Auf die Nortgarder Art
#4
Was auch immer heut am ehemaligen Falkenhof vor sich ging, es zog die Botenjungen an wie die Fliegen. Hier und da verschwanden sie in dem Anwesen wie Honigbienen in ihren Stock, um die mühsam gesammelten Pollen zu ihrer Königin zu bringen, und kamen dann wenig später mit Briefen in den Taschen wieder heraus. Es trieb sie nach Löwenstein und gar musste ein armer Tropf bis nach Rabenstein reiten. Und das alles ging von der Frau aus, die den ganzen Morgen schon durch die Baronie fegte, als erwarte sie heute noch den Truchsess zur Sauberkeitsabnahme.
Angefangen hatte sie schon des Nachts. An Schlaf war nicht zu denken, so zog sie sich ihre Jagdkluft über, spannte eine ganz neue Sehne in ihren Langbogen, welchem sie gar heimlich einen Namen gegeben hatte. Immerhin war er ein Geschenk. Ihr wichtigster Besitz. Und so zog sie durch Südwald, hielt die übermütigen Wölfe von den Gattern und Koppeln fern, konnte sogar einen Schwarzbären mit ihren langen Pfeilen zurück in den Flüsterwald treiben. Immer wieder kamen diese eigentlich wundervollen Raubtiere herauf. Warum auch nicht? Die Höfe Südwald versprachen Futter auf dem Silbertablett serviert. Es brauchte wirklich einen Wildhüter, spätestens wenn sie selbst wieder fort ging. Die Nortgarderin war unterwegs bis sich die ersten Sonnenstrahlen über das Zentralmassiv stahlen. Die Luft war so früh am morgen schneidend kalt und färbte ihr sonst so blasses Gesicht rosig-rot. Es fühlte sich fast ein wenig wie Heimat an. Ein gutes Gefühl. Es betäubte ihre Mimik und es gab nichts nervenberuhigenderes als ihr Gesicht wenn niemand darin lesen konnten. Lediglich ihre Augen verrieten den innerlichen Blizzard, der ihre Gefühlswelt völlig zerstört, betäubt und gefroren zurückließ. Der kühle Hauch der zwischen den Bäumen hindurch wehte, brauchte das lange, blonde Haar reichlich durcheinander und einzelne, wellige Strähnen hingen ihr ins Gesicht, als sie sich auf den Heimweg machte.
Daheim angekommen sah sie sich auf ihrem totenstillen Hof um. Es war einsam hier unten, so nahe am Flüsterwald. Sie hatte noch nicht einmal Vieh, welches die Geräuschkulisse etwas hätte aufwerten und lebendiger hätte gestalten können. Wenn sie bliebe, müsste sie das ändern.
Das erste was in ihrem Heim geschah war das Aufflammen verschiedener Kerzen und das Anheizen ihres Ofens. Sie zog sich bis aufs Letzte aus und stand einfach nur da in ihrer kleinen Schlafkammer. Ihre Haut reagierte recht schnell auf die kalte Luft. Sie fror und begann zu zittern und doch blieb sie stehen und starrte in den Spiegel. Da war etwas dunkler Dreck an ihrem Kinn und der Verband an ihren Arm hatte einen Wechsel nötig. Ihr langer, dünner Körper bebte als die Kälte immer wieder ihre haut kitzelte und sie daran erinnerte, sich doch etwas anzuziehen. Doch sie war wie gefesselt von ihrem Ebenbild. Es war keine Arroganz oder Selbstverliebtheit. Es war das bekannte Entsetzen. Sie war dünner geworden. Hob sie die Arme sah man deutlich ihre Rippen unter der Haut. Niemals war sie drall oder muskulös gewesen. Stets feingliedrig und schmal und sie hasste es. genau wie das Muster an Narben, das sich über ihren Körper zog. Den Baron hatte es nie gestört. So sagte er zumindest. Sie schämte sich trotz allem. Wer könnte das hier schon lieben oder gar begehrenswert finden? genau das war der Grund gewesen, warum sie Männer abstieß. Sie schätzten nicht ihre Klugheit und Umgangsformen. Sie schätzten schöne Brüste, breite Becken und rosige Haut. Nichts davon war Helga zueigen. Sie konnte sich schließlich doch losreißen. Es war ein Kampf, fühlte sie sich doch so elendig kraftlos. Der Tag war jung und sie hatte viel zutun. Sie zwang sich zur Bewegung. Jeder kleine Akt des Ankleidens war eine Qual. Ihre Muskeln brannten und die Winterkälte machte sie müde. Schlussendlich setzte sich sich angekleidet an ihren Schreibtisch, ebenso ein besonderes Geschenk und schrieb etliche Briefe und bestellte ebenso viele Bote.
Ein Brief kostete sie besonders viel Zeit. Es war der wichtigste und sie dachte nichteinmal nach beim Schreiben. Die Worte kamen wie von allein und formten eine Nachricht, die mehr emotionales Gewicht hatte, als man es dem hübschen Briefpapier zutrauen würde.
Es ging langsam auf die Mittagszeit zu als sie selbst sich mit mehreren Briefen auf den Weg machte. Ihre Schritte führten sie, dick eingepackt, hin zum Großbauernhof. Sie betrat das Haus leise wie ein Mäuschen. Schloss nicht mal gänzlich die Türe um ja keine Geräusche zu machen. Sie schlich sich hinauf und legte die Korrespondenzen auf Serbitars Schreibtisch. Ein gesiegelter Brief ohne Beschriftung wurde besonders präsent auf dem Tisch platziert. Dieser war der wichtigste. Dieser Brief entschied ihre Zukunft. Kurz noch wägte sie ab ob es richtig war. Ob sie alles geschrieben hatte, was sie eigentlich hätte sagen wollen. Dann verschwand sie eilig wieder. Und den Rest des Tages sah man sie nicht mehr, beinahe als verstecke sie sich vor dem was da kommen möge.
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Auf die Nortgarder Art - von Helga Bjarnifjord - 08.07.2015, 12:03
RE: Auf die Nortgarder Art - von Helga Bjarnifjord - 22.01.2016, 13:55



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