FSK-18 Mein eigenes endloses Weiß
#3
Sie öffnete langsam ihre Augen und erkannte sofort, dass sie schlief und träumte.
Doch konnte ihr diese Erkenntnis, keinen Frieden schenken. Weniger als ein
Lidschlag genügte ihr, um zu erkennen, welcher Traum zurückgekehrt war, um sie
zu quälen. Der Himmel trug die ihr bekannte Farbe von Veilchen, doch der gesamte
Himmel leuchtete in einem Licht das Schmerzen durch ihren Kopf schießen lies. Ein
Schmerz, als würde man seinen kleinen Zeh mehrfach und voll Elan gegen eine
Möbelkante treten. Alleine die Augen geöffnet zu halten, verlangte ihr viel ab. Doch
war es kein Vergleich mit der Luft, nicht nur, dass man durch sie hinweg kaum
etwas sehen konnte. Sie hatte eine Geleeartige, rauchige Konsistenz und ließ sich
ungefähr so gut atmen wie Wasser. Das Schlimmste aber, war der Geruch. Es roch
nach Verwesung, Tod und dem Bösen. Ein Geruch so intensiv, dass sich ihr der
Mangen umdrehte, so intensiv, dass man unter keinen Umständen noch durch die
Nase atmen wollen würde. Ein Geruch so intensiv, dass man ihn auf der Zunge
schmeckte, wenn man nur daran dachte, durch den Mund zu atmen. Sie hielt sich
die Hand vor den Mund und mit dem Gefühl, jederzeit ihren Mageninhalt zu
verlieren, wurde sie auch dem Rest dieser Welt gewahr. Ana stand auf einem
kreisrunden Platz, von welchem nur eine Straße wegführte. Der Platz war umgeben
von seltsam verdrehten Gebäuden, zumindest hielt sie es für Gebäude, die sich bis
in den Himmel erstrecken und den Eindruck machten, als wären sie es, was den
Himmel an seinem Platz halte. Neben ihr befand sich ein Brunnen der eine
dampfende Flüssigkeit von roter Farbe über eindrucksvolle Fontänen in die Luft
ergoss. An diesem Punkt des Platzes war der metallische Geruch so stark, dass sie
keinen Zweifel daran hatte, was diesen Brunnen füllte. Die Häuser und der Brunnen
waren aus einem ihr unbekannten Material geschaffen, es wirke wie schwarzer
Marmor.

Kalte Schauer liefen ihr den Rücken herab und sie spürte, wie Panik langsam von
ihr Besitz ergriff. Sie wollte diesen Ort einfach verlassen. Mühsam bewegte sie sich
auf die Straße zu, denn mit jedem ihrer Schritte trat sie ein eine klebrige Substanz
auf dem Boden, die wie großflächiges verteiltes Kaugummi, ihre Füße mit einem
schmatzenden, quälenden Geräusch fest hallten wollte. Sie hatte nicht einmal vor
zu wissen, welche Art von menschlichen Teilen da unter ihren Füßen am Verwesen
war und sie wagte es auch nicht hinabzublicken.

Anastasia hatte die Straße beinahe erreicht, da tauchte in einer Entfernung vor ihr
eine Frau auf, sie konnte diese bei bestem Willen nicht erkennen, als würde ihr
Verstand sich weigern, das Bild der Frau zu vervollständigen. Zusammen mit der
Frau, erklang das Geräusch von klirrenden Ketten und ein eiskalter, unheilvoller
Wind begann ihre Haut zu streicheln. Sie versuchte den Ursprung des Geräusches
auszumachen und erst jetzt vielen sie ihr auf, oder vielleicht waren sie auch vorher
nicht dort. Aus dem Himmel selbst hingen schwere schmiedeeiserner Ketten, wie
von der Decke eines Schlachthauses. Aufgehängt an den Hacken hingen eindeutig
menschliche Körper, ohne erkennbares Muster mit einer Kette, mit zwei Ketten, an
Schlüsselbein, oder Hüfte hingen sie dort und bewegten sich synchron im eiskalten
Wind, als wollte er die Leichen in ihren ewigen, endlosen Schlaf wiegen.

Mit jedem Moment, denn sie an diesem Ort verbrachte, nahm das flaue Gefühl in
ihrem Magen zu. Sie schloss ihre Augen und mit aller Gewalt wollte sie sich selbst
zum Aufwachen zwingen, doch war dies ein vergeblicher Kampf. Dann drangen von
irgendwo her zwei vertraute Stimmen an ihr Ohr, es klang wie ein leises Flüstern,
als würde jemand versuchen durch mehrere Räume hinweg in Zimmerlautstärke
miteinander zu reden. Dennoch konnte sie die Stimmen klar erkennen. Sie öffnete
die Augen wieder und hinter der Frau, die sie noch immer nicht erkennen konnte,
sah sie gut einige Hundert Meter voneinander entfernt Thalia und Avi stehen. Ihr
Instinkt flüsterte ihr ein, sie müsse umgehend zu den beiden gelangen, aber drei
schneidende Worte erfüllten die Luft und im selben Moment, in welchem sie an ihr
Ohr drangen, hatte sie die Worte auch wieder vergessen. Das Ergebnis jedoch, eine
Wand aus Dornenranken, war zu einem Hindernis zwischen Thalia, Avi und ihr
geworden, das unüberwindbar schien. Die Ranken selbst machten keinen
besonderen Eindruck, aber die Dornen waren deutlich großer, als bei gewöhnlichen
Pflanzen und eine jede davon, machte den Eindruck, schärfer zu sein, als die
meisten Barbiermesser.

Die Frau schien ihr durch die Dornenranken zuzulächeln, dann drehte sie sich
herum. Es waren immer drei Worte, welche klar die Luft durchschnitten und obwohl
Ana die Worte jedes Mal vergessen hatte, wenn sie an ihr Ohr drangen, wusste sie
doch jedes Mal um die Wirkung. Sie hatte jeden einzelnen dieser Zauber in ihrem
Thesenbüchlein notiert. Sie hatte sich die meisten dieser Zauber als Spielerei
ausgedacht, um die Grenzen der Selvetik zu überprüfen. Ein Zauber, der in dem
Opfer unsagbare Schmerzen verursachte, war das Erste, was die Frau auf Avi und
Thalia sprach. Ana hatte diesen Zauber liebevoll „Folterfluch“ genannt. Aber die
Formel entglitt ihr jedes Mal aufs Neue, doch nicht nur diese, auch jede andere
Formel entglitt ihr. Sie wusste, dass nur 3 Worte nötig waren, Avi und Thalia zu
retten, aber die einzige Waffe, die sie imstande war zu führen, wurde ihr
genommen und gerade gegen sie eingesetzt.

Wenn sie nur zu Thalia und Avi kommen könnte, dann könnte sie all dies beenden,
dessen war sie sich sicher und so lief sie in panischer Verzweiflung auf die Dornen zu.
Die Wand aus Dornen, für diesen Zauber hatte Ana sich überlegt, wie
unglaublich praktisch es wäre, wenn ein Zauber die Effekte einer Klinge und eines
Spinnennetzes vereinen würde. Ihre Lösung war die Wand aus Dornen gewesen, ein
Zauber, der das Opfer welches in die Ranken laufen würde, nie wieder freigeben
sollte, bis es sich selbst die Haut von den Knochen geschält hätte. Ein Zauber, der
zumindest in dieser Traumwelt von grausiger Effizienz zeugte. Denn mit jedem
Griff, jeder Bewegung tiefer in die Ranken, spürte sie wie die Dornen ihr tief in
Haut und Fleisch schnitten. Ana war nicht einmal klar, dass sie vor Schmerzen
schrie, bis sie ihre eigene Stimme deutlich hören konnte.

Mit jedem qualvollen Atemzug füllte die seltsame Luft dieses Orts ihre Lungen
weiter an und irgendwann war sie zu kraftlos um mit den blutverschmieren Händen
noch nach den Ranken zu greifen, in welchen sie tief verfangen war. Sie sah wie
Avinia und Thalia versuchten, statt zu ihr, zueinander zu gelangen. Sie könnte sie
retten, sie könnte das alles hier beenden, aber statt zu ihr zu kommen, waren die
beiden dabei einen gemeinsamen Tod zu wählen, anstatt sich zusammen mit ihr für
das Leben zu entscheiden. Wieder durchschnitten drei klare Worte die Szenerie,
wieder war ihr der Zauber wohl bekannt. Brennendes Blut, ein Name der ebenso
erschreckend, wie wahrheitsgetreu war. Sie spürte, wie Tränen ihre Wangen
herunter rannen, den ihr war klar, dass dieser Zauber im Tod endete und ihr war
ebenso klar, dass wenn sie das nächste Mal die Augen schließen würde, zwei
weitere grausige Avi und Thalia Leichen aus dem Himmel hängen würden.

Doch bevor sie wieder den Tod der beiden Frauen mit ansehen musste, war
plötzlich das Einzige was ihre Augen sahen Dunkelheit und ein Gesicht, das ihr
entgegen blickte. Der Geruch war dem von süßem Tee und morschem Holz
gewichen. Der Schmerz war verschwunden und sie spürte nur die angenehme
Wärme von Avi und Avis Lippen, die einen vorsichtigen Kuss auf Anas legten.

Wie versprochen, hatte Avi sie aus dem Traum geweckt, aber richtigen Schlaf,
würde Ana auch diese Nacht nicht mehr finden. Als sie ihre Augen wieder schloss,
erinnerte sie sich daran, wie ihre Großmutter immer sagte, dass jeder Ort an den
wir in unseren Träumen reisen, einen Teil unserer Seele widerspiegelt. Weshalb
sich die Orte wandeln und verändern und weshalb wir je nach Gemütszustand an
andere Orte reisen. Ana hoffte so sehr, dass es keinen Teil ihrer Seele gab, der
wirklich so finster war.

Insgeheim hoffte sie, dass der Fluch von Rabenfeld vielleicht doch nicht das
lächerliche Gerücht war, für das sie ihn gehalten hatte…
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RE: Mein eigenes endloses Weiß - von Anastasia Edelfelt - 04.09.2015, 03:31



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