[MMT] Vom Zelten mit den Juren
#7
Die Nacht im Umland von Greifanger verstand sich als kontrastreiches Gegenstück zu den Nächten in Servano. Selbst in tiefster Nacht schlichen in Löwenstein Menschen mit mal mehr, mal weniger unbescholtenem Ansinnen durch die Straßen und ließen das Leben in der Stadt nie ganz versiegen. In Greifanger hingegen, schien die Nacht einem Vorhang gleich, der sich vor dem Schauspiel des Tagewerks gesenkt hatte und all' seine Darsteller damit bis zur Dämmerung verborgen hielt.

Einzig die aus der weißen Schneedecke herausstechenden Schatten, die sich vom Zeltlager der Juren in die Nacht hinaus entfernten, einer Beritten, einer zu Fuß, bildeten die Ausnahme der nächtlichen Eintracht, die sich unter der silbrigen Sichel des Mondes über die weiß bedeckte Landschaft erstreckte. Auf das Heben eines Speeres von der Reiterin begann sich ein ein weiterer, zuvor ungesehener Schatten aus der Dunkelheit zu lösen und – abgelöst – wieder in den Schutz der Zelte zu begeben. Dieser Schatten zumindest, würde bei seiner Rückkehr ein warmes Zelt mit frisch geschürtem Feuer vorfinden, während die beiden anderen Schatten den Rest der Nacht und der Dämmerung vor sich hatten.

Nur selten richtete die Reiterin Worte an den schwerer gerüsteten Begleiter, der eine Armbrust auf seiner Schulter in einigem Abstand zu Pferd und Reiterin führte und den Blick aufmerksam schweifen ließ. Als die Worte schliesslich völlig verebbten und nur noch die wachsamen Blicke beider durch die nächtliche Weite Candarias schweiften, hätte ein aufmerksamer Beobachter vor allem sehen können, wie wenig dem Gerüsteten die Kälte eigentlich auszumachen schien. Mit der Disziplin eines Mannes, der die Monotonie einer nächtlichen Wache bereits zu Genüge kannte und der Gewohnheit, sich in Schnee und Kälte aufzuhalten, blickte der Mann, der bereits seit einiger Zeit nun bei den Juren lebte, ruhig und von seinen eigenen Gedanken getragen, durch die Dunkelheit. Wenngleich die Bereitschaft, seiner eigenen Gedankenwelt zu entsagen, stetiger Begleiter war, so war die Nacht und die heraufziehende Dämmerung doch ruhig genug, um die Worte der Jurin, seiner Begleiterin, noch einmal durch seine Erinnerung wandern zu lassen.

Skaskar wusste dass er, selbst wenn er es energischer versucht hätte, wohl nicht in der Lage gewesen wäre, die Worte der Jurin zu entkräften. Dafür steckte zu viel Wahrheit und Weisheit in ihnen. Er sah nach wie vor Unterschiede, da er bezweifelte, dass Saresh jemals den Eindruck von Schwäche zeigen konnte wie es Vegard, Serbitar oder Askir taten. Das lag dem Khan, so befand Skaskar, einfach nicht im Blut. Und auch wenn es, da stimmte er Lilya mittlerweile zu, vermessen war, von seinen Herren zu fordern ohne dass er derzeit selber viel gab, fiel es Skaskar schwer, Männern zu folgen denen die Angst um ihr Land anhaftete, wie einem unbefleckten Weibsbild die Sorge, die Unschuld zu verlieren. Diese Schwäche, die sich wie ein ekelerregender Makel durch seine Brüder und Schwestern zog, hatte ihn abkehren, ihn zweifeln lassen und die Jägerin hatte in dieser Hinsicht auch damit recht gehabt, dass genau diese Abkehr die Zweifel möglicherweise nur verstärkt haben mochte.

Und obschon er der Sturkopf war, der in aller Regel in letzten Tagen stets genau das getan hatte, wovor man ihn warnte, besann er sich in dieser Nacht darauf, auf den Rat der Jägerin zu hören. Vermutlich wusste sie nicht, wie wichtig die Geschichte für ihn war, die sie ihm erzählte und ihm dadurch tatsächlich zeigte, dass man ein verloren geglaubtes Band auch wieder aufbauen konnte. Genau dieses Band zum Bund fühlte er nicht mehr. Und obwohl er sich selbst jetzt, wo er sich dem Bund so fern wie nie fühlte, bereitwillig in jede Klinge für jeden einzelnen von ihnen geworfen hätte, war es nicht mehr länger seine Familie. Es ging jetzt vor allem darum, Stärke zu zeigen. Stärke nicht nur, indem er sich umdrehte und ging, sondern Stärke vor allem dadurch, dass er blieb und sich seinen Platz in ihrer Mitte wieder erkämpfte. Wenn sie wirklich so schwach waren, wie er empfand, so waren sie darauf angewiesen, jemanden wie Skaskar in ihrer Mitte zu wissen.

So war es am Ende keiner seiner Brüder vom Bund gewesen, kein Wort einer Seherin, nicht einmal die Worte des Khans, die Skaskar wieder auf den Weg führten. Es waren die Worte der stillsten Jurin gewesen, die man im Zeltlager finden konnte. Klare und präzise Worte, die ihn so leichtweg analysierten als sei er das simpelste Wesen, das über den Boden Amhrans schritt. Tatsächlich hatte Skaskar es sogar ernst gemeint, als er sagte, dass er sich jemanden wie Lilya an die Stelle seiner Hauptmänner wünschte. Denn wenngleich sie immer wieder sagte, dass unter Serbitars Geschwätz auch viel Klugheit steckte, fehlte dem Sohn des Nordens weiterhin das Auge, diese Klugheit zu sehen. Die Jägerin allerdings, wirkte selbst wortlos stiller und selbstsicherer als jeder Anführer seines Bundes.

Der Respekt gegenüber Lilya hingegen, sorgte dafür dass er bereit war, sich wieder auf den Tanz mit dem Bund einzulassen und klar zu sehen, wenn man ihn sehen ließ. Und auch wenn die Stunden des Schlafes an diesem Tag nur kurz währten, so war selbiger doch erstmals tief, fest und lange nicht von der Einsamkeit geprägt, die sein Herz seit dem Bruch kannte.
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Nachrichten in diesem Thema
RE: Vom Zelten mit den Juren - von Dhena - 06.01.2015, 12:50
RE: Vom Zelten mit den Juren - von Gast - 06.01.2015, 17:31
RE: Vom Zelten mit den Juren - von Lilya - 08.01.2015, 05:07
Exil - von Gast - 12.01.2015, 19:05
Nachtwache - von Gast - 13.01.2015, 19:29



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