FSK-18 Yngvar
#5
Des einen Pfades Ende.

Die Nacht war in den Tagen der Anwartschaft Yngvar Steins ein steter Begleiter geworden, in diesen Tagen, die so voller Greuel und Monstrositäten waren, die der heiligen Mutter Kirche aus allen Richtungen drohten. Die stetigen Nachtwachen hatten den Schlaf der gewohnheitsmäßig zu diesen Zeiten anstand nach und nach zu einem obskuren Ding werden lassen, dessen Nähe man nur suchte, wenn es ausnahmsweise keine Order der Legion zu erfüllen gab. Der eigene Körper war zu einem willigen Gefäß geworden, dass sich zu allen Tageszeiten mit den Befehlen der Legion füllen ließ.

Nur in dieser Nacht nicht. Yngvar hätte schlafen können, die Ruhe finden, die er in den letzten Tagen nicht bekam und auch beinahe nicht mehr wusste, wie sich ein entspannter Körper anfühlte. Er hatte sich seit seiner Einkehr in die Legion selten so gefühlt wie in dieser Nacht, in der seine Gedanken den Schlaf- und Wachzyklus vorgaben und ihm die wohlverdiente Ruhe versagten, solange sie in seinem Kopf Debatten zu führen pflegten. Das Pochen dieses innerlichen Aufbegehrens wurde bereits nach nicht einmal einem Stundenlauf so stark, dass der Anwärter sich wieder Kleidung anzog und die Hallen des Tempels verließ – ohne dabei die Schärpe oder sonst ein Erkennungszeichen der Legion anzulegen. Eylis hatte ihm ins Gedächtnis rufen wollen, wie sehr es wichtig war zu verstehen, was man schützte und so sicher er sich auch war, dass es keinen Weg zurück auf dem goldweißen Pfad von Mithras gab, so sehr beschäftigten ihn die Worte der bisweilen stocksteifen Legionärin doch. Viele mochten ihr das Stocksteife als Nachteil auslegen, doch hatte ihre Steifheit bislang vor allem auch bedeutet, dass sie so viel Kreuz wie zwei Männer zeigen konnte, wenn es drauf ankam. Eine kluge Anführerin, deren Worte man, vor allem als Anwärter nicht, einfach so in den Wind schlagen durfte.

Und so fand sich Yngvar recht schnell in den heruntergekommenen Straßen des Armenviertels wieder und beobachtete aus einer dunklen Ecke heraus das Treiben in der Katz'. Das Ein- und Ausgehen der Kundschaft, den warmen und auf den ersten Blick einladend erscheinenden Lichtschein des Hauses, dass aus dem Dreck des Viertels wie ein Fixpunkt ragte. Es war nicht so, dass die Neugier den Anwärter nicht doch lockte, zumal er über genügend Handgeld verfügte. Ein Umstand, der seinen Oberen zwar besser verborgen blieb, bislang aber auch nie zu deren Nachteil gewesen war, da seine Ausgaben bislang ohnehin nie dem Eigennutz gegolten hatten. „Heute Abend könnte es anders sein..“ waren die Gedanken, die sich ihm manifestierten. Es war klar, dass es hier nicht nur um Gesaufe oder Spielerei ginge. Wenn er dieses Haus betreten würde, würde er zweifelsohne jede einzelne Münze für die beste (und vor allem sauberste!) Hure auf den Kopf hauen, die er finden konnte und Stunde um Stunde nachlegen, als sei sie eine Opferschale, die man nur mit Münzen befüllen muss. Ein interessanter Gedanke, sich das Laster noch einmal in all seiner ausgeschmückten Schönheit anzusehen – zu „leben“, bevor die Zeit der Entbehrungen wirklich begann.

Etwas hielt den Anwärter jedoch zurück, etwas dass an ihm zog – nicht wie dieser kleine lustvolle Dorn, der ihm einflüsterte, dass an den Schenkeln einer Hure schon nichts schlimmes sei - „Nur das eine mal..“ würde er sich später erinnern – nein, das was an ihm zog war wie eine sanfte und bestimmende Hand zugleich, die ihn dazu brachte, sich unwillkürlich über den Arm zu reiben, als hätte sich dort ein Juckreiz breitgemacht. Als hätte dieses Jucken ihn wie ein Fallseil aus den Verlockungen zurück in seinen statuengleichen Panzer katapuliert, den er sonst zur Schau trug, wurde ihm erst auf den zweiten Blick, ohne die Brille derer die sich in perspektivloser Selbstverachtung in die Arme von Suff und Hurerei begaben, klar wie tief verdorben dieser Ort war. Yngvar wurde schlecht bei dem Gedanken dass er beinahe den Verlockungen nachgegeben hatte und milde taumelnd, man hätte ihn für betrunken halten können, suchte er geschwind den Weg hinaus aus dem düstersten Viertel der Stadt und je näher er den ordentlichen Vierteln kam, umso leichter bekam er wieder Luft und vermochte es, die Übelkeit herunterzukämpfen. Der Kommentar eines unbekannten Gesichts in der Dunkelheit, dass ihn mit „Na, einen zuviel gehabt, Jungchen?“ ansprach, ließ ihn kurz panisch werden und seine Schritte beschleunigten sich und erst als die ehernen Mauern des Tempels sich vor seinen Augen erhoben, fand er den inneren Frieden wieder, an dem er so intensiv in den vergangenen Wochen gearbeitet hatte und betrachtete die Tempelmauern nun vom Marktplatzbrunnen aus in beinahe versonnener Manier. Yngvar fragte sich vor allem, ob Ehrwürden Eylis genau das bezweckt hatte.

Die Konfrontation mit dem Laster suchen und obsiegen? War das die Lehre, die sie für ihn ersonnen hatte? Ihre Ehrwürden meinte selten das, was sich auf den ersten Blick offenbarte, sondern drängte in aller Regel auf eine tiefere Wahrheit, die unter dem Offensichtlichen lag. Wie auch immer ihre Intention gewesen war, er vermochte es nun, klarer zu sehen. Er musste keine Hure nehmen, um zu wissen, dass all die Menschen in dieser Welt irgendwann damit begannen, sich ungenügend und fehlerhaft zu verhalten und es nur die Führung der heiligen Kirche sein konnte, die ihre schützende Mauer um die Menschenschöpfung gleich einer zarten Blume schließen musste, auf dass sie in den gepflegten Gärten des Einen zu voller Schönheit erblühe und nicht auf den Äckern von Laster und Greuel zu welken und dorren drohte.

Düster, gar bösartig waren die Laster, die dem Menschen einflüsterten, dass sie eine adäquate Antwort auf die eigene Fehlbarkeit sein würden – in dieser Nacht jedoch, hatten sie nicht triumphiert.

[Bild: 014-allegorie-der-wolllust.jpg]
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Yngvar - von Gast - 21.12.2015, 22:09
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