Von Leuchtfeuern und Seemannsgarn
#15
Episode 15 - Auf See I
 
Im Heuert/Ernting1404
Sund zwischen Candaria/Servano und den Wildlanden

 
 
Das Salz in der Luft, das sich im Seegang wiegende Schiff unter den Füßen, allethalben Knarzen von Holz und Windpfeifen - wahrlich, der Galatier befand sich nach mehr als sieben Jahren endlich wieder auf See.
Wäre es aus Lust an der Freude, zum eigenen Vergnügen gewesen, er hätte frohlockt. Doch er hatte einen Auftrag zu erfüllen, was ihn noch mit weit mehr Frohsinn erfüllte. Der Edle Ser Savaen war auf ihn zugekommen und hatte ihn mit einer Erkundungsmission beauftragt, die er als einziger Seemann in der königlichen Stadtwache zu erfüllen befähigt war. Seit einiger Zeit hatten sich Übergriffe und sonderbare Vorfälle, einschließlich erschreckender Berichte von Fischern entlang der amhranischen Gestade derart gehäuft, dass an weitreichenderen Informationen dringender Bedarf bestand.
Lysanders Auftrag: Erkundung der Verhältnisse entlang der Gestade Servanos, Candarias und der Wildlande; Dokumentation und Kartierung etwaiger Truppenanlandungen und -bewegungen.
In dem Wissen um die Gefahr einer dräuenden oder bereits begonnenen Invasion von fremdlänischen, womöglich indharimischen, Truppenverbänden hatte er also dann noch am selben Abend der Auftragserteilung damit begonnen, einige alte Kameraden aus seiner Zeit vor der Wache aus den Hafenspelunken zusammenzusammeln. Bisweilen unter der Anwendung guter alter Shanghai-Methoden, das heißt beherzte Überzeugung mit Alkohol oder Prügeln beziehungsweise einer Kombination aus beidem. Zur Ehrenrettung der ehemaligen Kollegen, alllesamt Schmuggler, Fischer, Matrosen und Dockarbeiter, waren die meisten der insgesamt zehn Mann ohne weitere Überzeugungsarbeit dazu bereit,, anzuheuern. Ihnen war das Leben an Land ein Graus und kaum einer hatte, wie auch Lysander, des Krieges wegen eine ordentliche Heuer auf einem Schiff bekommen - und wenn, dann nur von kurzer Dauer.
Als der Morgen graute, hatte Lysander seine Mannschaft beisammen, Vorräte aus dem Arsenal der Stadtwache in ausreichender Menge 'geborgt' (inklusive eines ordentlichen Bestands an Schnaps für die Moral der Truppe) und die Ausrüstung eines jeden Mannes überprüft. Zwar hatte er nicht vor, Feindkontakt zu haben - im Idealflal sollten die Fremdländer sie gar nicht erst bemerken - doch wenn er eines in seiner Zeit als Schmuggler gelernt hatte, dann, dass die See keinen Fehler vergab und man stets auf alles vorbereitet sein sollte.
So kam es denn, dass am Vormittag des 27. Heuert zehn wenig vertrauenswürdig aussehende Galatier und Amhraner, angeführt von einem galatischen Wachtmeister der Stadtwache das schnellste kleine Schiff im Hafen Löwensteins im Namen des Reiches requirierten: Eine Fischerei-Knorr, die ein nortgardstämmiger Fischer, der im Neuen Hafen seinem Gewerbe nachzugehen pflegte, sein Eigen genannt hatte. Kalkweiß und dem Zusammenbruch nahe hatten sie ihn am Kai zurückgelassen, mit der Versicherung, dass der Edle Ser schon für den Verlust aufkommen werde - und wenn nicht, diene er hiermit dem Wohl von Krone und Reich!
Es war keineswegs ein Zufall, dass Lysander diese Knorr ausgewählt hatte. Sie kam den Langschiffen seiner Heimat am nächsten - die Nortgarder hatten sich in dieser Sache viel von den Galatiern abgeschaut, wenn ihnen auch die Perfektion und das Verständnis fehlten - und war sowohl zur Wind-, als auch Ruderfahrt geeignet, also unabhängig von den Wind- und Strömungsverhältnissen. Zudem wies sie nur eine geringe Höhe über der Kimmlinie auf, was durch den abnehmbaren Mast verstärkt wurde. Kurzum: Wollte man sich dem Schmuggel oder der Spionage von See aus hingeben, war die Knorr ideal.

In den nächsten Tagen, aus denen bald mehr als zwei Wochen werden sollten, fuhren sie die Küsten entlang der Meerenge, beginnen im Nord-Westen, ab, stets auf der Suche nach Auffälligkeiten und Truppenbewegungen. Lange Zeit hatten sie nichts Ungewöhnliches zu kartieren oder niederzuschreiben, abgesehen von einigen hell in der Nacht aufflackernden Feuern entlang der Kimm, die aus Richtung Servanos und Candarias herüberdräuten. Dass dort alle übrigen Schiffe, bis auf jenes, das sie trug, von den Invasoren dem Feuer überantwortet wurden, war ihnen zu diesem Zeitpunkt freilich nicht bewusst. Am Tag nach den Feuern hatten sie erste Feindberührungen, denen nicht nur einer der Ihren zum Opfer fiel, sondern die auch so manchen Stoff für Geschichten und Lieder lieferten, über die an anderer Stelle berichtet werden wird. Relevant für die Mission des Wachtmeisters war, dass sie auf Höhe des Ausläufers der Meerenge zwischen Candaria und den Wildlanden – des „candarischen Sunds“, wie Lysander ihn zu nennen pflegte – eine Blockade ausmachten.

Erst, als die Nacht am Tage dieser Entdeckung hereingebrochen war, hatten sie sich näher herangewagt. Der Mast abgebaut und mitsamt Segel an Deck verstaut, die Gesichter mit Ruß geschwärzt, nur eine abgedunkelte Lampe am Heck, so näherten sie sich unter langsamen, leisen Riemenschlägen dem Sund. Befehle mussten dank eingespielter Zusammenarbeit wenn, dann nur im Flüsterton ausgesprochen werden. Schlag um Schlag der Riemen schälten sich die Schiffe des Feindes entlang der nachtesdunklen Kimm, nur beleuchtet vom Licht des Mondes aus der Schwärze der Nacht. Da Lysander es nicht wagte, ein Fernrohr zu nutzen, kamen sie so nah, wie nur irgend möglich heran, ohne dass sie eine Entdeckung hätten fürchten müssen: ein halber Werst trennte schließlich noch das einzige verbliebene Schiff unter amhranischer Flagge und jene, die unter dem Banner der Wüstenkrieger fuhren. Der nasskühle Wind trug leise, schnarrend-kehlige Stimmen zu ihnen herüber, so nah waren sie, als die Späher die Schiffe zählten, derer sie ansichtig wurden. Es waren nicht wenige, gewiss mehr ein Dutzend, verschiedener Mastenzahl. Nur dem blanken Zufall und dem Mondlicht hatten sie es zu verdanken, dass sie das wohl größte Problem an dieser Blockade entdeckten: Eine große Stromkette, die den Sund und damit den südlichen Zugang zum Meer von der candarischen bis zur Wildlande-Küste  versperrte. Diese überraschende Entdeckung führte sie infolgedessen an die Küsten besagter Gestade, um die dortige Verortung und Absicherung der Kette zu sichten und zu kartieren. Wollte man diese Blockade brechen, musste die Kette fallen, denn die deutlich engeren Zugänge zur offenen See, die im Nord-Westen weit in den Widlanden und Norden Amhrans in den verwinkelten Fjorden Nortgards lagen, waren kaum oder überhaupt nicht mit größeren Schiffen befahrbar und dadurch keine kriegsentscheidende Alternative.  
Mit den Berichten und Kartierungen der Kettengründungen, gesichteten Schiffe und Truppenbewegungen machten sich die nunmehr zehn Mann zurück auf den Weg nach Löwenstein, dessen Hafen sie am 21. Ernting erreichten. Die übriggebliebenen Männer hatten zuletzt den Auftrag erhalten, die Knorr sorgfältig in den versandeten, labyrinthartigen Gestaden des alten Hafens zu verstecken und sich für Weiteres bereitzuhalten. Was immer die Indharimer für Amhran bereithielten: Sollte alles vor die Hunde gehen, würde der Galatier mit seinen Leuten lieber auf See türmen, als für die Sache der Amhraner zu sterben. Oder es kam doch ganz anders, wenn es nach den Fädenspinnern des Schicksals ging… in jedem Fall galt die Devise: „Besser mit Schiff, als ohne.“
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Episode 6 - Alltag - von Lysander O'Domhnaill - 08.01.2015, 16:47
RE: Von Leuchtfeuern und Seemannsgarn - von Lysander O'Domhnaill - 22.08.2017, 19:43



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