Das Leben nach dem Tod auf Svesur
#8
Der Raum war schlicht, weiß gekalkt. Ein Fenster mit Blick auf einige karge Gemüsebeete. Eine kleine Kommode, Nacht - und Waschtisch aus wurmstichigem Holz, die Schüssel mit einigen Sprüngen komplettieren auch schon die einfache Einrichtung. Er hatte sich einen Schemel an ihr Bett gezogen und betrachtete gedankenverloren die braunen Locken, die im Fieberschweiß an Wangen und Stirn klebten, während er eine silberne Münze spielerisch durch seine schlanken Finger gleiten ließ. Die Bettdecke hob und senkte sich mit ihren tiefen, unregelmässigen Atemzügen; der bandagierte Arm lag lose über ihrer Brust. Aber der Arm war nicht das Problem. Es waren vielmehr die Wunden am Bein, die einfach nicht heilen wollten und auch wenn er es schaffen sollte, diesem beständigen Geschwür aus Eiter und Wundbrand endlich Herr zu werden, war es wohl fraglich, ob sie es jemals wieder benutzen können würde ...

Aidan seufzte schwer und schrak zusammen, als der rundliche Schatten in der Tür sich mit einem gleichsam erfreuten wie auch gezierten Aufquieken zur Gestalt von einer Cahiras zahlreichen Cousinen manifestierte. Auf ihrer Hüfte trug sie einen kleinen Jungen, der emsig an seinem Daumen lutschte und seinen dunklen Schopf an ihre Schulter gelehnt hielt, die Augen halb geschlossen. Der Mann erschauderte. Zum einen stellte dieses Mädchen ihm ungeniert nach - was er verabscheute - zum anderen war dies heute in der Tat nur ein spontaner Besuch und er hatte sich nicht geschützt. Er würde sich keine fünf Lidschläge in der Anwesenheit des Jungen befinden können, ohne dass er das Gefühl hatte, dass Ameisen unter seiner Haut krochen. Zehn Lidschläge und helle Punkte würden vor seinen Augen tanzen, ihn blind und dumpf machen. Zwanzig Lidschläge und der Junge würde mit seiner ungerichteten Gabe sicher seinen Verstand weggebrannt haben.

“Wie bist Du denn hier herein gekommen?”, flötete die junge Frau in so hohem Tone, dass selbst Cahira auf ihrem Krankenlager kurz aufzustöhnen schien. “Ich dachte, ich bringe Lionel mal ein bisschen zu seiner Mutter. Das wird sie sicher aufmuntern.”

Er rollte die Augen. Fraglich, ob Cahira das in ihrem komatösen Dämmerzustand überhaupt mitbekommen würde, aber er wollte sich auf keine Diskussion einlassen - seine Haut begann bereits zu jucken - erhob sich geschmeidig von seinem Platz und ließ die Münze dabei in seine Tasche gleiten.
“Durch die Tür, Liebes. Und dorthin verschwinde ich nun auch wieder.” Er verpackte die Abfuhr in die samtige Watte seiner Stimme und strebte gen Flur, die Cousine ratlos blinzelnd zurücklassen.

Er hätte die Hintertreppe nehmen sollen, die geradewegs auf einen kleinen Hof führte, in dem Wäsche aufgehangen wurde und gackernde Hühner sich tummelten. Die Chancen hätten gut gestanden, sich ungesehen davon machen zu können. Eine der Eigenarten des Teahanischen Haushaltes war es, dass man niemals alleine war und auch wenn keiner der Sippe körperlich anwesend war, man hörte sie, man roch sie, man spürte sie. Er verglich sie insgeheim mit Schaben, die unter jedem Stein hockten.

Doch da stand er schon mitten in der großen Wohnküche des Hauses. Am Feuer saß Cahiras Vater und schnitzte, wie eigentlich immer, an irgendeinem kleinen Holzstück herum. Die Zwillingsbrüder, einer Dicker, einer Kleiner, gossen sich gerade Apfelmost in einen Becher und als sie ihn sahen, schoben sie ihm ungefragt einen dritten Becher hinüber. Im Hintergrund klapperten die Stricknadeln von drei Frauen der Familie, deren Namen er sich und nimmer würde merken können.

“Wie geht es denn meinem Kätzchen?”, fragte der Alte vom Feuer her und Aidan hasste diesen hoffnungsvollen Ausdruck in den Augen, der ihn regelrecht anflehte, irgendetwas positives zu prophezeien wie Wird schon wieder!, was sich aber in vielen Fällen nicht bewahrheitete und in welchen er dann als Lügner oder Schlimmeres galt. Vermutlich erklärte dieser Unmut gepaart mit seinen noch immer empfindlichen Sinnen die harschen Worte, während er den Becher an die Lippen führte:

“Hrm. Vielleicht suchst Du Dir einen größeren Ast, damit Du ihr ein Holzbein schnitzen kannst…  oder einen Krückstock…  oder gleich einen Sarg!” - ein Fehler, den er keine zwei Herzschläge später auch schon bereute. Dies war sicher nicht die richtige Art und Weise, sich bei der Familie beliebt zu machen um in der Nähe dieses außergewöhnlichen Kindes zu bleiben.

Entsetzte Totenstille herrschte im Raum. Selbst das Feuer schien sein Knistern eingestellt zu haben. Die Frauen hatten die Stricknadeln sinken lassen, starrten ihm entgegen. Séan hatte eine Hand zum Herzen gerissen und sah aus, als hätte ihn geradewegs der Schlag getroffen und Dick und Klein maßen seine Gestalt wie eines ihrer zum Schlachten angedachten Schweine.

Vorsichtig stellte er den Mostbecher ab, als würde jener höchst explosiven Inhalt beinhalten, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und ging langsam rückwärts Richtung Tür, die Meute nicht aus den Augen lassend. Mit recht trockenem Mund murmelt er: “Das war doch nur .. also .. das Fieber ja … ich stöbere mal durch meine Bücher, was ich da machen kann, bis … dahin!” Sich so schnell wie möglich davon zu machen erschien ihm in dieser Situation die beste Lösung zu sein und später war dieser Vorfall sicher schon vergessen; vor allem wenn er dann eine Heilkur parat haben würde.

Draußen atmete er tief die klare Luft ein. Er fühlte sich als sei er dem Tode durch einen Lynchmob gerade noch so entkommen und wandte sich Richtung Küstenweg. Seine Finger versicherten sich der Münze in der Tasche und er rieb, sich selber beruhigend, mit dem Daumen über die feine Ziselierung am Rand. Mit einem Male fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er beschleunigte seine Schritte.
“Natürlich, der Tod ist die Lösung!”
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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RE: Zukunft - von Cahira Mendoza - 05.04.2015, 18:18
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RE: Das Leben nach dem Tod auf Svesur - von Cahira Mendoza - 29.10.2017, 00:11



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