FSK-18 Yngvar
#3
Das Feuer

Oft sind es die kleinen Momente, die uns weitaus mehr lehren als jene, die groß und zeremoniell begangen werden. Der Anwärter hatte gehofft und wurde darin bestätigt, dass der Tag der Lichtwacht auch der sein sollte, an dem die Novizin Eylis zur Legionärin Eylis berufen wurde – berufen in der dunkelsten und längsten Nacht, die ein Leben unter Mithras kennen sollte. Unter dem Feuer eines Scheiterhaufens, der auch die letzten Sonnenstrahlen unter des einen Herren Wacht in sich aufnahm um das Feuer noch höher lodern zu lassen, war es die wohl höchste Ehre, die ein Sonnenlegionär an diesem Tag empfangen konnte.

Das Feuer hingegen, beeindruckte auf seine ganz eigene Weise indem es, einmal heraufbeschworen, wie ein flammender König vereinnahmend über den Platz zu herrschen begann. Zwar zelebrierte die Kirche ihre Riten, jedoch und vor allem auch bestärkt durch das Feuer. Aber – der vermutlich wichtigste Punkt – das Feuer war das Zentrum des Abends. Es war die eine unverschlingbare Bastion gegen das Dunkel, dass keinen Leib und keine Form kannte, unantastbar für Klinge noch Pfeil. Noch viele Stunden in dieser Nacht würden sich die Flammen im wachsamen Blick des Anwärters spiegeln und ihn schleichend, Stunde um Stunde, mehr für sich vereinnahmen. Indem sie Gnade und Güte zeigte und dem Anwärter die ersten Stunden noch Wärme in seiner Wacht schenkte, offenbarte sie jedoch auch Stunde um Stunde mehr die verbrannten Reste dessen was einst noch schadloses Holz gewesen war, als wolle es zeigen:“Sieh her, dieser Ort ist mein. Hier herrsche ich und hier verschlinge ich, was mir zu nahe kommt.“

Und obschon man es nichts geringeres als „Verschlingen“ nennen konnte, gab die Flamme auch, für alles was sie nahm. Nicht nur, dass sie, getrieben durch Opfer und Brennholz Wärme gab, nein sie veränderte auch all jene Dinge, aus denen sie Wärme und Feuer hervorbrachte. Es war dieser Widerstreit aus Güte und Zerstörung, die des Anwärters Blick immer wieder ins Feuer zog und ob der zornesgleichen Glut wieder den Blick auf die Welt daneben und dahinter wieder von sich wegschob. Die Welt daneben und hinter – sie war ein Statist geworden in der wundervollen Feuersbrunst, die erst in einem Jahreslauf von diesem Tag an wieder so hoch brennen würde. Diese Erkenntnis widerum rief urplötzlich ein Gefühl der Traurigkeit und der Verlustangst aus, als sei es grundverkehrt, dass Feuer erlöschen zu lassen. Der Nortgarder begann sich bei dem Gedanken zu ertappen, wieviele Bäume man wohl fällen müsste, um das Feuer stoisch bis zur nächsten Lichtwacht brennen zu lassen. Was für ein glorreicher Tribut an Mithras ein derartiges Feuer wäre!

Als er diesen Gedanken immer tiefer in das Labyrinth der flammenden Wohltat folgte, fühlte der Anwärter sich mehr als einmal im Tanz der Flammen einem Taumel nahekommen, der Verlockung des Feuers nicht mehr wiederstehen könnend, dieser sagenhaften Glut, die so wundervoll brannte, als wäre sie aus Mithras' Adern direkt in die Welt hineingetropft und all' jenen die Willens waren, die Last der Erkenntnis zu tragen, die Glorie seiner rotgoldenen Macht offenbarte. Die Welt war nicht mehr nur in den Hintergrund getreten, sie verschwand vollständig und bestand für die Momente dieses heraufziehenden Taumels nur aus Feuer und Glut. Es war ein wundervoller Tanz, voller Schönheit und Anmut. Schöner und verzückender als jeder Frauenleib es je sein würde und einzigartig rein in seiner Form und seinem Zweck. Es gab nichts ehrlicheres, nichts erstrebenswerteres als die Flamme, dieses reinigende, wundervolle Feuer, dass allen Makel aus der Welt brennen konnte. Es war Krieg und Frieden, Mittellosigkeit und Wohlstand, Freude und Trauer – das Feuer war alles zugleich und es war darin vor allem eines: Absolut vollkommen.

Umso plötzlicher verging der Taumel, als der Blick des Anwärters durch einen vorbeiziehenden Passanten nicht mehr nur vom Feuer fremder Verlockungen erfüllt wurde, sondern vom Hier- und Jetzt gleichsam durchmischt wurde. „Zu früh ...“ murmelte der Anwärter gedankenverloren und ungehalten zu sich selbst, wie auch zur Irritiation des vorbeiziehenden Mannes, der ihn daraufhin anblickte und möglicherweise einen Schritt schneller nach Hause eilte.

So verging die Nacht darob weitgehend ereignislos, wenngleich dem Anwärter die Erinnerung wie ein Brandmal im Kopf bleiben würde, dass niemals unberührt zurückkehrte, wer sich dem Flammenmeer, das Mithras bedeutete, bereitwillig hingab.

[Bild: man-142491_1280.jpg]
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Yngvar - von Gast - 21.12.2015, 22:09
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