[MMT] Vom Zelten mit den Juren
#5
Es war tief in der Nacht, leise rieselten die Flocken aus Schnee auf die Erde hinab. Alles wirkte leiser in dieser Unwirklichkeit der Schneelandschaft. Das leiseste Knirschen im Schnee ließ die Jurin auf dem schwarzen Pferd aufhorchen. Gespenstig tauchte das fahle Mondlicht die flachen und schneebedeckten Hügel in ein silbriges Licht. Selbst fernab jedes Feuers sah man die kleinen Wolken die sich in regelmäßigen Abständen vor dem Gesicht der Jurin und dem Maul des Hengstes bildeten. Das Tier wirkte ebenso wachsam wie seine Reiterin, das leise Knirschen in der Ferne und dann und wann das weitentfernte Heulen hungriger Wölfe, ließen auch den Hengst fernab der Herde nicht zur Ruhe kommen. Dem aufmerksamen Beobachter konnte kaum entgehen, wie das sonst unsichtbare Band zwischen Pferd und Jurin deutlich sichtbar wurde, es war ein stummer Tanz an Bewegungen, ein Hin und Herspielen. Zuckten die Ohren des Tieres, wendete sich der Blick der Jurin und das Tier verlagerte sein Gewicht daraufhin. Wenngleich beide ruhig verharrten, umgab sie eine Aura der Spannung, während der Wind leise durch den Schweif, die Mähne und das Haar der Reiterin pfiff.

Die Zelte waren noch als Schatten sichtbar und ginge man nur näher heran an das kleine Lager würde sich die gespenstige Ruhe wie eine umgekehrte Münze wandeln. Trotz der Ruhe zwischen den Zelten, zeugte alles von regen Leben. Der zu Matsch zerstampfte Schnee, die kalten Feuerstellen, die von Schnee befreiten Bürsten für die Tiere und die Wassertonne auf denen sich erneut eine dünne Eisschicht bildete und das Wasser abdeckte. Der Geruch von warmen Met, Schweiß, Pferden, Leder, Blut und gebratenem Fleisch hing selbst bei dieser Kälte zwischen den Zelten, aus dem kleinen Zelt direkt am Eingang drang noch der Geruch von getrocknetem Salbei und Lavendel und vermischte sich zu einem lebendigen Ensemble. Selbst der kreischende Ruf eines Raubvogels vermochte es nicht, das Leben zwischen diesen Zelten zu leugnen, die auf manch einen mit Geborgenheit und Sicherheit frohlockten. Der kleine Rotfuchs, der sich die letzten Knochen aus der kalten Feuerstelle zog fühlte sich davon allerdings nicht betroffen, und schleppte seine Beute hinaus aus dem Lager über die Felder und stoppte erst, als ihm die Witterung der Jägerin in die Nase stieg. Mit einem weiten Bogen tauchte er in die silbrige Welt fern ab und hinterließ für eine Weile seine kleinen Pfotenabdrücke im Schnee, ehe die Nacht sie unter einer neuen Schneedecke begruben.

Die Gedanken der jurischen Jägerin zogen sich schweigsam, wie unheilverkündende dunkle Wolken durch ihren Kopf und hinterließen eine missmutig nachdenkliche Mimik auf ihrem Gesicht. Sie hatte an diesem Tage schwere Worte verwendet gehabt und es hatte sie einiges an Mühe gekostet sie zu verdrängen als Serbitar ins Lager kam. Es lag ihr fern mit ihm über das Vergangene zu sprechen, auch wenn das Vergangene kaum eine Stunde her war und die Spuren noch frisch waren und der Platz noch warm vom Sohn des Nordens. Immer wieder fragte sie sich an diesem Abend fassungslos, wie sie sich nur so irren konnte.

Die Jägerin hatte schon oft beobachtet, wie die Städter einen Tanz um die natürlichste Sache taten, die ein Mensch nur tun konnte. Immer wieder fanden ihre Gespräche zu diesem einen Thema, als wären sie zwanghaft dazu verflucht, mit kleinen spitzen Bemerkungen, gleich einer Nadel in dieses Thema, das im Bildnis das Nadelkissen darstellte, hinein zu stechen. Es schien sie gar mit einer regelrecht widernatürlichen Freude zu beseelen und sie wie hungrige Wölfe ums Mahl schleichen zu lassen, statt sich einfach mal den Bauch voll zu schlagen und sich den wichtigen Dingen des Lebens zu stellen. Zum einen versagten sie sich, wenn es nötig war diese Notwendigkeit, die dem Fluss des Gleichmutes erst den rechten Schwung gab, zum anderen jedoch, überschwemmte sie dann doch die aufgestaute Geilheit und ließ sie kopflos in die Lenden der Nächstbesten tauchen oder Frauen auf einen Esel steigen. Es war ein Zeugnis maßloser Dummheit für die Jurin doch es war nicht an ihr dies zu richten oder zu beurteilen und sie war sich nur zu sehr bewusst, dass sie daran eh nichts zu verändern konnte. Im Grunde war ihr diese Uneinigkeit des Wesens sogar recht egal bis willkommen, doch zu dieser Wache in der Nacht ließ es ihr keine Ruhe. Es waren die heißen und feuchten Lenden einer Frau die diesen Mann völlig den Verstand verlieren ließen. Er war vollkommen für das was alle Welt sah erblindet. Sie war diese Blindheit von den Städtern durchaus gewohnt und erkannte auch, dass es daran lag, dass sie stets das gleiche Bild vor die Augen bekamen. Den Himmel vor lauter Wolken nicht sehen, würde es wohl am ehesten treffen. Er sprach von aufrechter Haltung, Direktheit, Taten statt Worten. Er sprach mit tiefer Anerkennung mit ihr und doch holte er sich Lug und Betrug in seine Felle.

Sie hatte im Grunde nichts gegen das Wiesel, nicht im geringsten. Sie fand sie gar unterhaltsam auf die ein oder andere Weise, dennoch spielte sie jeden Tag aufs Neue ihr Trugbild einem jedem vor, der ihr über den Weg lief. Ein Leben aufgebaut auf Betrug, Verschlagenheit und Lügen, wenn man sein Selbst verheimlichte. Wenn er ihr das nehmen würde, würde ihre Welt zusammen brechen und sie säße in Ruinen und würde um sich beißen, wie es jedes Tier tut, das keinen Ausweg mehr kennt. Ein Wesen, das jeden Tag mit einer Lüge begann, konnte es überhaupt auch nur ansatzweise das verstehen, was Ehre bedeutet? Sie war schlauer als Njal, geschickter und in ihrem Netz aus Wahrheit und Lügen wusste wohl nur sie selbst, was zutreffend war und was nur Illusion war. Doch am Ende des Tages war sie nur ein Wiesel.

Am morgigen Tage würde die Reiterin sehr wahrscheinlich wieder Zeugin dieser Scharade werden, wissend, dass es ein Trugbild ist und schweigen. Sie hatte die Grenzen neu gesteckt und es gab weit wichtigeres in ihrem Leben als diese zwei entweder so ungleichen oder gar allzu gleichen Personen. Freundschaft würde etwas sein, an das sie sich nur sehr langsam und vorsichtig heranwagen würde. Der Blick der wachenden Jägerin wendete sich zu den Zelten und langsam, als könnte der Rappe auf dem sie saß direkt in ihren Gedanken lesen, wendete sich das Pferd.
Langsam und mit knirschendem Schnee unter den Hufen, setzt der Hengst einen Huf vor den anderen. Den Kopf leicht gesenkt, jetzt wo der Weg ihn zurück zu seiner Herde führt. Seine Mähne und sein Schweifhaar weht nach Süden, ebenso wie das lange dunkle Haar der Jurin und der blutrote Mantel, in den sie sich bis zur Nasenspitze gehüllt hat und der gerade noch ihre Unterschenkel preis gibt, als hätte einer der Götter dieses Bild fortwischen wollen. Nur langsam verdeutlicht sich die Silhouette im wehenden Schnee und man erkennt wie sie den Speer sachte zum Gruß hebt, ehe ein anderer Jure, auf ebenso einem schwarzen Tehinhengst ihren Platz einnimmt und ihren Spuren im Schnee folgt – hinaus in diese unwirkliche geisterhaft silberne Landschaft aus Mondschein, Eis und Schnee.
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Nachrichten in diesem Thema
RE: Vom Zelten mit den Juren - von Dhena - 06.01.2015, 12:50
RE: Vom Zelten mit den Juren - von Gast - 06.01.2015, 17:31
RE: Vom Zelten mit den Juren - von Lilya - 08.01.2015, 05:07
Exil - von Gast - 12.01.2015, 19:05
Nachtwache - von Gast - 13.01.2015, 19:29



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