FSK-18 Wer hat Angst vorm Juren-Mann?
#2



3. Hornung 1402

Ein schwarzer Tag. Auf Candarias schlechten Strassen, kurz vor dem Lager der Juren geschah es, dass meine sanfte Stute Herbstlaub auf einem Eisstück unter dem Schnee ausrutschte und beinahe zu Fall kam. Ich hatte noch großes Glück, dass ich mich auf ihr halten konnte und so führte ich sie dann das letzte Stück, da sie große Schmerzen im rechten Vorderbein zu haben schien.

Es bestätigte sich, dass etwas an ihrem Bein gebrochen und somit ihr Schicksal besiegelt war. Auch wenn ich keine große Pferdekennerin bin, weiß ich doch, dass derart verletzte Tiere nur der Tod erwartet. Immerhin erklärte der Khan sich bereit, das Tier zu töten, wenn es zu Ehren Eponas geschehen würde und da ich keinerlei Erfahrung mit dem Töten eines Pferdes habe (woher auch?) war ich dankbar und willigte ein.

Ich führte mein armes Pferd auf den naheliegenden Acker und die einzig andere anwesende Jurin, Lilja, half mir dabei sie zu beruhigen und festzuhalten, während der Khan das Ritual vorbereitete. Er steckte drei brennende Fackeln in Form eines Dreiecks in den Boden, während Lilja und ich die Augen der Stute mit einem Jutetuch abdeckten. Dann begann zunächst Lilja mit einer Art Gesang, dessen Ursprung ganz anders klang, als der unsrige, in den der Khan kurze Zeit später mit einem tieferen Ton einfiel. Merkwürdig, dass ich dies schreibe, aber es lag Trost und Ruhe in diesen Tönen, auch wenn man sie für unsere Ohren als unharmonisch ansehen könnte.

Als der Gesang sich zu einem schnelleren Rhythmus steigerte, sah ich die erhobene Axt des Khans auf den Hals meines armen Herbstblattes niedersausen und schon eine Sekunde später war ihr Kopf vom Körper getrennt. Ein unvorstellbar grausiges Schauspiel, auch wenn es ein Akt der Gnade und Spiritualität war. Die kommenden Minuten, nachdem ich den Kopf auf den Acker und Herbstblatt auf die Knie und dann umfallen sah, sind mir in meiner Erinnerung verloren gegangen, aber ich erinnere mich daran, dass nicht nur der Khan, sondern vor allem auch die Jurin Lilja mit dem Blut des armen Tieres besudelt waren. Sicherlich hat auch dies eine religiöse Bedeutung, nach der ich noch fragen werde.

Der Körper des Tieres wurde daraufhin mit trockenem Geäst und Holz bedeckt und angezündet. Zumindest der Gedanke der Jurin, dass Herbstblatt nun bei ihrer Göttin mit anderen Pferden über saftige Weiden und Wiesen galoppieren würde, hatte für mich etwas tröstliches.

Später - im Zelt - redeten wir über die Hierarchien der Juren, die sich auch an der Sitzplatzordnung ablesen lässt. Der Khan steht an oberster Stelle dieses Stammes, dahinter folgt seine Gefährtin und Mutter seines Sohnes, die Seherin Vischaja. Allgemein lässt sich dann mit den Kriegern, wobei besonders die Schattenreiter zu erwähnen seien, die so etwas wie Leibwächter sind und Jägern fortfahren, die je nach Verdienst im Stamm eine mehr oder weniger hohe Stellung einnehmen, gefolgt von Sammlern und Handwerkern. Die untersten der Hierarchie sind Sklaven und schließlich die Namenlosen. Bei den Namenlosen handelt es sich um eine Bestrafung, bei der der Bestrafte nicht nur alle Privilegien, sondern auch das Anrecht auf seinen Namen verliert. Diese dürfen das Lager nicht verlassen, zum Schutz vor sich selbst, da sie bei einer Flucht hart bestraft würden. Mögliche Vergehen um zu einem Namenlosen zu werden sind Diebstahl, oder das Beschädigen fremden Eigentums.

Wir wurden dann durch das Eintreffen eines alten Krüppels aus dem Hause Ganter unterbrochen, der zwar dem Khan nicht bekannt war, aber ein recht freundschaftlich-vertrautes Verhältnis zu der Jurin Lilja zu haben schien. (Ein mürrischer, ungehobelter und vor allem arroganter, kleiner Drecksack)

Weitere Beobachtungen:

Freizügige Zurschaustellung des eigenen Körpers wird offensichtlich nicht als schamhaft empfunden.

Desinteresse an einem Thema wird ebenso öffentlich zur Schau gestellt, wie entblößte Körperteile.

Viele Stuten und nur ein Hengst? (*dies ist besonders dick unterstrichen*)Ich habe das Gefühl, dass mir meine Arbeit dadurch erschwert wird, dass ich eine Frau bin und somit als potentielle Widersacherin angesehen werde. Mir wird langsam klar, wo der Ausdruck 'Stutenbissigkeit' herkommen könnte. Aber vorerst werde ich auch durch offene Ablehnung dieses Vorhaben nicht aufgeben.

Völliges Fehlen von Hilfsbereitschaft (das hoch angesehene Gastrecht ausgenommen) oder auch nur Galanterie. Obwohl der Khan mich auf dem Rückweg durch das dunkle Candaria und den Südwald begleitete, da er in Löwenstein zu tun hatte, gab es nicht einmal das Angebot, den schweren Sattel auf sein Pferd zu nehmen, was er leicht hätte tun können. Dafür aber hat er bei unserer Verabschiedung immerhin noch ein beeindruckendes Schauspiel seiner Reitkunst vorgeführt, ich sollte mich geschmeichelt fühlen.

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Wer hat Angst vorm Juren-Mann? - von Rahel Goldblatt - 01.02.2015, 23:47
RE: Wer hat Angst vorm Juren-Mann? - von Rahel Goldblatt - 03.02.2015, 20:15
RE: Wer hat Angst vorm Juren-Mann? - von Rahel Goldblatt - 09.02.2015, 13:17
RE: Wer hat Angst vorm Juren-Mann? - von Rahel Goldblatt - 09.02.2015, 21:54
RE: Wer hat Angst vorm Juren-Mann? - von Rahel Goldblatt - 16.02.2015, 17:34
RE: Wer hat Angst vorm Juren-Mann? - von Rahel Goldblatt - 20.02.2015, 17:00
RE: Wer hat Angst vorm Juren-Mann? - von Rahel Goldblatt - 26.02.2015, 19:46



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