte, in seine Armbeuge schlang und erleichtert ausatmete. Sie waren im Angesicht der Dunkelheit aneinandergeschmiedet worden. Sie teilten ihre Erlebnisse nun einander und die Klinge war nicht mehr nur bloßer Stahl, nicht mehr nur ein Werkzeug. Sie war ein Augenzeuge, ein lebendes Ding, wenngleich seelenlos, dass ihn nicht fehlen würde. Niemals.

Der Novize schlief daraufhin den Rest der Nacht bis zur Weckzeit durch. Das erste mal seit der Reinigung.

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Yngvar - von Gast - 21.12.2015, 22:09
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