Ravinsthaler Nächte sind lang...
#2
Er verschmierte die einzelnen Blutstropfen an den Fingerkuppen seiner linken Hand. Müde hing der Arm in dem gerissenen Ärmel gen Boden. Das Gesicht verschmutzt durch ravinsthaler Dreck, die Kleidung nicht wirklich in besserem Zustand, stand er am selben Waldrand, von dem er viele Stunden zuvor aufgebrochen war. Ein Seufzen entfloh seiner Kehle, als er durch die großzügigen Risse in der Holzwand das Flackern einer Kerze betrachtete. An sich gab es ja wenig, worüber er sich beschweren konnte. Sie waren alle wieder nach "Hause" gekommen - oder zumindest nach Zweitürmen, je nachdem wen man fragte. Sie hatten Stärke und Anzahl in Erfahrung gebracht, die Verbindung zwischen Räubern und Grenzwacht hergestellt und hätten eigentlich zufrieden und unerkannt zurück über die Grenze gehen können. Doch dann kam das, was er schon so oft erlebt hatte. Hybris. War es wirklich nötig Gefangene zu nehmen? Hätte er den Befehl verweigern sollen und die Soldaten nach Hause führen - oder war es richtig gewesen die Chance zu nutzen? Sei es für die Aussicht auf Erfolg oder für Arthars Empfinden?

Seit mehr als zwei Stunden stellte er sich diese Frage. Eigentlich seit dem Augenblick, als sie die Grenzsteine passiert hatten und die Stimmung kalt umgeschlagen war. Keiner sagte etwas und doch hing es wie eine Harpye im Angriffsflug über der kleinen Gruppe an geschundenen Soldaten, als sie wieder gen Zweitürmen maschierten. Wer würde der erste sein, der offen die Situation anspricht? Oder war noch genug Zeit die Wogen zu glätten und alles als eine unglückliche Fügung von Ereignissen dazustellen um die Moral nicht noch weiter zu drücken. Fast konnte er Kyrons Stimme neben sich hören: "Du weißt, was du zu tun hast, Kordian"... Ja, er wusste es. War er aber wirklich bereit zu diesem Zeitpunkt schon das Unvermeidbare anzusprechen? Vielleicht nur etwas mehr Zeit... Etwas mehr Zeit, damit er unterschwellig den Weg weisen konnte.

Zeit. Zögern. Unsicherheit. Es waren seine Worte gewesen, dass Zögern Leben kostet. Sachte presste er die Hand zur Faust, den dezenten Blutfluss dadurch verstärkend. Im diffusen Glanz der Sterne und des Mondes betrachtete er die rote Hand vor seinem Gesicht. Er würde tun was nötig war, einfach weil nichts anderes von ihm erwartet wurde. Wieder hob sich sein Blick gen der Hütte... der Mann setzte sich in Bewegung, klopfte...

...der Soldat blieb draußen, am Waldrand wartend, bis er wieder gebraucht werden würde. Bereit und nur von einer sehr löchrigen Wand aus Holz von dem Mann getrennt.
Lernen durch Schmerz
Motivation durch Entsetzen
Festigung durch Wiederholung
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Ravinsthaler Nächte sind lang... - von Kordian - 19.04.2015, 18:12
RE: Ravinsthaler Nächte sind lang... - von Kordian - 20.04.2015, 22:25



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste