FSK-18 Familiengeheimnisse
#3
[Bild: jr2o-34-a8c4.jpg]

In der Diele war es angenehm kühl. Das war der Vorteil an den Häusern Servanos, mit den dicken Steinwänden. Wenn man dafür sorgte, dass die Hitze draußen blieb, konnte man sich in das angenehme Innere zurückziehen. Aber wehe, man ließ durch ein vergessenes Fenster oder eine stetig offene Türe die Wärme herein, dann hielt sie sich mitunter Wochenlang in dem Gemäuer und machte den Schlaf in den Nächten zunichte. Hinter den Eintretenden wurden die Pferde abgeschirrt und in die Stallungen geführt, während andere sich gegen die große Kutsche stemmten um diese im Kutschenhaus unterzustellen.

Wie selbstverständlich hatte die Edle Burgwald das Mädchen an die Hand genommen. Ein Umstand den nicht nur die Kleine verwirrte, sondern auch Herron, auf dessen Stirn sich in jenem Moment Sorgenfalten bildeten. Offenbar war so ein inniges Verhalten dann doch unüblich. Sie schritten den abgedunkelten Flur entlang und die groben, hölzernen Bohlen knarrten unter den Schritten des kleinen Trupps. Sie passierten die Tür zum grünen Salon, welche heute verschlossen war. Hinter jener hörte sie das leise Murmeln einer angeregten Unterhaltung, die ihre Mutter mit dem Gast führte, der bereits gestern angereist war.

Vor der nächsten verschlossenen Eichentüre blieben sie dann stehen und sahen abwartend zu Herron.
„Edle Dame Burgwald, ich habe bereits angeordnet, dass man die Kleider bereit legt. Sie warten auf euch im Terassenzimmer, nebst einer Erfrischung, die euch sicherlich sehr zusagt nach eurer langen Reise.“ Erwiderte jener sogleich, als er sämtliche Blicke auf sich spürte. Er wirkte wieder ruhig und gelassen wie eh und je. Jene Art von Ruhe, die hin und wieder kalt und unbeteiligt, aber höflich distanziert wirkte. Die Edle lächelte ihm zu und nickte anerkennend. Er drückte die schwere Bronzeklinke herunter und öffnete ihr einladend Den Eingang zu dem Raume. Das Kind an der Hand schritt sie auf ihre anmutige, stolze Art hinein und wartete, bis er die Tür wieder hinter ihr verschloss.

Einen Wimpernschlag später, als das leise metallische Klicken des Türschlosses die Stille durchklang, sackte sie seufzend in sich zusammen und schloss die Augen. Das Mädchen sah fasziniert zu ihr auf. All‘ die Würde und kühle Arroganz schien aus ihren Armen und Beinen herauszufließen und sie stand für eine Weile schlaff und schweigend da, ohne die Hand von der Kleinen zu lösen. Auf einmal wirkte sie so zart und zerbrechlich wie ein trockener Strohhalm im Wind. In dem Licht, welches durch den Spalt der Vorhänge in das Zimmer fiel, wirkte die helle Haut nahezu durchscheinend und dünn wie das weiße Porzellan der geliebten Teetassen ihrer Mutter. Doch wirkte sie auf eigentümliche Art und Weise entspannt, als hätte sie eine schwere Last abgeben und sich befreit. Die Kleine besann sich ihrer Instruktionen und holte tief Luft, ehe sie mit ihrer leisen, glockenhellen Kinderstimme anhob:
„Seid ihr durstig Edle?“

Ein Regen ging durch den schlanken Körper und zitternd hoben sich die Lider mit den langen Wimpern. Das Leuchten in ihnen war geblieben, hatte sich gar verstärkt und doch lag noch etwas ganz anderes in ihnen. Erleichterung, Glückseligkeit und…? Das Mädchen wusste es nicht zu deuten. Es entzog sich ihrem jungen Sinn und all‘ jener Worte, die sie kannte…und dabei war ihr Gedächtnis tatsächlich überdurchschnittlich ausgeprägt. Die feinen Züge der Frau änderten sich, und die Lippen verzogen sich zu einem ehrlichen, herzlichen Lächeln. Dem ersten an diesem Tag, wie sie wohl selbst registrierte, denn plötzlich kicherte sie mädchenhaft auf. „Weißt Du, jetzt wo wir alleine sind und unter uns…nenne mich doch bitte Fynia.“ Nun endlich gab sie das kleine Händchen frei und strich mit der Rückseite ihrer Finger sachte über die Wange des Mädchen. „Danke mein hübsches Kind, meine Kehle ist in der Tat wie ausgedörrt nach den vielen Stunden der Reise.“ Brav nickte die Kleine und lief eilig zu dem kunstvoll geschnitzten Beistelltisch, auf dem Gläser, ein Zinnkrug mit gekühlter Molke und einer mit frischem Birnensaft bereitstanden. „Edl…ich meine Fynia, was darf es denn für euch sein?“ Der Blick der Angesprochenen wanderte zu ihr hinüber und die feinen, geschwungenen Brauen hoben sich einen Deut. „Ach wie Schade, kein Wein?“ Das Kind schüttelte zögerlich das Haupte. „Aber ich kann erfragen, ob man nicht…“ Fynia hob abwehrend die rechte Hand um sie zum Schweigen zu bringen. „Nein…nein, schon gut. Ich nehme ein Glas von dem Saft. Ich genieße es ganz und gar, niemanden von den Speichelleckern um mich zu wissen, die tagein und tagaus um mich herum dienern und sich anbiedern.“ Sie gestikulierte mit den Händen in der Luft. „Sie buckeln und kauern, lassen mir kaum Luft zum atmen. Sie sonnen sich in einem Namen, der nur auf dem Papier existiert und das nur um eigene Pläne zu verfolgen. Sie lauern auf die Fehltritte, auf die Angst in den Augen und auf ein falsches Wort, nur um dann endlich die ewig bereitliegenden, gewetzten Dolche in den Rücken zu rammen!“ Noch während sie sich in Rage redete, nahm sie dem erschrocken dreinblickendem Mädchen das Glas aus der Hand, nur um jenes sogleich mit einem einzigen Schluck herunterzustürzen. Die Frau in dem teuren Zwirn, die noch eben wirkte wie eine zerbrechliche, hübsche Puppe zeigte die menschlichen Züge eines Jedermanns.
Ein seit einigen Jahren fürsorglich gehegtes Weltbild in dem Mädchen zerbrach. In den Gute-Nacht-Geschichten ihrer Mutter, waren die edlen Damen stets altruistisch, schön und weise. Sie fielen nie aus ihrer Fasson oder redeten daher wie ein Marktweib an einem Quelltagnachmittag. Sie verspürten nie Zorn, waren ihrer Rolle niemals leid und alle mochten sie sogar weit über die Grenzen der Lehen hinaus. Sie tat das, was vermutlich alle kleinen Mädchen in dieser Situation tun würden.

Sie zog eine Schnute.
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Familiengeheimnisse - von Carmelina Tartsonis - 09.07.2015, 18:43
RE: Familiengeheimnisse - von Carmelina Tartsonis - 11.08.2015, 18:22



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